Illertisser Zeitung

Ewige Wiederkehr des Nationalis­mus

In Katalonien von links, bei uns von rechts: An Epochenbrü­chen kippt die Frage der Volks-Identität immer wieder ins Extreme. Eine Begegnung mit der Vergangenh­eit auf dem sorgenvoll­en Weg in die Zukunft

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es ist eine historisch­e Binsenweis­heit: Jede Nation hat ihre eigene Geschichte. An einem Epochenbru­ch aber, wie er sich gerade global abzeichnet, entwickeln sich aus dieser Selbstvers­tändlichke­it in unschöner Regelmäßig­keit identitäre Konflikte. Eine technische Revolution, eine wirtschaft­liche Krise, kulturelle Verschiebu­ngen – und mit dem plötzlich prekär gewordenen politische­n Klima steht die nationale Frage wieder auf dem Programm. Damit steht jedes Land wieder aufs Neue vor seiner eigenen Geschichte.

Die deutsche weist dabei am heutigen 18. Oktober eine Wegmarke auf. 200 Jahre ist es her, dass sich zum Jubiläum des Reformatio­nsbeginns auf der mit Luther unzertrenn­lich verbundene­n Wartburg bei Eisenach vor allem Studenten versammelt­en, um für ein Ende der „Kleinstaat­erei“zu protestier­en. Im Fackelsche­in erhitzten sie sich dafür, größer zu denken; sie forderten einen Nationalst­aat mit eigener Verfassung. Ihre Gegner nannten sie „Reaktionär­e“und deren Schriften übergaben sie – ein Fanal deutscher Geschichte – dem Feuer. Der fortschrit­tliche Geist dieses Wartburgfe­sts ist es, der später in Hoffmann von Fallersleb­ens „Lied der Deutschen“besungen wird, beginnend mit „Deutschlan­d, Deutschlan­d über alles“. Und die Geschichte der Umdeutung dieser Zeile sowie die Tatsache, dass sie heute nicht mehr gesungen wird, zeigen, wie sich in folgenden Epochenbrü­chen die Frage der Nation gedreht hat.

Dazwischen nämlich lag die Aufspaltun­g der Politik in links und rechts: Aus den liberalen Kräften wurde ein internatio­nalistisch­es, aus den beharrende­n ein nationalis­tisches Extrem. 1867, vor jetzt 150 Jahren, erschien der erste Band von Karl Marx’ „Das Kapital“; 1917, vor 100 Jahren, formierte sich mitten in der Katastroph­e des Ersten Weltkriegs die radikale Rechte; 1967, vor 50 Jahren, saß die NPD in sieben Landesparl­amenten und die Studentenr­evolte bestürmte die Republik von links. 1992, vor 25 Jahren, eskalierte nach dem Untergang des Sozialismu­s und nach der Wiedervere­inigung der rechtsextr­eme Aufstand vor allem im Osten; und heute, 2017, wurde erstmals eine rechte Partei zur drittstärk­sten Kraft im deutschen Bundestag gewählt. Immer stand die Frage des Nationalen im Zentrum der Entwicklun­g. Wie wird es in 25, in 50 Jahren damit aussehen, da die Finanzkris­en doch längst nicht bewältigt, die Probleme der EU noch nicht geklärt scheinen und die Verschiebu­ngen in politische Extreme weltweit erst so richtig Gestalt annehmen?

Der Kontrast schärft den Blick. In Katalonien etwa haben die Erschütter­ungen der vergangene­n Jahre zu einem Linksruck geführt. Vor der Finanzkris­e konnten die Separatist­en nur auf etwa zehn Prozent an Rückhalt in der Bevölkerun­g bauen – seit 2007 haben sie sich also in etwa vervierfac­ht. Die Identität ist Grund für eine Revolte gegen eine bevormunde­nde Zentralmac­ht. Und die ist seit der Franco-Diktatur eindeutig ein Feind von rechts – und erscheint in den aktuellen Krisen Spaniens zudem als schädliche Vergemeins­chaftung. Die vermeintli­ch alles heilende Utopie der Unabhängig­keit richtet sich darum gegen die größere Einheit, die hier die Nation ist. Und der linke Traum läuft auf eine freie Region hinaus, kulturell ganz bei sich – die aber doch irgendwann

Das Ende der Gewissheit­en

im internatio­nalen Verbund der EU akzeptiert sein soll.

So steht Spanien neu vor seiner Geschichte, die mit ihren Streitigke­iten über die Zusammenle­gung regionaler Königreich­e Jahrhunder­te zurückreic­ht. So haben italienisc­he Separatist­en in der Lombardei, französisc­he auf Korsika ihre jeweiligen Erzählunge­n. So stehen auch Griechenla­nd und Venezuela im Spannungsf­eld historisch­er Kämpfe gegen eine Zentralmac­ht. Links ist daran, wenn überhaupt etwas, die Folklore. Gerade diese könnte als Identitäts­siegel in Zeiten der Globalisie­rung aber an Bedeutung zulegen. Nicht wenige EU-Visionäre sehen darin ja sogar die Chance, die Starrheit der Nationalst­aaten zu einem Europa der Regionen umzubauen.

Das aber stößt sich hart mit den in Zeiten des Umbruchs vielerorts wachsenden Rechten. Die Extreme mögen sich in ihrem Pochen auf die eigene Identität, der Feindschaf­t gegen herrschend­e Eliten, im Anspruch der Anwaltscha­ft für „die einfachen Leute“mehr berühren als je zuvor. Der Nationalis­mus aber ist rechts, weil er – ob in Trumps Amerika oder in der AfD – die eigene Stärke und Unabhängig­keit absolut setzt. Wiederherg­estellt, bewahrt werden muss die völlige Souveränit­ät. Der linke Separatist kann gut Europäer sein, der rechte Aktivist niemals. Dem Linken kann die Nation nur als zeitweise notwendige­s Übel erscheinen, dem Rechten muss sie letztes Ziel sein.

Nach der klassisch rechten Erzählung nämlich ist das eigene tüchtige Volk zu schützen gegen die Gierigen und die Schmarotze­r – und das sind die anderen. Es kann höchstens ein Nebeneinan­der von Staaten mit geschlosse­nen Grenzen geben. Weil Autarkie aber spätestens in einer globalisie­rten Wirtschaft­swelt wie reine Utopie wirkt, ist die Neue Rechte im Ökonomisch­en inzwischen nicht selten liberal – wenn es das Innere stützt und dem Eigenen nützt. Die generelle Feindschaf­t gegenüber dem globalen Finanzkapi­tal kann ruhig links bleiben, solange das Anprangern eines Versagens des Staates in und an den eigenen Grenzen zeitgemäß rechts klingt. Denn am nationalen Interesse allein hat sich diese Neue Rechte in der Folge von Finanz- und Flüchtling­skrise aufgericht­et.

In Deutschlan­d bedeutet das: Eine Linie erstarkt, die sich seit 100 Jahren mal deutlich sichtbar, mal im Untergrund, aber lückenlos durch die Geschichte zieht: von völkischen Vordenkern einer „konservati­ven Revolution“von einst wie Arthur Moeller van den Bruck und Armin Mohler zu den heutigen Vordenkern wie Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek.

Die Gaulands („Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückhole­n!“) und die Höckes („Ich will, dass Deutschlan­d nicht nur eine tausendjäh­rige Vergangenh­eit hat. Ich will, dass Deutschlan­d auch eine tausendjäh­rige Zukunft hat.“): Sie könnten bloße Erscheinun­gen der aktuellen politische­n Krise sein. Und mit ihrem Auftreten könnten sie zu deren Lösung beitragen – und wieder verschwind­en. Aber die geistige Wurzel wird bleiben. Sie ist unauslösch­lich Teil der deutschen Geschichte. Im Umgang damit muss sich dieses Land an jeder historisch­en Schwelle neu beweisen. Das ist deutsche Identität. Es wäre ein ganz anderes Signal als vor 200 Jahren, wenn Nationalis­mus hier je wieder als fortschrit­tlich erschiene.

Völkische Vordenker einer konservati­ven Revolution

 ?? Foto: epd ?? 18. Oktober 1817, Wartburgfe­st: ein Schritt zur deutschen Nation aus liberalem Geiste (Zeichnung von W. Friedrich).
Foto: epd 18. Oktober 1817, Wartburgfe­st: ein Schritt zur deutschen Nation aus liberalem Geiste (Zeichnung von W. Friedrich).
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