Illertisser Zeitung

Unvorstell­bar – und doch möglich

Italien droht tatsächlic­h das WM-Aus. Nationaltr­ainer Ventura versucht es schon mal mit Realitätsv­erdrehung

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN (dpa)

Großen Ereignisse­n gehen oft große Worte voran. Daniele De Rossi schwang sich vor den entscheide­nden Spielen zwischen Italien und Schweden zu einem Appell an die Nation auf, den man sonst eher nicht zwischen Turin und Taranto zu hören bekommt. „Jetzt ist der Moment gekommen, um Italien beizustehe­n“, sagte der Mittelfeld­spieler vom AS Rom und klang dabei wie ein kleiner Giuseppe Garibaldi vor seinen tausend Freiheitsk­ämpfern. „Roma-Fans, Laziali und Juventini, alle zusammen. Denn die WM ist alles.“

Wenn in Italien die Rivalitäte­n ins zweite Glied rücken sollen, dann muss viel auf dem Spiel stehen. Zwei Partien trennen den viermalige­n Weltmeiste­r von der Teilnahme an der WM 2018 in Russland. Gegner

„Gomez und Wagner kann man sicher beide gebrauchen. Die Frage ist, ob im Gesamtkade­r für beide Platz ist“, sagte Löw schon mal in Richtung WM. „Ich versuche, meine Hausaufgab­en zu machen. Alles andere kommt von allein“, sagte Wagner. „Wenn ich zu viel an die WM denke, stört das meine tägliche Arbeit.“Deshalb will er sich auch noch nicht mit möglichen Konkurrenz­situatione­n beschäftig­en: „Ich klaue jetzt dem Timo Werner nicht das Shampoo aus dem Zimmer, um ihn aus dem Rhythmus zu bringen.“

Er versuche einfach „gut zu spielen und Tore zu machen. Alles andere entscheide­t der Herr Löw.“Natürlich wurde Wagner in Berlin auch wieder auf jene Tage im Frühjahr 2015 angesproch­en, als er vom damals neuen Hertha-Trainer Pal Dardai auf das Abstellgle­is geschoben wurde und auf dem Trainingsp­latz allein Bälle auf das leere Tor schießen musste. „Ich habe eine andere Karriere gehabt, nicht so in den Play-offs ist Schweden, erst an diesem Freitag in Solna (20.45 Uhr) und dann am Montag in Mailand. Die Ausgangspo­sition für beide Teams könnte unterschie­dlicher nicht sein. Wenn Schweden sich durchsetzt, wäre es eine Sensation. Scheitern die Italiener, handelte es sich um eine historisch­e Schmach. Seit 1958 verpasste die Squadra Azzurra keine WM-Endrunde mehr.

Wohl aus diesem Grund übte sich Trainer Gian Piero Ventura in der Kunst der Realitätsv­erdrängung. Die Idee eines Scheiterns wolle der 69-Jährige sich gar nicht erst vorstellen. „Wir werden nach Russland fahren“, behauptete Ventura. Es genüge, dass Italien wie Italien spiele. Was das heißen soll, ist im Jahr 2017 nicht eindeutig auszumache­n. Ventura war 2016 gekommen, um einen Generation­swechsel voranzubri­ngen. Das Team, das unter seinem glanzvoll wie der Mann neben mir“, bemerkte Wagner mit Blick auf Sami Khedira, der beim Pressegesp­räch neben ihm saß. „Gewisse Situatione­n haben mich auch geprägt als Mensch, deshalb möchte ich sie nicht missen.“

Auch die Schüsse auf das leere Tor in Berlin hätten ihn weitergebr­acht, bemerkte der Angreifer. „Ich habe jetzt eine ordentlich­e Quote, deshalb bin ich dem Trainer in Berlin auch dankbar, dass ich mal ohne Torwart draufschie­ßen konn- Vorgänger Antonio Conte eine ausgezeich­nete EM spielte und im Viertelfin­ale gegen Deutschlan­d scheiterte, stotterte zuletzt wie ein alter Fiat. Erst ging Italien in der WMQualifik­ation mit 0:3 gegen Spanien unter, die direkte Qualifikat­ion war damit unmöglich. te“, ergänzte Wagner mit einem Lächeln. 2009 hatte Wagner mit Khedira zu jener U21-Auswahl gehört, die im Finale gegen England die EM gewann und einige Spieler dann bis zu Weltmeiste­rn aufstiegen (Neuer, Özil, Höwedes, Boateng). Wagner nahm einen ungewöhnli­chen Umweg. „Wir haben kurz darüber gesprochen, welche Spieler wir im Aufgebot hatten“, berichtete Juventus-Star Khedira und lobte den damals zweifachen Finaltorsc­hützen Wagner. „Es gehört dazu, wenn Anschließe­nd blamierten sich die Azzurri mit einem 1:1 gegen Mazedonien, dem eine Aussprache der Mannschaft folgte. Ergebnis: Die jüngeren Spieler sind sich ihrer Verantwort­ung nicht bewusst, die alten Kämpen müssen den Karren wieder mal aus dem Dreck ziehen. So ist zu erklären, dass vor den Schweden-Spielen vom Generation­swechsel fast nichts übrig geblieben ist. „Was jetzt zählt, ist die Erfahrung“, sagt Ventura. Er will in Schweden mit dem von seinem Vorgänger etablierte­n 3-5-2-System spielen lassen und setzt auf das bewährte, aber leicht rostbefall­ene Grundgerüs­t aus Torwart Gigi Buffon, Giorgio Chiellini, Leonardo Bonucci und Andrea Barzagli, die zusammen 138 Jahre alt sind. man in jungen Jahren einen Fehler macht. Es ist bemerkensw­ert, wie man dann reift als Person“, sagte Khedira, der Wagner nach über acht Jahren zum ersten Mal überhaupt wiedersah.

„Sandro ist ein Vorbild für alle anderen, dass man nicht aufgeben darf.“In fünf Länderspie­len hat der gebürtige Münchner fünf Tore erzielt. „Bei Hoffenheim ist er ein entscheide­nder Mann, dass man um die Champions League mitspielt“, betonte Khedira.

Über Schweden zerbrechen sich vor allem die erfahrenen Spieler den Kopf. Der Mannschaft um Emil Forsberg (Red Bull Leipzig) gelang in der Quali ein 2:1-Sieg gegen Frankreich, Schweden ließ in der Gruppe auch die Niederland­e hinter sich. Buffon hört sich vorsichtig an: „Ihr methodisch­es Vorgehen ist furchterre­gend. Sie machen immer dasselbe, aber das machen sie gut.“Gemeint ist die defensive Solidität der Schweden, die ohne ihren aus der Nationalel­f zurückgetr­etenen Star Zlatan Ibrahimovi­c befreiter spielen. Für Buffon steht in den beiden Partien ein Rekord auf dem Spiel. Der 39-Jährige kalkuliert­e mit der WM in Russland als Bühne für sein Karriereen­de. Buffon wäre dann der erste Spieler überhaupt mit sechs WM-Teilnahmen. Für ihn ist der Grat zwischen Legende und Loser besonders schmal. dauerte ihm zu lange, ehe verletzte Spieler wieder auf dem Platz standen. Wobei wir wieder bei Hippokrate­s wären. Der nämlich formuliert­e in seinem Eid, der Ärzten noch heute als ethischer Richtlinie dient, dass dem Patienten niemals geschadet werden darf. Dass er zum Nutzen der Kranken handelt.

Im Profisport tätige Ärzte stehen im Spannungsf­eld. Wirklich ausheilen können die wenigsten Verletzung­en. Viel öfter stellt sich die Frage: Ab wann kann ich den Athleten wieder mit halbwegs reinem Gewissen aufs Feld schicken? Möglich, dass sich das Müller-Wohlfahrt bald wieder häufiger fragt. Die Bayern und Mulls Nachfolger Volker Braun gehen fortan nämlich getrennte Wege. Gerüchten zufolge sollen dem bisher nicht als Mediziner auffällig gewordenen Sportdirek­tor Hasan Salihamidz­ic die Diagnosen Brauns nicht gepasst haben. Die veranschla­gten Ausfallzei­ten der Spieler waren einfach zu lang. Einen offizielle­n Posten wird Müller-Wohlfahrt bei den Münchnern nicht mehr übernehmen. Wahrschein­lich aber werden nun wieder vermehrt Spieler ihn an ihren Muskeln tasten lassen. Zu seinen treuesten Kunden gehören übrigens Arjen Robben und Franck Ribéry – die Münchner Dauerpatie­nten.

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Foto: Marijan Murat, dpa Fünf Tore in fünf Länderspie­len – die Torquote von Sandro Wagner kann sich sehen lassen. Nachdem er lange Zeit in der Bun desliga nicht wirklich Fuß fassen konnte, ist er nun sogar im Nationalte­am angekommen.
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Foto: Witters Trainer Gian Piero Ventura droht eine schlimme Schmach.

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