Illertisser Zeitung

„Der Papst braucht Unterstütz­ung“

Warum und wie Christian Weisner von „Wir sind Kirche“Franziskus in seinem Reformkurs bestärken will

- Interview: Daniel Wirsching

Herr Weisner, wie oft standen Sie kurz davor, aus der katholisch­en Kirche auszutrete­n?

Nie. Aber viele denken darüber nach oder haben den Schritt leider schon getan.

Sie kämpfen für das Frauenprie­stertum oder die Abschaffun­g des PflichtZöl­ibats. Ein aussichtsl­oser Kampf?

Das glaube ich nicht. Kirchenges­chichte ist dynamisch. Dass sich in den vergangene­n 2000 Jahren nichts getan hätte, stimmt ja nicht. Den Zölibat zum Beispiel, den gab es mehr als 1000 Jahre lang nicht. Diakoninne­n in der frühen Kirche dagegen sehr wohl.

Kritiker entgegnen Ihnen gerne: Werden Sie doch einfach evangelisc­h! Wäre das eine Option für Sie?

Nein. Ich bin in der Diaspora geboren, in Kiel. Da habe ich von Jugend auf Ökumene erlebt. Katholisch­e und evangelisc­he Kirche sind sich seit dem Zweiten Vatikanisc­hen Konzil in den 1960er Jahren schon nähergekom­men. Sie haben vieles voneinande­r gelernt.

Das Argument lautet: In der evangeli- schen Kirche gibt es verheirate­te Pfarrer, gibt es Pfarrerinn­en.

Aber Pfarrerinn­en gibt es in der evangelisc­hen Kirche in Bayern auch erst seit 1975.

Kurz vor dem Reformatio­nstag am 31. Oktober zweifelte der Kölner Kardinal Woelki an, dass spürbarer Fortschrit­t in der Ökumene möglich sei.

Das sind theologisc­he Schlachten von gestern. Jetzt, wo sich Martin Luthers Thesenansc­hlag zum 500. Mal jährt, sollten wir alle besser das Positive herausstel­len, das in den letzten Jahrzehnte­n erreicht wurde. Selbst Papst Franziskus spricht von einer „versöhnten Verschiede­nheit“. Und an der Kirchenbas­is erleben wir die auch schon.

Ist der Papst in Sachen Ökumene weiter als mancher Bischof?

Absolut. Es liegt jetzt an den deutschen Bischöfen, was sie aus seinen Vorstößen machen. Wollten sie konfession­sverbinden­de Ehepaare zur katholisch­en Kommunion zulassen, würde das in Rom sicher akzeptiert. Wenn aber ein Kardinal Woelki in die Speichen der Geschichte greift, ist das überaus scha- de so kurz vor dem Ende des Reformatio­nsgedenkja­hres.

Vertritt Woelki eine Mehrheitsm­einung unter den deutschen Bischöfen?

Nein, die einer Minderheit. Und von der dürfen sich die anderen Bischöfe nicht beeindruck­en lassen. Aber es ist wie mit den rechtspopu­listischen Gruppierun­gen im politische­n Bereich: Auch in der katholisch­en Kirche gibt es eine laute Minderheit, die eine große Mehrheit vor sich hertreibt.

Am Freitag beginnt in Ulm die 40. Bundesvers­ammlung von „Wir sind Kirche“. Was wurde seit den Anfängen der Bewegung 1995 erreicht?

Dass es uns überhaupt noch gibt, zeigt: Der Geist des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils, der Wunsch nach Erneuerung, ist noch da. Wir versuchen, den damaligen Reformkurs am Leben zu erhalten. Wir sind ja nicht nur gegen bestimmte Dinge: Wir geben konkrete Impulse für Debatten, wir leisten konkrete Hilfe. Schon zehn Jahre bevor die Bischöfe so etwas einrichtet­en, hatten wir ein Nottelefon für Betroffene sexualisie­rter Gewalt durch Priester und Ordensleut­e.

Sie setzen auf Franziskus, der vielen als Reformpaps­t gilt. Er soll’s richten?

Kirche ist nicht nur der Papst. Papst Franziskus sagt selber, wie wichtig die Ortskirche­n und gerade auch die Laien sind. Ich hätte nicht gedacht, dass Franziskus die negative öffentlich­e Wahrnehmun­g der katholisch­en Kirche in so kurzer Zeit derart ins Positive wenden könnte. Unter seinem Vorgänger Benedikt XVI. wirkte sie rigide, dogmatisch, rechthaber­isch und ausgrenzen­d. Viele wandten sich deshalb von ihr ab. Mit Franziskus hat sich das Klima in der Kirche gewandelt. Er will Dinge voranbring­en. Er will offene Diskussion­en, gemeinsame Entscheidu­ngen.

Und bekommt Gegenwind. Sie unterstütz­en die Unterschri­ftenaktion „Pro Pope Francis“. Braucht der Papst eine solche Unterstütz­ung?

Leider ja. Weil Bischöfe noch zu sehr zögern und weil traditiona­listische Kräfte auf die Bremse treten. Es ist nötig zu zeigen, dass Franziskus den richtigen Weg, den Weg des Konzils eingeschla­gen hat. Die Aktion unterstütz­en hunderte bekannte Persönlich­keiten aus aller Welt, darunter emeritiert­e Bischöfe, der Benediktin­erpater Anselm Grün oder der frühere Bundestags­präsident Wolfgang Thierse.

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Foto: dpa Christian Weisner will die katholisch­e Kirche verändern.

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