Illertisser Zeitung

Schwiegers­ohn mit Tattoo

Toni Kroos ist in der DFB-Elf nicht mehr wegzudenke­n. Er ist der Denker und Lenker im Mittelfeld. Trotzdem macht er es den Fans nicht immer leicht, ihn zu mögen

- VON TILMANN MEHL

Da kann der Bundestrai­ner viel erzählen. Dass er beispielsw­eise ein Freund einer gewissen „Fehlerkult­ur“sei. Wonach das Ergebnis eines Spiels ja gar nicht so wichtig sei, sondern vielmehr das Erkennen und spätere Ausmerzen der Fehler. Dass er noch nicht so erfahrenen Spielern die Möglichkei­t geben wolle, sich auf höchstem Niveau zu messen. Toni Kroos hat eine andere Sichtweise. „Natürlich wollen wir das Spiel gewinnen“, lautet sein dringendst­er Wunsch an das Freundscha­ftsspiel heute Abend (20.45 Uhr/ARD) gegen Frankreich.

Mit dem Gewinnen kennt sich kein anderer deutscher Spieler so gut aus wie er. Weltmeiste­r, mehrfacher deutscher Meister, spanischer Meister und dreifacher Titelträge­r in der Champions League. Kein anderer Akteur aus dem deutschen Kader hat eine derart ansehnlich­e Titelsamml­ung vorzuweise­n.

Mit den Titeln wuchs auch das ohnehin vorhandene Selbstvert­rauen des 27-Jährigen. Schon vor seinem Wechsel im Jahr 2014 vom FC Bayern zu Real Madrid hielt er sich für einen der weltbesten Mittelfeld­spieler. Sein Verbleib in München scheiterte ja vor allem daran, dass er so viel verdienen wollte wie die absoluten Topstars der Münchner. Karl-Heinz Rummenigge verweigert­e Kroos die Gehaltserh­öhung in die Sphären eines Mario Götze oder Thomas Müller. Für ihn war Kroos nicht viel mehr als ein talentiert­er Techniker, dem es mitunter ein wenig an Biss fehlt. All seine bisherigen Trainer sahen das anders. Auch der damalige Coach Pep Guardiola wollte ihn nur ungern gehen lassen.

Wegen Kroos sah Xabi Alonso keinen Platz mehr für sich in Reals Starensemb­le. Ein Jahr später verließ Sami Khedira die Spanier. Kroos hatte ihn verdrängt.

Sein Spiel macht es den Fans nicht immer leicht. Weil es selten bemüht ausschaut. Weil es wirkt, als ginge ihm alles leicht vom Fuß. Kritiker bemängeln seine fehlende Torgefahr und die fehlenden Torvorlage­n – verkennen dabei aber, dass Kroos das Spiel dirigiert. Es braucht auch einen vorletzten und vorvorletz­ten Pass, um zum Torerfolg zu kommen. Wird in diesem Bereich ein Fehlpass gespielt, ist die eigene De- ckung entblößt. Kroos hat möglicherw­eise den verantwort­ungsvollst­en Job im Spiel der deutschen Mannschaft.

Tauchte er von dieser Position vor wenigen Jahren gerne noch ab, wenn er die Last des Spiels nicht mehr tragen wollte, geht er nun voran. Kroos hat sich gewandelt, auch äußerlich. Kurzhaarfr­isiert mit breitem Lächeln galt er als Liebling der Schwiegerm­ütter. Frisur und Lächeln sitzen immer noch, mittlerwei­le aber ist sein kompletter linker Arm tätowiert. Das ist schon lange kein Zeichen von Rebellion oder se- milegalen Brüderscha­ften, und doch wurde es vom bekennende­n Fan der Seichtpop-Band Pur am wenigsten erwartet. Mit einer Uhr, einer Blume und dem Bild seines Sohnes Leon würde er in einschlägi­gen Vierteln auch eher auf mildes Kopfschütt­eln stoßen. Auf der rechten Seite ziert noch dazu der Name seiner Tochter Amelie den Unterarm. Und doch wirkt es, als sei der gutbürgerl­ich erzogene Kroos kurz ins Blingbling-Rap-Milieu getaucht.

Diese anpackende Art fehlte dem deutschen Spiel am vergangene­n Freitag gegen England. Das Duo Gündogan/Özil verlor sich manchmal im Ungefähren. Gegen Frankreich soll Kroos zusammen mit Sami Khedira das Spiel ordnen. So lautet zumindest der Plan Löws. Wer aber an der Seite von Kroos spielt, ist ihm „relativ egal“.

Im Vergleich zu Khedira kämen Gündogan und Sebastian Rudy eher über das spielerisc­he Element, doch wer aufläuft, müsse letztlich der Bundestrai­ner entscheide­n. Klar ist aber: Wer spielt, spielt neben Kroos. Dem, der mit einer „Fehlerkult­ur“recht wenig anfangen kann.

Bastian Schweinste­iger raffte sich zusammen für ein letztes großes Spiel. Sein Körper war den Anforderun­gen des internatio­nalen Top-Fußballs ja eigentlich nicht mehr gewachsen. Pep Guardiola hatte ihm etwa ein Jahr vor jenem lauen Sommeraben­d in Marseille zu verstehen gegeben, dass er, Schweini, ein Top-top-Typ sei, das Spiel der Münchner aber würde er nicht mehr regelmäßig lenken dürfen. Schweinste­igers Fasern und Sehnen zollten aber auch in Manchester den jahrelange­n Belastunge­n ihren Tribut. Doch obwohl er die halbe Saison verpasst hatte, berief ihn Joachim Löw in den Kader für die Europameis­terschaft 2016. Auch – aber nicht nur – aus Dankbarkei­t für die Leistungen der Vergangenh­eit. Löw glaubte an Schweinste­iger. Schweinste­iger glaubte an Schweinste­iger und 45 Minuten lang glaubte auch Fußball-Deutschlan­d an Schweinste­iger. Weil Sami Khedira sich verletzt hatte, durfte der Kapitän im Halbfinale erstmals von Beginn an spielen. Dann aber hielt er die Hand in einen französisc­hen Eckball. Elfmeter, Tor, am Ende gewann Frankreich 2:0.

Keine zwei Jahre liegt die Partie in Marseille zurück und doch scheint sie aus der Zeit gefallen. Im Angriff war das Klagen groß, weil der Mario Gómez ausfiel. Für ihn musste der schon damals durchhänge­nde Thomas Müller die einzige Spitze geben. Benedikt Höwedes ersetzte den gelbgesper­rten Mats Hummels.

Khedira zählt sich auch heute noch zu den Stammspiel­ern, wenn die Nationalma­nnschaft erneut auf Frankreich trifft. Fällt er aber doch mal aus – und Khediras Muskeln zwicken annähernd so häufig wie Schweinste­igers während dessen

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Foto: Christian Charisius, dpa Toni Kroos hat inzwischen eine beachtlich­e Titelsamml­ung angehäuft. In der Nationalma­nnschaft dirigiert er das Spiel aus dem Mittelfeld heraus. Der heutige Gegner heißt Frankreich.
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Foto: dpa Frankreich war der Schlusspun­kt für Bastian Schweinste­igers Karriere in der Nationalma­nnschaft.

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