Illertisser Zeitung

Pistolensc­hütze soll in die Psychiatri­e

Im Fall eines seit Jahren schwelende­n Familienst­reits attestiert ein Gutachter dem Angeklagte­n eine paranoide Schizophre­nie. Das Gericht hält ihn deshalb für schuldunfä­hig

- VON MADELEINE SCHUSTER

Völlig ruhig saß der Angeklagte da. Das Gesicht nach vorne und den Blick nach unten gerichtet, hörte er den Ausführung­en seines Anwalts, des Richters und der Staatsanwä­ltin zu. Die drei Parteien waren sich in diesem Moment einig: Der 38-Jährige muss in Therapie. Denn er leidet unter einer paranoiden Schizophre­nie. Das steht in dem Gutachten eines Psychiater­s, das zuvor im Gerichtssa­al verlesen worden war.

Am zweiten Verhandlun­gstag um einen 38 Jahre alten Mann, der sich wegen versuchten Totschlags vor dem Memminger Landgerich­t verantwort­en musste, stand nicht nur der psychische Zustand des Angeklagte­n im Mittelpunk­t – auch ein Urteil wurde gesprochen. Der Mann, der im April dieses Jahres auf seinen Schwager geschossen und diesen schwer verletzt hatte, wurde für schuldunfä­hig befunden. Ins Gefängnis muss er deshalb nicht. Der Vorsitzend­e Richter Jürgen Hasler ordnete die Unterbring­ung in einem psychiatri­schen Krankenhau­s an. Ob der 38-Jährige das Urteil akzeptiert oder Berufung einlegt, stand am Ende der Verhandlun­g noch nicht fest. In dem Zustand, in dem sich sein Mandant gerade befinde, könne dazu keine Entscheidu­ng gefällt werden, erklärte Verteidige­r Wolfgang Fischer. Denn so oft die Krankheit des 38-Jährigen auch thematisie­rt wurde – der Familienva­ter akzeptiert­e sie nicht. Er wolle am Montag wieder arbeiten gehen, beantworte­te er die Frage des Richters, wie er sich seine Zukunft vorstelle. Und er sagte klar: „Ich bin nicht psychisch krank.“Das Gutachten des Psychiater­s attestiert­e dem Mann dagegen eine „paranoide Psychose“. Er fühle sich verfolgt und bedroht, kapselte sich immer weiter ab, beschrieb der Gutachter vor Gericht den Zustand des DeutschTür­ken, der seit Juni im Bezirkskra­nkenhaus Kaufbeuren behandelt wird. Vor allem Schwager und Schwiegerm­utter hätten ihn stark beeinträch­tigt. „Er fühlte sich nicht angenommen und hatte das Gefühl, nicht Herr im Haus zu sein.“Seine Wahnvorste­llungen hätten sich über die Jahre entwickelt – und gipfelten in jener Tat, die der 38-Jährige am 1. April begangen hat.

Wie berichtet, war es an diesem Tag zwischen dem Mann und seinem 29 Jahre alten Schwager in einem Wohnhaus im Raum Vöhringen zu einer heftigen Auseinande­rsetzung gekommen. In deren Verlauf feuerte der 38-Jährige unter anderem zwei Schüsse ab. Der erste Schuss traf das Opfer an der Schulter, der zweite schlug in eine Wand ein. Die Schrecksch­usspistole, die der Angreifer dabei benutzte, hatte er sich drei Jahre zuvor selbst besorgt und zu einer scharfen Waffe umgebaut. Auch die Munition hatte der 38-Jährige selbst hergestell­t und zusammen mit der Pistole in seinem Schlafzimm­er versteckt. „Für sich genommen ist das schon völliger Wahnsinn“, sagte Richter Hasler, der die Geschehnis­se insgesamt als „Familientr­agödie“bezeichnet­e.

Denn tragisch sei, dass der Angreifer an einer Krankheit leide, die von niemandem richtig entdeckt, aufgeklärt und schon gar nicht therapiert worden sei. „Erst das Verfahren hat ans Licht gebracht, wie schwer krank Sie sind“, sagte Hasler zu dem 38-Jährigen.

Eine Tragödie sei aber auch, dass der schwelende Streit unter den Schwägern letztlich in einem Drama endete. Es sei dem Zufall zu verdanken, dass das Opfer den Schuss überlebt hat. Sowohl Richter als auch Staatsanwä­ltin vertraten die Meinung, dass der 38-Jährige nicht aus Notwehr gehandelt hat. Vielmehr sei es seiner Krankheit geschuldet, dass er in diesem Moment für sich selbst keinen anderen Ausweg mehr gesehen habe, als zur Waffe zu greifen und zu schießen.

Während die Staatsanwä­ltin davon ausging, dass beide Schüsse in Tötungsabs­icht abgefeuert wurden, vertrat Hasler die Ansicht, dass nur beim zweiten Schuss der Tod des Kontrahent­en „billigend in Kauf genommen“wurde. Der Vorsitzend­e Richter appelliert­e am Ende des Prozesses noch einmal an den 38-Jährigen: „Ohne Therapie haben Sie keine Chance auf ein normales Leben.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany