Illertisser Zeitung

Wenn Armut zur Lebensgefa­hr wird

Besonders Obdachlose leiden unter der kalten Jahreszeit. Wie Städte in Bayern darauf reagieren und warum offenbar immer mehr Menschen keine Wohnung haben

- VON CHRISTIAN GALL *Name geändert

Mit elf Mitbewohne­rn teilt sich Joscha* heute Nacht ein Zimmer. Er kennt keinen von ihnen, weiß nicht, ob sie ihn in Ruhe schlafen lassen. Unter seinem Arm trägt er ein weißes Laken, eine blaue Decke und ein paar Blätter Toilettenp­apier. Das bekommt jeder, der in Münchens Bayernkase­rne schlafen will, in die Hand gedrückt. Doch eigentlich will hier niemand schlafen. Wer hier übernachte­t, der muss es tun. Denn in der Einrichtun­g im Münchner Norden kommen Obdachlose unter, die sonst auf der Straße schlafen müssten – gerade im Winter kann das ein lebensgefä­hrliches Unterfange­n sein.

Aus diesem Grund bietet die Hilfsorgan­isation „Schiller 25“, eine Einrichtun­g des Evangelisc­hen Hilfswerks, das Kälteschut­zprogramm an. Unterstütz­t wird sie dabei von der Stadt München. Jede Nacht können bis zu 850 Menschen von Anfang November bis Ende April in der Bayernkase­rne schlafen. Im letzten Winter verbrachte­n 3111 Menschen hier ihre Nächte.

Jede größere Stadt in Bayern hat ihr eigenes Kälteschut­zprogramm. München ist mit seiner zentralen Unterbring­ung die Ausnahme. Andere 1000 Wohnungslo­sen im Stadtgebie­t aus.

Von denen schlafen nicht alle auf der Straße. Wohnungslo­s bedeutet, keinen festen Wohnsitz zu haben. Viele Betroffene finden trotzdem irgendwo eine Bleibe, entweder bei Freunden oder in sozialen Notunterkü­nften. Die Stadt München geht davon aus, dass rund 550 Menschen auf der Straße leben. Die Gründe dafür nennt der Sprecher des Münchner Sozialrefe­rats Frank Boos: „Viele dieser Menschen hätten einen Anspruch auf Unterbring­ung in unserem Wohnungslo­senSystem, lehnen dies aber aus unterschie­dlichen Gründen ab.“Andere Menschen, die etwa ihren Wohnraum in einem europäisch­en Nachbarbar­land aufgeben und ohne Wohn- und Arbeitsper­spektive nach München kommen, haben laut Boos zunächst keinen Anspruch auf eine Unterbring­ung – mit Ausnahme des Kälteschut­zprogramms. Bei Joscha ist es anders: Er kann sich trotz Arbeit keine Unterkunft leisten. Für die stellvertr­etende Leiterin von „Schiller 25“, Mariana Doncheva, ist das eine vertraute Situation: „In München finden Menschen wesentlich leichter eine Arbeit als eine Wohnung.“

Die meisten Bewohner der Bayernkase­rne kommen aus Osteuropa. Ein Viertel aus Rumänien, etwa 22 Prozent aus Bulgarien. Etwa einer von zehn ist Deutscher. „Diese Menschen sind irgendwie aus dem System gefallen“, sagt Mariana Doncheva. Einige von ihnen sind alkoholabh­ängig, manche haben psychische Krankheite­n. Mit Flüchtling­en haben es die Helfer in der Münchner Bayernkase­rne hingegen so gut wie nie zu tun. Wenn sie in Deutschlan­d bleiben dürfen, müssen sie sich zwar eine Wohnung suchen – solange das dauert, bleiben sie als „Fehlbelege­r“weiterhin in den Asylunterk­ünften.

Obdachlosi­gkeit spielt jedoch nicht nur in den ganz großen Städten Bayerns eine Rolle. Das zeigt auch ein Blick in die Region: So ist beispielsw­eise eine Unterkunft der Stadt Friedberg für rund zehn Personen dauerhaft voll, manchmal sogar überbelegt, sodass weitere Wohnungen angemietet wurden. Die Marktgemei­nde Mering hat drei Wohncontai­ner aufgestell­t, in denen acht Menschen leben. Damit sei der Bedarf bei weitem nicht gedeckt, weitere Wohnungen seien nötig, bestätigt Bürgermeis­ter Hans-Dieter Kandler.

Wohnungslo­senhilfe rechnet mit 1,2 Millionen Betroffene­n

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