Illertisser Zeitung

„Für manche sind Frauen nichts wert“

Die Zahl der Sexualstra­ftaten ist gestiegen. Immer wieder werden Flüchtling­e beschuldig­t. Asylhelfer aus der Region verraten, wo sie Probleme sehen. Und was Lösungen sein könnten

- VON SEBASTIAN MAYR

Vöhringen, im August: Ein Mann zerrt eine 16-Jährige in ein Gebüsch und berührt sie unsittlich. Die Polizei nimmt einen Asylbewerb­er aus Mali fest. Augsburg, im Mai: Ein Mann packt eine Joggerin und drückt sie zu Boden, die junge Frau kann sich losreißen und flieht. Die Polizei nimmt einen Asylbewerb­er aus Afghanista­n fest. Fälle wie diese lösen Angst in der Bevölkerun­g aus.

München, Mitte September: Der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann legt Zahlen vor, nach denen die Zahl der Vergewalti­gungen durch Zuwanderer im ersten Halbjahr 2017 fast doppelt so hoch war wie im Vorjahresz­eitraum. Eine gute Woche später rudert der Minister zurück: Ein Grund für den dramatisch­en Anstieg sei eine Verschärfu­ng des Sexualstra­frechts. Seither zählen auch sexuelle Übergriffe und sexuelle Nötigung statistisc­h gesehen als Vergewalti­gung. Doch wie ist die Situation nun wirklich? Wo liegen die Probleme? Wie steht es um das Frauenbild der Flüchtling­e? Wir haben Asylhelfer gebeten, uns ihre Erfahrunge­n zu schildern.

Ingrid Strohmayr ist Asylkoordi­natorin der Stadt Stadtberge­n im Kreis Augsburg, wo etwa 220 Flüchtling­e leben. Dort veranstalt­eten die Ehrenamtli­chen Prävention­sgespräche mit der Botschaft: „Ihr seid Gäste in Deutschlan­d, ihr habt euch dementspre­chend zu benehmen.“Übergriffe habe es in Stadtberge­n nicht gegeben. Nur über einen Fall rätselt Strohmayr: Ein Mann aus Pakistan hatte in einer Unterkunft eine Ukrainerin bedrängt. „Wir sind immer noch nicht ganz sicher, wer recht hatte“, sagt Strohmayr. Denn die Frau habe dem Mann zuvor immer wieder Geschenke gemacht, die dieser als Einladung missversta­nden habe.

Worin die Stadträtin ein Problem sieht, ist der Wert der Frau im Weltbild mancher Flüchtling­e. Sie berichtet von einer Frau, die nach dem dritten Kaiserschn­itt auf Drängen der Helfer hin begonnen habe, die Pille zu nehmen. Ein weiterer Kaiserschn­itt hätte ein hohes Risiko dargestell­t. Ihr Mann habe daraufhin zugeschlag­en. Er habe seine Ehre verletzt gesehen. Die Asylhelfer seien eingeschri­tten und hätten weitere Übergriffe verhindert.

Anke Heinroth koordinier­t die Arbeit der Asylhelfer in Kempten. In der kreisfreie­n Stadt sind etwa 620 Flüchtling­e in Unterkünft­en untergebra­cht. Heinroth kritisiert, dass die Gleichbere­chtigung der Frau den Flüchtling­en nicht vorgelebt werde: „Die Werbung ist so ein Beispiel, da sind Frauen immer nur als sexuell konnotiert­e Beigabe dargestell­t.“Konflikte gebe es immer wieder, vor allem innerhalb der Unterkünft­e. Wenn dann die Polizei kommt, interpreti­erten die Beamten den Streit zwischen Mann und Frau manchmal als sexuellen Übergriff – obwohl oft kein sexuelles Motiv dahinterst­ehe.

Aus Heinroths Sicht liegt ein Problem darin, dass wenige Frauen und viele Männer auf engstem Raum zusammenle­ben. Heinroth weiß aus Gesprächen, dass sich manche Frauen nachts nicht trauen, auf die Toilette zu gehen. „Das spricht für sich“, findet sie. Sie fordert ein Schutzkonz­ept für geflüchtet­e Frauen: „Wir haben im Juli eine Frauenunte­rkunft für Kempten beantragt. Man hat uns gesagt, das sei der erste derartige Antrag im Regierungs­bezirk Schwaben überhaupt.“

Wenn es Übergriffe gebe, sind aus Heinroths Erfahrung eher Asylbewerb­erinnen betroffen. Sie glaubt nicht, dass kulturelle Gründe entscheide­nd sind: „Hätten wir eine Einrichtun­g mit 150 deutschen Jugendlich­en, die den gleichen Restriktio­nen unterliege­n, hätten wir auch Probleme.“Dennoch sei eine sozialpäda­gogische Männerarbe­it wichtig, um die in Deutschlan­d geltenden Werte und Gesetze zu vermitteln.

Thomas Reuß betreut seit Mai 2015 für die Rummelsber­ger Diakonie Wohngemein­schaften von 30 unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­en in Bad Wörishofen im Unterallgä­u. „In dieser Zeit ist bei uns nichts vorgekomme­n“, betont Reuß. Er hat festgestel­lt, wie schwer sich die jungen Flüchtling­e mit dem Thema Frauen tun. Viele seien konservati­ver als junge Deutsche – und ihnen fehle die Begleitung der Eltern. Reuß nennt ein Beispiel: „Es gibt Jungs, die fragen, wenn ich eine Frau heiraten will, muss ich vorher mit ihr schlafen?“In vielen Herkunftsl­ändern gebe es keine selbstbest­immten Frauen. Er und seine Kollegen arbeiten daran, das Frauenbild der Jugendlich­en zu verändern.

Hans Kohler betreut Flüchtling­e in Thannhause­n im Landkreis Günzburg. Für sein Engagement ist er von unserer Zeitung mit der Silberdist­el ausgezeich­net worden. Für die derzeit knapp 50 Asylbewerb­er ist Kohler Respektspe­rson und „Papa“– so nennen sie ihn. Einmal hat der 72-Jährige mitbekomme­n, wie ein Mann aus Eritrea eine deutsche Frau anbaggerte. „Ich habe ihn mir geschnappt und ihm klargemach­t, dass Frauen hier kein Freiwild sind“, berichtet er. „Für manche sind Frauen nichts wert“, sagt der 72-Jährige. Ein Mann sei zu einem Jahr Haft verurteilt worden, weil er seine Frau immer wieder geschlagen habe. Dennoch fasst Kohler zusammen: „Bei uns ist alles ziemlich friedlich.“

Viele Männer und wenige Frauen auf engstem Raum

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Foto: Sebastian Kahnert, dpa Asylhelfer aus der Region haben festgestel­lt, dass das Frauenbild männlicher Flücht linge oft ein Problem ist.

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