Ewige Wiederkehr des Nationalismus
In Katalonien von links, bei uns von rechts: An Epochenbrüchen kippt die Frage der Volks-Identität immer wieder ins Extreme. Eine Begegnung mit der Vergangenheit auf dem sorgenvollen Weg in die Zukunft
Es ist eine historische Binsenweisheit: Jede Nation hat ihre eigene Geschichte. An einem Epochenbruch aber, wie er sich gerade global abzeichnet, entwickeln sich aus dieser Selbstverständlichkeit in unschöner Regelmäßigkeit identitäre Konflikte. Eine technische Revolution, eine wirtschaftliche Krise, kulturelle Verschiebungen – und mit dem plötzlich prekär gewordenen politischen Klima steht die nationale Frage wieder auf dem Programm. Damit steht jedes Land wieder aufs Neue vor seiner eigenen Geschichte.
Die deutsche weist dabei am heutigen 18. Oktober eine Wegmarke auf. 200 Jahre ist es her, dass sich zum Jubiläum des Reformationsbeginns auf der mit Luther unzertrennlich verbundenen Wartburg bei Eisenach vor allem Studenten versammelten, um für ein Ende der „Kleinstaaterei“zu protestieren. Im Fackelschein erhitzten sie sich dafür, größer zu denken; sie forderten einen Nationalstaat mit eigener Verfassung. Ihre Gegner nannten sie „Reaktionäre“und deren Schriften übergaben sie – ein Fanal deutscher Geschichte – dem Feuer. Der fortschrittliche Geist dieses Wartburgfests ist es, der später in Hoffmann von Fallerslebens „Lied der Deutschen“besungen wird, beginnend mit „Deutschland, Deutschland über alles“. Und die Geschichte der Umdeutung dieser Zeile sowie die Tatsache, dass sie heute nicht mehr gesungen wird, zeigen, wie sich in folgenden Epochenbrüchen die Frage der Nation gedreht hat.
Dazwischen nämlich lag die Aufspaltung der Politik in links und rechts: Aus den liberalen Kräften wurde ein internationalistisches, aus den beharrenden ein nationalistisches Extrem. 1867, vor jetzt 150 Jahren, erschien der erste Band von Karl Marx’ „Das Kapital“; 1917, vor 100 Jahren, formierte sich mitten in der Katastrophe des Ersten Weltkriegs die radikale Rechte; 1967, vor 50 Jahren, saß die NPD in sieben Landesparlamenten und die Studentenrevolte bestürmte die Republik von links. 1992, vor 25 Jahren, eskalierte nach dem Untergang des Sozialismus und nach der Wiedervereinigung der rechtsextreme Aufstand vor allem im Osten; und heute, 2017, wurde erstmals eine rechte Partei zur drittstärksten Kraft im deutschen Bundestag gewählt. Immer stand die Frage des Nationalen im Zentrum der Entwicklung. Wie wird es in 25, in 50 Jahren damit aussehen, da die Finanzkrisen doch längst nicht bewältigt, die Probleme der EU noch nicht geklärt scheinen und die Verschiebungen in politische Extreme weltweit erst so richtig Gestalt annehmen?
Der Kontrast schärft den Blick. In Katalonien etwa haben die Erschütterungen der vergangenen Jahre zu einem Linksruck geführt. Vor der Finanzkrise konnten die Separatisten nur auf etwa zehn Prozent an Rückhalt in der Bevölkerung bauen – seit 2007 haben sie sich also in etwa vervierfacht. Die Identität ist Grund für eine Revolte gegen eine bevormundende Zentralmacht. Und die ist seit der Franco-Diktatur eindeutig ein Feind von rechts – und erscheint in den aktuellen Krisen Spaniens zudem als schädliche Vergemeinschaftung. Die vermeintlich alles heilende Utopie der Unabhängigkeit richtet sich darum gegen die größere Einheit, die hier die Nation ist. Und der linke Traum läuft auf eine freie Region hinaus, kulturell ganz bei sich – die aber doch irgendwann
Das Ende der Gewissheiten
im internationalen Verbund der EU akzeptiert sein soll.
So steht Spanien neu vor seiner Geschichte, die mit ihren Streitigkeiten über die Zusammenlegung regionaler Königreiche Jahrhunderte zurückreicht. So haben italienische Separatisten in der Lombardei, französische auf Korsika ihre jeweiligen Erzählungen. So stehen auch Griechenland und Venezuela im Spannungsfeld historischer Kämpfe gegen eine Zentralmacht. Links ist daran, wenn überhaupt etwas, die Folklore. Gerade diese könnte als Identitätssiegel in Zeiten der Globalisierung aber an Bedeutung zulegen. Nicht wenige EU-Visionäre sehen darin ja sogar die Chance, die Starrheit der Nationalstaaten zu einem Europa der Regionen umzubauen.
Das aber stößt sich hart mit den in Zeiten des Umbruchs vielerorts wachsenden Rechten. Die Extreme mögen sich in ihrem Pochen auf die eigene Identität, der Feindschaft gegen herrschende Eliten, im Anspruch der Anwaltschaft für „die einfachen Leute“mehr berühren als je zuvor. Der Nationalismus aber ist rechts, weil er – ob in Trumps Amerika oder in der AfD – die eigene Stärke und Unabhängigkeit absolut setzt. Wiederhergestellt, bewahrt werden muss die völlige Souveränität. Der linke Separatist kann gut Europäer sein, der rechte Aktivist niemals. Dem Linken kann die Nation nur als zeitweise notwendiges Übel erscheinen, dem Rechten muss sie letztes Ziel sein.
Nach der klassisch rechten Erzählung nämlich ist das eigene tüchtige Volk zu schützen gegen die Gierigen und die Schmarotzer – und das sind die anderen. Es kann höchstens ein Nebeneinander von Staaten mit geschlossenen Grenzen geben. Weil Autarkie aber spätestens in einer globalisierten Wirtschaftswelt wie reine Utopie wirkt, ist die Neue Rechte im Ökonomischen inzwischen nicht selten liberal – wenn es das Innere stützt und dem Eigenen nützt. Die generelle Feindschaft gegenüber dem globalen Finanzkapital kann ruhig links bleiben, solange das Anprangern eines Versagens des Staates in und an den eigenen Grenzen zeitgemäß rechts klingt. Denn am nationalen Interesse allein hat sich diese Neue Rechte in der Folge von Finanz- und Flüchtlingskrise aufgerichtet.
In Deutschland bedeutet das: Eine Linie erstarkt, die sich seit 100 Jahren mal deutlich sichtbar, mal im Untergrund, aber lückenlos durch die Geschichte zieht: von völkischen Vordenkern einer „konservativen Revolution“von einst wie Arthur Moeller van den Bruck und Armin Mohler zu den heutigen Vordenkern wie Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek.
Die Gaulands („Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen!“) und die Höckes („Ich will, dass Deutschland nicht nur eine tausendjährige Vergangenheit hat. Ich will, dass Deutschland auch eine tausendjährige Zukunft hat.“): Sie könnten bloße Erscheinungen der aktuellen politischen Krise sein. Und mit ihrem Auftreten könnten sie zu deren Lösung beitragen – und wieder verschwinden. Aber die geistige Wurzel wird bleiben. Sie ist unauslöschlich Teil der deutschen Geschichte. Im Umgang damit muss sich dieses Land an jeder historischen Schwelle neu beweisen. Das ist deutsche Identität. Es wäre ein ganz anderes Signal als vor 200 Jahren, wenn Nationalismus hier je wieder als fortschrittlich erschiene.
Völkische Vordenker einer konservativen Revolution