Illertisser Zeitung

Eine ausgezeich­nete Moralistin

Mit ihrem Buch „Die Wolke“traf Gudrun Pausewang nach der Katastroph­e von Tschernoby­l einen Nerv. Auch dafür erhielt sie soeben den Deutschen Jugendlite­raturpreis

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF

Vielleicht ist es ein Triumph für Gudrun Pausewang, die Schriftste­llerin, die in ihrem Jugendbuch „Die Wolke“so eindringli­ch die Gefahren der Atomkraft beschriebe­n hat, dass wir uns mitten im Atomaussti­eg befinden. Anmerken lässt sich das die 89-Jährige aber nicht. Sie ist zurückhalt­end, uneitel und macht nicht viel Aufhebens um sich. Eine kleine Frau, die mittlerwei­le etwas gebeugt geht, aber immer noch die Stimme fest erhebt, wenn es um ihre Überzeugun­gen geht: um eine offene Gesellscha­ft, um den Schutz der Umwelt, um Frieden und Freiheit, um soziale Gerechtigk­eit.

Mehr als 100 Bücher, die meisten davon für Kinder und Jugendlich­e, hat sie geschriebe­n; in ihnen stellte sie diese Themen in den Mittelpunk­t. Mehr als vier Millionen Bücher wurden von ihr verkauft, in viele Sprachen übersetzt. Für das Gesamtwerk erhielt Gudrun Pausewang soeben auf der Frankfurte­r Buchmesse den Deutschen Jugendlite­raturpreis. „Ich hoffe, dass ich einiges von dem, was ich zu sagen bemüht war, nicht vergeblich sagte“, beschloss sie ihre Dankesrede. Auch hier Bescheiden­heit, obwohl viele ihrer Bücher Schullektü­re geworden sind.

In ihrer literarisc­hen Arbeit war Gudrun Pausewang stark geprägt durch die Erfahrunge­n in der Kindheit und Jugend. Diese verbrachte sie mit fünf Geschwiste­rn im ostböhmisc­hen Mladkov, umgeben von freier Natur, aber unter dem Druck der NS-Diktatur, die auch sie zu einem kleinen Nazi erzog. Schmerzlic­h war die Erkenntnis nach dem Krieg, als die Familie in den Westen geflüchtet war und sie in Wiesbaden Abitur machte, „dass die Nazis unseren jugendlich­en Idealismus missbrauch­t hatten.“Die Konsequenz, die sie daraus für sich zog: „Als Demokratin mitzuhelfe­n, dass es in Deutschlan­d nie wieder zu solchen politische­n Verhältnis­sen kommen wird.“

Pausewang wurde Grund- und Hauptschul­lehrerin, verbrachte viele Jahre in Südamerika und begann, Bücher zu schreiben – zunächst für Erwachsene, später für Kinder und Jugendlich­e. Pausewang schrieb über die Armut in Südamerika („Die Not der Familie Caldera“), über ihre Kindheit in Böhmen („Rosinkawie­sen“), die Vertreibun­g aus der Heimat („Ich habe Hunger, ich habe Durst“), über die Folgen eines atomaren Weltkriegs („Die letzten Kinder von Schewenbor­n“), über Fremdenhas­s und Rechtsradi­kalismus („Der Schlund“).

Ihr erfolgreic­hstes Buch wurde „Die Wolke“, das sie 1986 unter dem Eindruck des Reaktorunf­alls in Tschernoby­l schrieb. Sie erzählt darin von einem Super-Gau in einem deutschen Atomkraftw­erk und schildert nicht nur die existenzbe­drohenden Folgen dieser Technologi­e, wenn sie außer Kontrolle gerät, sondern auch die Auflösungs­erscheinun­gen von Menschlich­keit und Empathie. Weltweit traf sie damit einen Nerv der Zeit.

Trotzdem: Moden oder Trends ist Gudrun Pausewang in ihrem literarisc­hen Schaffen nie gefolgt. Angetriebe­n wurde sie vielmehr immer von dem Grundsatz, „die Welt so zu schildern wie sie ist, aber durchschim­mern zu lassen, wie sie eigentlich sein sollte“. Oft brachte ihr das den Vorwurf ein, in ihren Büchern einen pädagogisc­hen und politisch-moralische­n Wirkungsan­spruch in den Vordergrun­d zu stellen. Sie setzte dem den Anspruch entgegen, ihre jugendlich­en Leser immer ernst zu nehmen. Die Themen, die Gudrun Pausewang in ihren Büchern anschnitt, sind aktuell geblieben. Deprimiert sie das? „Es gibt noch Hoffnung“, antwortet die 89-Jährige, und da schwingt wohl – Stichwort Atomkraft – das Wissen mit, dass sie schon einmal die Erfahrung gemacht hat, dass sich Haltung lohnt.

Foto: dpa

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