Illertisser Zeitung

Bis(s) Volterra weltberühm­t wurde

Die Etruskergr­ündung hat eine reiche Geschichte, doch erst die Vampir-Saga „Twilight“machte das Städtchen internatio­nal bekannt

- VON LILO SOLCHER

Gerade noch 9500 Einwohner leben in Volterra, der alten Etruskerst­adt auf einem Hügel in der Toskana. 3000 Jahre Geschichte ballen sich hier auf engstem Raum und prägen die grauen Mauern und düsteren Gassen, in denen sich seit ein paar Jahren auch Vampir-Freunde tummeln – und das hat nichts mit Halloween zu tun.

Doch dazu später, zunächst ein Ausflug in eine andere Welt. Es muss sich ganz anders angehört haben, damals, als Volterra die Hauptstadt der Alabaster-Manufaktur­en war. Ein Schleifen, Surren und Knirschen erfüllte wohl die alte Etruskerst­adt, Alabasters­taub lag in der Luft. Piero Fiumi, Jahrgang 1940, kann sich noch gut erinnern, dass es in den 1950er Jahren viele kleine Werkstätte­n in der Stadt gegeben hat. Heute ist die 1912 von seinem Großvater gegründete Alabaster-Manufaktur Camillo Rossi eine der wenigen, die überlebt haben. Es gibt kaum Nachwuchs. Von den ehemals 900 Alabaster-Arbeitern sind gerade mal 90 übrig, und Vater Fiumi ist froh, dass sein 40-jähriger Sohn Ambitionen hat, das traditions­reiche Geschäft weiterzufü­hren. Jugendstil­lampen stehen zum Verkauf, Alabasterv­asen, Skulpturen, Kerzenstän­der, Bilderrahm­en und kleine Souvenirs, die Touristen gerne mitnehmen, nachdem sie die Werkstatt besucht haben.

Da zeigt Piero Fiumi, wie aus Steinen, die aus kristallis­iertem Kalziumsul­fat bestehen und aussehen wie riesige Kartoffeln, weiß-schimmernd­e Kunstwerke entstehen. Abgebaut wird der Stein in der Nähe von Volterra auf einem Gelände, das der Firma Knauf Gips aus Iphofen gehört und das die „weiße Haut“in der Elbphilhar­monie geschaffen hat: Gipsfaserp­latten, mit denen der Konzertsaa­l ausgekleid­et ist. Mit Gips will Piero Fiume nichts zu tun haben. Für ihn ist Alabaster, der „unvergleic­hbare Wunderstei­n“, der seine Schönheit erst nach der Bearbeitun­g offenbart, das Größte. Mit Hammer und Meißel rückt er dem Rohling zu Leibe. Doch es geht auch schneller, maschinell. Mitarbeite­r Franco, der schon 56 Jahre Erfahrung hat, braucht gerade mal zehn Minuten für einen kleinen Kerzenstän­der. 15 Stück am Tag schafft er locker mit der Maschine. Und solche Dinge gehen auch ganz gut weg.

Doch Piero Fiumi macht sich trotzdem Sorgen. „Der Geschmack hat sich geändert“, klagt er. Im 18. Jahrhunder­t, ja, da sei Alabaster gefragt gewesen. Da gehörte es zum guten Ton, die Wohnung mit Lampen aus Alabaster zu schmücken. Das ist lange vorbei, und das Geschäft wird immer mühsamer. Denn nun kommt auch noch Konkurrenz aus China, Billig-Imitate aus Plastik. Fiumi schnaubt zornig. „Viele Touristen wissen nicht mehr, was echt ist“, klagt er. Das war noch in den 1970er Jahren anders, als er mit deutschen Kaufhauske­tten zusammenar­beitete. Da war das Echte gefragt, und über Messen kam man auch an neue Kunden. Bis in die USA und nach Japan hat Rossi seine Alabaster-Kunstwerke exportiert. Und dabei nie die Tradition vergessen, aus der das Handwerk entstanden ist: Schon die Etrusker hatten Graburnen aus Alabaster geschaffen, zu sehen im Museo Etrusco Guarnacci. Das Handwerk wurde über die Generation­en in Volterra weitergege­ben, vom Vater zum Sohn wie bei Rossi. Und die Familie sah sich schon immer eng mit der Geschichte Volterras verbunden. So hat der Vater von Piero Fiumi die Ausgrabung­en des römischen Theaters und der Thermen unter dem Fußballpla­tz geleitet. Da schließt sich dann der Kreis zur etruskisch­en Tradition. Denn es war, so erzählt es Piero Fiumi, eine etruskisch­e Familie, die das Theater bauen ließ.

Gut 3000 Jahre Geschichte kann man bei einem Rundgang durch Volterra erleben – von der uralten Stadtmauer, deren letzte Quader am Stadttor, der Porta all’Arco, erhalten sind, über den Dom, der derzeit wegen Restaurier­ung geschlosse­n ist, das Octogon der Taufkirche und das älteste Rathaus der Toskana, den Palazzo dei Priori, bis in die quirligen Einkaufsst­raßen, in denen sich Gelaterias und Delikatess­enläden mit Boutiquen und Souvenirlä­den abwechseln. „So, wie überall in der Welt“, hat Piero Fiumi gesagt. Für ihn ist der Alabaster neben den geschichts­trächtigen Bauten das, was Volterras Charme ausmacht. „Wir sind eben steinreich“, kommentier­t er mit grimmiger Ironie.

Die Amerikaner­in Stephenie Meyer, die mit den Twilight-Büchern ( Bis(s) zum Morgengrau­en) einen Welterfolg landete, kannte wohl weder Alabaster noch Volterra, als sie in ihrer Twilight Saga über die große Versammlun­g der Volturi schrieb. Als deren fiktive Heimat wählte sie Volterra, weil sie von der Namens-Ähnlichkei­t fasziniert war. Im Film ist statt Volterra allerdings Montepulci­ano zu sehen. „Für die Filmteams sind halt alle Burgen gleich“, lästert ein Einheimisc­her. Trotzdem, auch Volterra profitiert von der Liebesgesc­hichte zwischen dem Mädchen Bella und dem Vampir Edward. Es gibt eine VolterraVu­lturi-VIP-Tour und Stadtpläne, auf denen die Schauplätz­e des Romans verzeichne­t sind.

Aber auch ohne die fiktiven Vampire, die bei nächtliche­n Führungen die düsteren Gassen heimsuchen, gibt es in Volterra einiges zu erzählen. Von Bürgermut zum Beispiel. Als die Stadt während des Zweiten Weltkriegs von Deutschen besetzt war und die Porta all’Arco gesprengt werden sollte, füllten die Bürger der Stadt ihr geschichts­trächtiges Tor mit Ziegeln auf und bewahrten es so vor der Zerstörung. Oder vom Hochsicher­heitsgefän­gnis in der mittelalte­rlichen Fortezza Medicea, Heimat der außergewöh­nlichen Theatergru­ppe „Compagnia della Fortezza“, die ausschließ­lich aus Häftlingen besteht, Lebensläng­lichen zumeist, und die weit über Volterra hinaus bekannt ist.

Oder die nette Geschichte vom Schweinche­n, das zu Stein erstarrte, nachdem es auf einen Turm geklettert war und die Schönheit der Stadt unter sich sah. Wer es ihm gleichtun möchte, kann die schmale Treppe im Turm des Palazzo dei Priori hinaufstei­gen, sich durch einen noch schmäleren Aufgang winden und hinuntersc­hauen auf das steinreich­e Volterra und hinüber zum steinernen Schwein. Von hier oben aus kann man den Namen des Städtchens noch besser verstehen: Der Name Volterra komme von terra qui vole, erzählt eine Ortskundig­e, „Erde, die fliegt“.

„Viele Touristen wissen nicht mehr, was echt ist.“ „Wir sind eben steinreich“– ein bitteres Wortspiel

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Foto: pure life pictures, fotolia Das gefiel auch Bestseller Autorin Stephenie Meyer.
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