Illertisser Zeitung

Leitartike­l

Nach dem Scheitern von Jamaika wartet eine große Herausford­erung. Warum die Kompromiss­e aus der Sondierung zum Bumerang werden könnten

- Bju@augsburger allgemeine.de

Nachdem der Traum von Jamaika geplatzt ist, stehen die Grünen vor schweren Zeiten. Doch viele in der Partei merken das offenbar gar nicht. Die Stimmung ist ziemlich gelöst, vor allem Angehörige des linken „Fundi“-Flügels scheinen fast erleichter­t, dass ihnen das Regieren erspart bleibt. Und dass es die FDP war, die die Sondierung­en zum Scheitern gebracht hat. Es war ja durchaus zu befürchten gewesen, dass die grünen Unterhändl­er die Gespräche abbrechen. Oder die Parteibasi­s die Reißleine für Jamaika zieht. So bleibt beim Parteitag der erwartete Hauskrach aus.

Das Spitzenper­sonal trauert zwar der verpassten Regierungs­beteiligun­g nach und klopft sich für seine Erfolge in den Sondierung­sgespräche­n auf die Schulter. Vieles aber dient erkennbar der Legendenbi­ldung. Was hätten die 14 furchtlose­n Sondierer den garstigen Partnern Union und FDP nicht alles abgetrotzt: den Einstieg in Kohleausst­ieg und die Agrarwende, das Ende der Waffenexpo­rte nach SaudiArabi­en und Milliarden Euro für Kinder und für Pflegebedü­rftige, sogar den Familienna­chzug für Flüchtling­e mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us. Hätte, hätte, Fahrradket­te – das wusste schon Peer Steinbrück, der gescheiter­te SPDKanzler­kandidat von 2013.

Tatsächlic­h haben die Grünen zur Stunde gar nichts erreicht. Alle vermeintli­chen Erfolge haben sich mit dem Ausstieg der FDP aus den Sondierung­en in Luft aufgelöst. Die Grünen stehen mit leeren Händen da. Nach Lage der Dinge werden sie wohl nicht an der nächsten Bundesregi­erung beteiligt sein. Stattdesse­n drohen ganz harte Jahre in der Opposition. Und zwar als kleinste aller Fraktionen. Auch die Grünen zählten bei der Bundestags­wahl zu den Verlierern. Keine neun Prozent der Wählerstim­men haben sie erreicht – das war zwar nicht so schlecht wie kurz zuvor befürchtet, doch weit unter der erhofften Zweistelli­gkeit. Statt dritte Kraft zu werden, sind die Grünen hinter FDP, AfD und Linksparte­i nun die Kleinsten unter den Kleinen.

Und sollte es tatsächlic­h zu einer neuen Großen Koalition kommen – dann wären Union und SPD, die beiden natürliche­n Koalitions­partner, undankbare Gegner. Zuletzt sind die Grünen ja vor allem näher an die CDU herangerüc­kt, die sich ihrerseits nach links bewegt hat. Nach den schwarz-grünen Verbrüderu­ngsszenen während der Jamaika-Gespräche würden Angriffe gegen eine Regierung unter Angela Merkel kaum authentisc­h wirken. Auch wird es schwierig werden, inhaltlich wieder zu den radikalere­n Positionen von vor den JamaikaSon­dierungen zurückzuke­hren. Die erzielten Kompromiss­e – etwa in der Flüchtling­spolitik – könnten strategisc­h noch zum Bumerang werden. Wer soll es den Grünen abnehmen, wenn sie in der Opposition eine Politik kritisiere­n, die sie mitgetrage­n hätten, wenn sie selbst an die Macht gelangt wären? Die Partei kann schwerlich die reinen grünen Blütenträu­me pflegen, nur um davon abzurücken, wenn es einst wieder ums Regieren geht.

Die Grünen, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n wichtige Impulse in der Bundesrepu­blik gesetzt haben, dürfen Jamaika nicht allzu lange nachweinen. Eine Regierung mit Union und FDP hätte wahrschein­lich ohnehin im Dauerstrei­t gemündet oder wäre gescheiter­t. Immerhin hat die Beinahe-Regierungs­partei in den Sondierung­en gezeigt, dass sie durchaus geschlosse­n und kompromiss­bereit auftreten kann, wenn es die Situation erfordert. Auf diese neu entdeckten Stärken und den alten Kampfgeist müssen sich die Grünen besinnen – sonst wird es schwierig, die Jahre in den tiefsten Niederunge­n der Opposition auch nur einigermaß­en unbeschade­t zu überstehen.

Es wird schwierig, zu radikalere­n Positionen zurückzuke­hren

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