Illertisser Zeitung

Auf dem Weg nach Jamaika

CDU, CSU, FDP und Grüne treffen sich zu ihren ersten Sondierung­sgespräche­n. Einig sind sie sich nur, dass es schwierig wird. Denn schon die Union weiß nicht, was sie will

- VON MARTIN FERBER (mit dpa)

Angela Merkel hat die Latte schon einmal hoch gehängt. Die mit Spannung erwarteten Sondierung­sgespräche zur Bildung einer Jamaika-Koalition, die heute mit zwei separaten Treffen der Delegation von CDU und CSU mit den Vertretern der FDP um 12 Uhr und der Grünen um 16.30 Uhr in den Räumen der noblen Deutschen Parlamenta­rischen Gesellscha­ft beginnen, müssten schon deutlich mehr sein als „ein persönlich­es Kennenlern­programm“. Vielmehr werde es sofort und intensiv um die Sachfragen und somit um das gesamte künftige Regierungs­programm gehen. Und das, so machte die CDU-Chefin und Bundeskanz­lerin am Montag im Konrad-Adenauer-Haus deutlich, könne schon einmal dauern. Sie selber rechne „mit mehreren Wochen“. Mehr noch: „Uns ist klar, dass es nicht einfach wird.“

So sehen es alle Beteiligte­n in Berlin. Einfach wird es nicht, heißt es in seltener Eintracht auch bei der CSU, der FDP und den Grünen. Und durch die Wahlen in Österreich, wo Sebastian Kurz mit einem rechten Profil die ÖVP zur stärksten Partei machte, und in Niedersach­sen, wo alle drei potenziell­en Regierungs­parteien zu den Verlierern gehörten, sind sie nicht einfacher geworden. In der Union tobt ein Richtungss­treit um den Kurs. Die CSU wie die Konservati­ven in der CDU fordern eine Abkehr von der Politik der Mitte und einen Ruck nach rechts, um der AfD das Wasser abzugraben.

Unabhängig davon kommen aus der CSU auch versöhnlic­he Töne: „Es sollte nicht an der CSU scheitern“, sagt Entwicklun­gsminister Gerd Müller unserer Zeitung. „Wir wollen zügig und wirksam verhandeln, um noch vor Weihnachte­n zu einer neuen Regierung zu kommen. Dabei müssen wir das Beste aus dem schwierige­n Wahlergebn­is machen und sicher auch Kompromiss­e eingehen.“Aber eine neue Koalition biete auch Chancen, „Verkrustun­gen aufzulösen und neue Antworten und Impulse für eine neue Zeit zu geben“, sagt Müller, der auch der CSU-Delegation angehört.

Angela Merkel ist, wie es in Unionskrei­sen heißt, entschloss­en, die Union in der geplanten JamaikaKoa­lition als Partei des sozialen Gewissens und als Anwalt der kleinen Leute zu positionie­ren. Bei ihrem Auftritt nannte sie die Themen Rente und Pflege als zentrale Punkte, auf denen das Hauptaugen­merk der Union liegen müsse, ebenso die Zukunft der ländlichen Räume und die Bezahlbark­eit des Wohnraumes. So sollen durch die schnelle Abschaffun­g des „Soli“und eine Steuerrefo­rm vor allem die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen entlastet und die Rentner bessergest­ellt werden. Im Bundestags­wahlkampf habe sich gezeigt, dass die so- ziale Frage die Menschen stärker bewege als alles andere, heißt es im Kanzleramt, die Union müsse sich wieder stärker auf die „christlich­e Soziallehr­e“besinnen.

Gegen eine Ausweitung der Sozialleis­tungen läuft allerdings der Wirtschaft­sflügel der Union Sturm. Er erteilt vor allem der CSU-Forderung nach der zweiten Stufe der Mütterrent­e eine klare Absage. „Nach den großen Rentengesc­henken der letzten Legislatur­periode dürfen die Verhandler keine neuen Rentenleis­tungen vereinbare­n, welche die junge Generation überstrapa­zieren und die Rentenkass­e belasten“, sagt der Generalsek­retär des Wirtschaft­srates der CDU, Wolfgang Steiger, unserer Zeitung. „Wenn die CSU auf die Mütterrent­e 2.0 besteht, muss sie gleichzeit­ig klarmachen, wie diese finanziert werden soll, ohne die junge Generation zum alleinigen Lastesel zu machen.“Es sei „verantwort­ungslos“, den jungen Beitragsza­hlern die Kosten von rund 6,5 Milliarden Euro pro Jahr „noch zusätzlich auf die Schultern zu packen“, so Steiger. Der Schlüssel zu auskömmlic­hen Renten für die Älteren ohne Überlast für die Jüngeren liege einzig in der Kopplung des Renteneint­rittsalter­s an die Lebenserwa­rtung.

FDP-Chef Christian Lindner indes ist mit der Forderung vorgepresc­ht, dass das Finanzmini­sterium nicht wieder an die CDU gehen solle. „Ein Grüner, ein CSU- oder ein FDP-Finanzmini­ster – alles wäre besser, als das Kanzleramt und das Finanzmini­sterium weiterhin in CDU-Hand zu halten, denn so wird durchregie­rt. Das hat sich nicht bewährt“, sagte Lindner.

CSU-Chef Horst Seehofer hat gestern übrigens die Grünen-Spitze schon mal zu einem Kennenlern­Treffen besucht. „Wir werden ja jetzt viele Wochen und Monate hoffentlic­h zusammensi­tzen“, sagte Bayerns Ministerpr­äsident am Dienstagab­end nach dem eineinhalb Stunden langen Gespräch mit Grünen-Chef Cem Özdemir und Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt in deren Berliner Parteizent­rale. Da sei es „ganz gut, wenn man sich mal persönlich kennenlern­t.“Seehofer war noch nie bei den Grünen zu Gast. Die Gastgeber scherzten: „Er hat’s überlebt.“

Diese Politiker aus der Region verhandeln über Jamaika

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Foto: Paul Zinken, dpa Man beschnuppe­rt sich schon einmal: Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer (links) besuchte am Dienstagab­end die Grünen Politiker Katrin Göring Eckardt und Cem Özdemir. Kommentar der Gastgeber: „Er hat’s überlebt.“

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