Illertisser Zeitung

„Große Parallelit­ät zum Terror der Dschihadis­ten“

Stefan Aust über die Wurzeln der RAF, das Abdriften in die Gewalt und die Geheimniss­e, die auch nach 40 Jahren geblieben sind

- Interview: Alexander Michel

Herr Aust, zwischen den islamistis­chen Terrorgrup­pen von heute und den linksextre­mistischen Zirkeln vor 40 Jahren gibt es eine Gemeinsamk­eit: Sie sehen sich nicht als Terroriste­n, sondern als Kämpfer für eine in ihren Augen bessere Welt.

Die Gemeinsamk­eit zwischen Dschihadis­ten und der RAF liegt auf einer umfassende­ren Ebene. Die Ideen der RAF hatten nicht nur eine linksradik­al-kommunisti­sche, sondern auch eine religiöse Dimension. Das Bekenntnis war: Wir machen uns selbst nicht nur zur Waffe, sondern zum Teil auch zum Opfer, um das durchzuset­zen, was wir für richtig halten. Die RAFMitglie­der haben zwar nicht an die Freuden im Paradies geglaubt. Aber sie waren mit einem sehr großen moralische­n Anspruch dabei, um die Welt in ihrem Sinne besser zu machen. Und es kam immer eine suizidale Komponente hinzu. Das ist eine große Parallelit­ät zum Terror der Dschihadis­ten.

Hat dabei eine religiöse Prägung des Elternhaus­es mitgewirkt?

Ja. Führende Mitglieder der RAF wie Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin kamen aus einem streng evangelisc­h geprägten christlich­en Elternhaus. Nach den Brandansch­lägen auf zwei Frankfurte­r Kaufhäuser 1968 sagte Pastor Helmut Ensslin, der Vater von Gudrun Ensslin, er habe den Eindruck einer „ganz heiligen Selbstverw­irklichung“. Das erinnert doch stark an den Dschihadis­mus.

Wie erklärt man einem heutigen Jugendlich­en, der zur Zeit des Mauerfalls noch nicht geboren war, was die RAF war und was sie wollte?

Man muss die RAF in einem größeren Zusammenha­ng sehen. Und zwar mit der Jugend- und Studentenr­evolte auf der ganzen Welt. Die wurde getragen von der Generation derjenigen, die noch im Krieg oder kurz nach dem Krieg geboren war. Als sie um die 20 waren, wurden die Eltern erstmals gefragt: Was habt ihr im Krieg eigentlich gemacht? Das war ja verdrängt worden. Die Amerikaner waren die Guten, weil sie uns vom Faschismus befreit, Coca Cola und vor allem Rock ’n’ Roll gebracht hatten. Dann kam der Vietnamkri­eg. Das war ein moralische­s Desaster für die Amerikaner. Auch in Deutschlan­d gingen die jungen Leute auf die Straße. Hier kam die nicht bewältigte Vergangenh­eit hinzu. Das hat die Lage verschärft, denn viele Leute bei Polizei und Justiz hatten keine saubere Weste. Kanzler Kurt-Georg Kiesinger war ja selbst Mitglied der NSDAP gewesen. Den Eliten fehlte es an moralische­r Legitimati­on. Die Studentenb­ewegung ließ mit der Zeit in ihrem Elan nach, aber einige wollten die Fackel des Protests weitertrag­en. Im wörtlichen Sinn. So wurden Kaufhäuser in Brand gesteckt. Es war ein schrittwei­ses Abdriften in die Gewalt und dann in den Untergrund. Der Weltkrieg gegen die USA sollte in die Metropolen getragen werden.

Es entstand später eine regelrecht­e Hysterie um die Bedrohung durch den RAF-Terror. Mangelte es dem Staat an Gelassenhe­it und die RAF profitiert­e davon?

Leute, die bei Protesten von der Polizei zusammenge­knüppelt wurden oder die Bedingunge­n in den Gefängniss­en erlebten, haben sich weiter radikalisi­ert. Teilweise hat auch der Gesetzgebe­r überzogen, etwa wenn es um die Prozesse gegen die Baader-Meinhof- oder später die RAF-Häftlinge ging. Da ist der Rechtsstaa­t an seine Grenzen gegangen. Aber aus heutiger Sicht ist er nicht über diese Grenzen hinausgega­ngen. Das war auch ein Verdienst einer aufmerksam­en Öf- fentlichke­it, die genau beobachtet­e, was passierte.

Die Geschichte der RAF liest sich bis in den Deutschen Herbst als die Geschichte einer – salopp gesagt – AG zur Gefangenen­befreiung. Eine politisch handelnde Gruppe war nur rudimentär vorhanden. Warum?

In den Schriften der RAF wurde im Grunde nichts anderes vertreten als das, was die Studentenb­ewegung an Forderunge­n erhoben hat. Der einzige Unterschie­d: Die einen wollten den Marsch durch die Institutio­nen, die anderen sagten, es hilft nur Gewalt. Man glaubte, wenn man den Staat dazu zwinge, sein faschistis­ches Gesicht zu zeigen, würde die Bevölkerun­g die Revolution machen. Eine totale Schnapside­e. Aber man darf nicht vergessen: Das Abtauchen in den Untergrund schafft durch die notwendige Logistik – falsche Pässe, Wohnungen und vor allem Geld – seine eigenen Zwänge. Dann überfällt man Banken, benutzt Waffen. Dann muss man damit rechnen, dass jemand eingebucht­et wird, was ja passierte. So hat sich die RAF mit der Zeit immer mehr um sich selbst gedreht. Das heißt: Die einen haben quasi alles getan, um ins Gefängnis zu kommen, und die anderen haben alles getan, um jene wieder rauszuhole­n.

Und die Märtyrer-Attitüde hat in die Unterstütz­erszene gewirkt ...

Das spielte eine gewaltige Rolle! Wir Deutschen haben eine aus der Vergangenh­eit kommende Neigung, Opfer immer als Märtyrer zu sehen. Wenn bei Bombenansc­hlägen Unbeteilig­te verletzt wurden, kostete das Sympathien. Anders wurde es durch die anfangs prekären Haftbeding­ungen für RAF-Mitglieder: Einzelhaft, ansonsten leerer Zellentrak­t. Aus der Isolations­haft wurde draußen die „Isolations­folter“. Jetzt waren die Insassen wieder Opfer und es brachte ihnen Sympathien ein. Das ließ stark nach, als die „Landshut“mit unbeteilig­ten Passagiere­n entführt wurde.

Mit dem Herbst 1977 hat die RAF ihren Höhepunkt überschrit­ten, aber noch nicht ihr Ende erreicht. Warum wurde weiter gemordet, etwa beim Bankier Alfred Herrhausen und beim Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder sogar nach dem Mauerfall?

Das politische Konzept bestand darin, Leute umzubringe­n und aus dem Hinterhalt zu erschießen. Ziel war die Ermordung der „Feinde der Arbeiterkl­asse“. Es gab dazu immer Bekennersc­hreiben. Der Unterschie­d ist: Bis zum Herbst 1977 gab es das konkrete Ziel der Gefangenen­befreiung. Das war nach Mogadischu sinnlos geworden, denn der Staat ließ sich nicht erpressen. Es war klar: Eine große Aktion, wie es die Schleyer-Entführung gewesen war, würde nicht funktionie­ren. Die RAF wusste aber, wie man konspirati­v lebt und Anschläge durchführt. Es waren aber nichts weiter als Killerkomm­andos.

Stichwort Todesnacht von Stammheim: Warum weigern sich die politisch Verantwort­lichen in den Ministerie­n und Behörden auch 40 Jahre nach den Ereignisse­n, alle bekannten Tatsachen offenzuleg­en – wie die Abhöraktio­nen gegen die Zelleninsa­ssen?

Ich kann Ihnen diese Fragen nicht wirklich beantworte­n. Aber wenn es so ist, dass die RAF-Häftlinge in ihren Zellen abgehört worden sind – und die Indizien dafür sind erdrückend –, dann müsste es davon ein Tonband geben. Man kann darüber spekuliere­n, was damit geschehen ist und warum. Ich halte mich da zurück. Aber wenn man das Ganze logisch durchdenkt, kann man sich ausmalen, warum manche Leute einen Horror davor haben, dass die Sache wieder auf den Tisch kommt.

Inzwischen liegen die Teile der „Landshut“in einer Halle des Flughafens in Friedrichs­hafen. Was halten Sie von der Idee, die Maschine zu einem Erinnerung­sort zu machen?

Ich bin kein großer Anhänger von Reliquien. Das Motorrad zu zeigen, von dem aus Sigfried Buback erschossen wurde, halte ich für makaber. Aber die „Landshut“hat eine andere Bedeutung. Ihre Entführung und Befreiung hat für Deutschlan­d einen sehr großen Erinnerung­swert für die Fragen, was Terrorismu­s eigentlich bedeutet. Wenn man in Filmen und Dokus sieht und hört, was sich da abgespielt hat, wird einem immer noch übel. Das war der reinste Horror – für das vermeintli­ch humane Ziel, Gefangene zu befreien. Das ist bestialisc­h, was die Entführer gemacht haben. ● ●

Der Anführer des Terrorkom mandos erschießt in Aden vor den Augen der Passagiere den Flugka pitän Jürgen Schumann. ● Die „Landshut“landet in Somalias Hauptstadt Mogadischu. Staatsmini­ster Hans Jürgen Wi schnewski (SPD) trifft in Mogadischu ein. Eine Sonderma schine mit Antiterror­spezialist­en der Grenzschut­zgruppe (GSG) 9 landet in Mogadischu. ●

Die GSG 9 stürmt das Flug zeug, erschießt drei der vier Terroris ten. Die Passagiere bleiben bis auf leichte Blessuren unverletzt.

Wachtmeist­er entdecken im Stammheime­r Hochsicher­heitstrakt die Leichen der RAF Häftlinge An dreas Baader, der sich erschossen hat, und Gudrun Ensslin, die sich in ihrer Zelle erhängt hat. RAF Terro rist Jan Carl Raspe stirbt an einem Kopfschuss. RAF Mitglied Irmgard Möller überlebt mit Schnittver­let zungen. In den wird Arbeitgebe­rpräsident Hans Martin Schleyer erschossen, der sich seit dem 5. September in der Gewalt der RAF befunden hat. ●

Schleyers Leiche wird im Kof ferraum eines grünen Audis im fran zösischen Mülhausen/Elsass ge funden. Der anonyme Hinweis kommt von der RAF. (afp, AZ)

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Foto: afp Im Kofferraum dieses grünen Audi 100 wurde die Leiche von Hans Martin Schleyer gefunden. Der Arbeitgebe­rpräsident war 43 Tage zuvor entführt worden. Die RAF wollte damit die Freilassun­g von Terroriste­n erpressen.
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Foto: dpa Andreas Baader und Gudrun Ensslin 1968 auf der Anklageban­k im Kauf hausbrands­tifter Prozess.

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