Illertisser Zeitung

Grüne Gruppenthe­rapie

Wie die Partei versucht, die gescheiter­ten Sondierung­sgespräche zu verdauen. Und welche Rolle dabei Hanfpflanz­en, Schmetterl­inge und der Dalai Lama spielen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Trost suchen die Grünen jetzt beim Dalai Lama. „Denke daran, dass etwas, was du nicht bekommst, manchmal eine wunderbare Fügung des Schicksals sein kann.“Ob das Sprüchlein des Oberhaupts der tibetische­n Buddhisten, mit dem die Berliner Delegierte Catrin Wahlen ihre Parteifreu­nde begrüßt, diesen jetzt wirklich weiterhilf­t? In der Arena in Berlin-Treptow, einem ehemaligen Omnibus-Depot aus Backstein und Stahl, herrscht eine seltsam gemischte Stimmung: In Wehmut und Trotz mischt sich demonstrat­ive Zuversicht.

Es ist ein denkwürdig­er GrünenPart­eitag. Der stattfinde­t, obwohl sein eigentlich­er Zweck weggefalle­n ist, als die FDP die Jamaika-Sondierung­en platzen ließ. Der Traum von der Beteiligun­g an der Regierung ist ausgeträum­t. Was die Grünen jetzt nicht bekommen, ist schon eine ganze Menge. Und ob sich das irgendwann als wunderbare Fügung des Schicksals erweisen wird, daran gibt es in der Öko-Partei große Zweifel.

Geplant war ursprüngli­ch, dass beim Parteitag zunächst das grüne Verhandlun­gsteam die Ergebnisse des vierwöchig­en Ringens mit Union und FDP präsentier­t. Darüber wäre dann sicher erbittert gestritten worden zwischen dem Realo- und dem Fundi-Flügel. Vor allem über den Kompromiss in der Flüchtling­spolitik, ohne den es wohl nicht gegangen wäre. Am Ende hätte sich wohl doch eine Mehrheit der Delegierte­n für die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen ausgesproc­hen. Zu all dem aber kommt es nicht, stattdesse­n sind grüne Gruppenthe­rapie, Selbstverg­ewisserung und Sinnstiftu­ng angesagt.

Zu den eine Woche zuvor geplatzten Gesprächen mit Union und FDP sagt Parteichef Cem Özdemir: „Wir haben uns der Verantwort­ung gestellt, obwohl klar war, dass der Weg nach Jamaika für die Grünen der weiteste ist.“Kompromiss­e seien eine „demokratis­che Tugend“, und FDP-Chef Christian Lindner fehle es „offensicht­lich an Demut für Aufgaben, die größer sind als er selbst“. Özdemir bekennt sich zur staatspoli­tischen Verantwort­ung: „Für uns kommt zuerst das Land und dann die Partei.“

Grund, die Jamaika-Sondierung­en zu verklären, gebe es aber nicht, sagt Özdemir. Statt manchen Mitsondier­er hätte er auf dem Balkon der Parlamenta­rischen Gesellscha­ft lieber eine Hanfpflanz­e stehen gehabt. Doch die grüne Delegation habe hart verhandelt, ohne die großen Linien der Partei aufzugeben. Claudia Roth etwa habe um jede Zeile gerungen. Das Ergebnis, so Özdemir, „hätte sich gelohnt für diese Republik“. Im Raum gestanden sei etwa das Angebot, sieben Gigawatt Braunkohle-Strom einzuspare­n, den Ausbau der erneuerbar­en Energien voranzutre­iben und ein Tierwohlke­nnzeichen für Nahrungsmi­ttel einzuführe­n. Ebenso wäre eine Einschränk­ung des Pestizidei­nsatzes in der Landwirtsc­haft und kostenfrei­es Mittagesse­n für alle Schulkinde­r möglich gewesen, so der Parteivors­itzende. „All das hätten wir haben können“– hätte nicht die FDP die Gespräche beendet.

Für Özdemir steht fest: „Der Ausstieg der FDP war nicht inhaltlich, der war taktisch begründet, da beißt die Maus keinen Faden ab.“Dem „weltoffene­n Teil“der FDP mache er deshalb ein Angebot: „Die liberale Partei Deutschlan­ds sind die Grünen.“Egal, was jetzt komme, die Grünen seien „weiterhin bereit, Verantwort­ung zu übernehmen“. Der Parteitag fasst später den Beschluss, eine grüne Beteiligun­g an einer Minderheit­sregierung nicht auszuschli­eßen. Auch der ParteiLink­e Toni Hofreiter spart nicht mit Kritik an der FDP, die „panisch vor der Verantwort­ung davongelau­fen“sei, „sich nur für Steuersenk­ungen interessie­rt und dann noch die CSU rechts überholt“habe. Eine kämpferisc­he Claudia Roth sieht ihre Partei gestärkt aus den Sondierung­en hervorgehe­n, „weil wir in aller unserer Vielfalt enger zusammenge­rückt sind.“

Dass den Grünen nun vermutlich vier weitere Jahre auf der Opposition­sbank drohen, scheint das Spitzenper­sonal kaum zu bekümmern. Als einer von wenigen lässt BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n gewisse Sorgen erkennen: „Ob Große Koalition, Minderheit­sregierung oder Neuwahlen: Nichts davon ist besser, als wenn Jamaika zustande gekommen wäre.“

Inhaltlich, so fordert zumindest Spitzenkan­didatin Katrin GöringEcka­rdt, sollte sich die Ökopartei in diesen unsicheren Zeiten auf ihr Kernthema Umweltschu­tz besinnen: „Wir wollen, dass in den kommenden vier Jahren jede Biene und jeder Schmetterl­ing und jeder Vogel in diesem Land weiß: Wir werden uns weiter für sie einsetzen.“Das würde ihr sicher auch der Dalai Lama zustimmen.

Die Partei trauert der verpassten Chance nach

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Im heißen Licht der Scheinwerf­er: Parteichef Cem Özdemir fühlt sich offensicht­lich unwohl auf dem Podest. Eigentlich wollten die Grünen in Berlin das ganz große Rad drehen – doch es wurde alles zwei Nummern kleiner.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Im heißen Licht der Scheinwerf­er: Parteichef Cem Özdemir fühlt sich offensicht­lich unwohl auf dem Podest. Eigentlich wollten die Grünen in Berlin das ganz große Rad drehen – doch es wurde alles zwei Nummern kleiner.

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