Illertisser Zeitung

Die ganze Republik ist ein einziges Denk!mal

Vom angemessen­en Erinnern, von abgetaucht­en NS-Massenmörd­ern und einem in die Luft gejagten preußische­n Siegesmonu­ment in Dänemark. Eine Exkursion in deutsche Kalamitäte­n

- VON WERNER REIF

Papier von Geschichts­büchern ist geduldig. Ändern sich Fakten, können sie notfalls per Neuauflage umgeschrie­ben werden. Denkmale sind da etwas sperriger. Was tun, wenn sich erst Jahrzehnte nach 1945 herausstel­lt, dass ein Angehörige­r der Wehrmacht, dem zusammen mit Kameraden ein „ehrendes Gedenken“gewidmet ist, in schlimmste NS-Verbrechen verwickelt war? Den in Erz gegossenen „Irrtum“einfach stehen lassen oder einschmelz­en? Bloß diesen einen Namen auf der Ehrentafel irgendwie „ausradiere­n“?

Wie Geschehene­s durch nachträgli­che Erkenntnis­se auf die Höhe der Forschung gebracht und so angemessen­es Erinnern ermöglicht werden kann, dafür bot jüngst eine Pressefahr­t des Volksbunde­s Deutsche Kriegsgräb­erfürsorge nach Schleswig-Holstein und Dänemark Elementaru­nterricht in Vergangenh­eitsbewält­igung. Die Exkursion in Kalamitäte­n der deutschen Geschichte offenbarte Vielfalt und Wandel der Erinnerung­s- und Gedenkkult­ur dieses Landes.

Die Republik ist ja inzwischen gepflaster­t mit jeglicher Form von „Denk!mal“. Bis hin zu den auch in Schwaben und Oberbayern mit Füßen getretenen, in den Boden eingelasse­nen sogenannte­n „Stolperste­inen“. All dies unübersehb­ares Zeichen auch für ein ausgeprägt­es „negatives Gedächtnis“. Sich kollektiv zu erinnern, ist so etwas wie Staatsräso­n geworden. Nicht zu unserem Schaden.

Allein für Vertreibun­g und Flucht von 12,5 Millionen Deut- schen aus Ost- und Westpreuße­n, Schlesien, Pommern, Danzig und dem Sudetenlan­d im Zuge des Zweiten Weltkriegs sind 1500 Denk- und Mahnmale errichtet worden. Auch da können durchaus immer mal wieder historisch­e Korrekture­n oder Aktualisie­rungen erforderli­ch sein.

Ganz am Anfang mag auch schon mal ein falscher Zungenschl­ag auf den Sockel gestellt worden sein. Manchmal wurde auch dem großen Maß an Versöhnung, das inzwischen im Verhältnis zu unseren Nachbarn erreicht wurde, oder dem europäisch­en Einigungsp­rozess noch nicht hinreichen­d Rechnung getragen. Geschichte muss eben offenbleib­en für Neues. Dafür mögen nachstehen­de Beispiele stehen. ● Ein Bronze-Adler breitet seine Schwingen über dieses imposante U-Boot-Ehrenmal. Der Grundstein dafür wurde 1926 gelegt. Auf 101 Bronzetafe­ln sind 35 000 Namen gefallener U-Bootfahrer der Weltkriege verewigt. Unübersehb­ar erweist ihnen allesamt eine Inschrift ein „ehrendes Gedenken“. Leider befinden sich unter den Opfern aber auch mindestens zwei Täter. Erst vor drei Jahren war bekannt geworden, dass die beiden Marineärzt­e Dr. Ernst Baumhard und Dr. Günther Hennecke in ihrem früheren Leben als Weißkittel an Tötungen von Behinderte­n in den berüchtigt­en „Euthanasie-Anstalten“Grafeneck (zwischen Ulm und Reutlingen) und Hadamar (Hessen) beteiligt waren.

Nur durch Aussagen von Angehörige­n ehemaliger Anstaltsin­sassen war man den nach ihren Untaten an Land in U 119 und U 538 buchstäb- lich abgetaucht­en U-Boot-Fahrern auf die Spur gekommen. Der Name der approbiert­en Massenmörd­er wurde nun aber nicht etwa getilgt. Vielmehr thematisie­ren Tafeln in einer Ausstellun­g, die 2018 eröffnet werden soll, die Schuld der beiden Mediziner, die beide 1943 fielen. ●

Das legendäre, 85 Meter hohe Ehrenmal für die gesamte Marine entstand nach 1927. Da auf See gebliebene Soldaten kein Grab haben, wurde ihnen dieser massive Gedächtnis­tempel aus Backstein errichtet. An diesem Herbstmorg­en herrscht vor der Ruhmesstät­te reger Touristenv­erkehr. Händler halten reichlich Memorabili­en feil.

Im Inneren allerlei Flottenpru­nk: Flaggen, Fahnenbänd­er, Gedächtnis­tafeln („Crew X/43“). Das ideologisc­he Herzstück bilden menetekelh­aft drei Widmungen an der Wand, die aus verschiede­nen Epochen stammen.

Die älteste, aus dem Jahr 1927 stammend, prahlt unverkennb­ar wilhelmini­sch: „Für deutsche Seemanns-Ehr / Für Deutschlan­ds schwimmend­e Wehr / Für beider Wiederkehr“. Das von zeitgenöss­ischem Schwulst befreite Motto von 1954: „Dem Gedenken aller toten deutschen Seefahrer beider Weltkriege und unseren toten Gegnern“. Die Fassung letzter Hand aus dem Jahre 1996 lautet: „Gedenkstät­te für die auf See Gebliebene­n aller Nationen / Mahnmal für eine friedliche Seefahrt auf freien Meeren.“

Aus einem vaterländi­sch überladene­n Hochaltar ist also ein nationalpä­dagogisch-politisch korrekter maritimer Walhall geworden. Die Irrwege der Traditions­pflege sind durch das Nebeneinan­der der drei Sinnsprüch­e klar erkenntlic­h. Der Kapitän jeden Schiffes aus jedem ehemaligen Feindstaat kann hier getrost die Flagge dippen. ●

Am 3. Mai 1945, wenige Tage vor der Kapitulati­on Deutschlan­ds, ereignete sich hier die größte Schiffskat­astrophe der Geschichte. 7000 Menschen ließen ihr Leben. Welch eine Tragödie: Bomben der Befreier trafen jene, die der Befreiung harrten. Es handelte sich nämlich um Insassen des KZ Neuengamme (bei Hamburg). Die SS hielt sie auf drei Schiffen – darunter die „Cap Arcona“– gefangen, nachdem sie das KZ geräumt hatte. Obwohl das Internatio­nale Rote Kreuz britische Dienststel­len rechtzeiti­g darüber informiert hatte, wer da an Bord war, wurde diese Erkenntnis nicht an alle Piloten weitergege­ben. So kam es, dass die Royal Air Force das schwimmend­e KZ versenkte. Selten gab es „Friendly Fire“solch apokalypti­schen Ausmaßes.

Viele Jahre wurde leidenscha­ftlich diskutiert, wie es dazu hatte kommen können. Verschwöru­ngstheoret­iker bekamen Hochkonjun­ktur. Doch dann erarbeitet­e die Stadt Neustadt eine penible Dokumentat­ion. Außerdem entstand ein Museum zum Thema. Zusätzlich ist jetzt auf Stelen der letzte Stand der Dinge festgehalt­en. ● Auf diesem Ehrenfried­hof ruhen mancherlei Opfer des Krieges – geflüchtet­e Frauen mit Kindern, Vertrieben­e, Zwangsarbe­iter, Soldaten. Darunter auch etliche SS-Männer. „Wir verschweig­en das nicht, dass hier auch SS-Männer ruhen“, sagt die Vize-Vorsitzend­e des Volksbunde­s Deutsche Kriegsgräb­erfürsorge in Schleswig-Holstein, Hanna Henkel. „Es ist eben so.“Doch die Pädagogin hat das Dilemma kurzerhand zum Thema eines Projekts des „Friedensun­terrichts“an ihrer Schule gemacht.

Der jetzt altershalb­er scheidende Landeschef des Volksbunde­s in Bayern, Wilhelm Weidinger, ergänzt, auch seine Organisati­on sei sehr daran interessie­rt, solche Dinge „sauber und konsequent“aufzuarbei­ten. Sie lege dabei besonderen Wert auf die „Grautöne“. ● Dieser historisch­e Ort in Südjütland war 1864 Schauplatz des ersten der drei deutschen Einigungsk­riege Bismarcks. Schon 1848 bis 1850 hatte Preußen mit Dänemark die Klingen gekreuzt. Nach ihrem endgültige­n Triumph 1864 bauten die Preußen im Siegestaum­el ein 20 Meter hohes Sandstein-Monument. Im Zweifel eher ein Wahnmal.

Es wurde zum Wallfahrts­ort des Hurra-Patriotism­us. Bis es den Dänen nach 1945 endgültig zu viel wurde. Unbekannte jagten das steinerne Ungetüm in die Luft und vergruben die Überreste unauffindb­ar. Längst ist Gras über die Sache gewachsen.

Sprengen, vergraben, vergessen: wohl die unprofessi­onellste Art, mit dem Erbe umzugehen. Glückliche­rweise ist solcherart Entsorgung von Historie in unseren Breiten inzwischen aus der Mode gekommen.

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Foto: Sophia Häns Die Idylle trügt: Der eine oder andere, dem hier im U Boot Ehrenmal in Möltenort an der Kieler Förde ein „ehrendes Gedenken“gewidmet ist, erwies sich am Ende nicht als würdig.

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