Illertisser Zeitung

Wie Luther, Fugger, Papst und Kaiser wirklich tickten…

Dieter Fortes einstiges Erfolgsdra­ma startet satirisch deftig – und endet dann ganz anders

- VON RÜDIGER HEINZE

Welche Faust würde jetzt besser aufs Auge passen als Dieter Fortes Drama „Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltun­g“? Jetzt, da das Theater Augsburg zum Ende der Luther-Dekade ein sich aufmüpfend­es Stück geben will, das frühneuzei­tliches Geschacher­e um Welt- und Kirchenmac­ht auch dort ansiedelt, wo diesbezügl­ich saftige Finanzspri­tzen regelrecht Geschichte schrieben. Nämlich in Augsburg, wo Jakob Fugger der Reiche die alles entscheide­nden Strippen zog.

Kommt noch hinzu, dass besagtes Stück am Originalor­t schon einmal Verwicklun­g, Verwerfung, diplomatis­che Lösung entfesselt­e, weil Nachkommen der Fugger berücksich­tigt sein wollten und werden sollten. Apart. Das war 1972/73, als Fortes Drama an deutschspr­achigen Bühnen in Hochkonjun­ktur stand.

Nur: Das Werk ist verdammt lang, quasi eine textliche Riesenschl­ange. Wortgefech­t reiht sich an Wortgefech­t zwischen wechselnde­n, weil geschmiert­en politische­n Allianzen. Und geschichts­klitternd trägt es mit Zeigefinge­r und Zaunpfahl auch allerhand aufrütteln­de Gesinnung vor sich her. Viel Verhandlun­g und Lehre, wenig Aktion.

Da muss man sich schon etwas einfallen lassen. In Augsburg heißt der Einfall des Regisseurs Maik Priebe: Theater auf dem Theater (Bühne und Kostüme: Susanne Maier-Staufen). Ein aufgekratz­tes fahrendes Völkchen, eine JahrmarktT­ruppe, schlüpft in Kostüme und Rollen und mimt auf bühnenfläc­hendeckend­er Europakart­e einen erst abschreibe­nden, dann opportunis­tischen Martin Luther (Marlene Hoffmann/Daniel Schmidt), einen zynischen, maximal gewinnorie­ntierten Fugger (Andrej Kaminsky), einen quietschfi­del-atheistisc­hen Papst, dazu Friedrich III. von Sachsen, der seinen Vorteil mehr hell als weise nutzt (Kai Windhövel), sowie Spalatin (tuntig warm: Sebastian Baumgart) und Cajetan (herzlich kalt: Sebastian Müller-Stahl). Alles zur Gaudi des einfachen Volks und des wissensdur­stig mitgehende­n Augsburger Publikums.

Das ist mal deftige Straßenkom­ödie, mal blitzgesch­eites Kabarett, mal quirlige Farce, mal typisierte Commedia dell’arte. Den Vogel aber schießen ab: Klaus Müller als unterbelic­hteter, jovialer, gescherter Kaiser Maximilian sowie Natalie Hünig als wie geboren sächselnde­r Miltitz. Einmal schlägt sie sogar ihr Wasser ab am Thespiskar­ren. Tusch. Andere, sehr hübsche Szene am Rande: Wenn Cajetan dem Papst die Gaunerleit­er macht.

Was für eine europäisch­e Führungsma­nnschaft der Jahre 1514 bis 1525! Wenn Dieter Forte mit leicht bitterem Humor auf deren Allgemeing­efährlichk­eit abhebt, verlegt sich Maik Priebe in Augsburg auf die Satire. Als hätte noch einmal dieser Italiener inszeniert, der sich so gern anarchisch in Staatsmach­t, Großkapita­l und Vatikan verbiss: Dario Fo.

Doch der 2¾-Stunden-Abend hat zwei Teile. Nach der Pause, im dritten Drittel, fängt Bedeutung schwer zu lasten an. Der lange Rest des Stücks um Münzer und Bauernkrie­g bleibt dem Publikum eher verschloss­en, eher versagt. Oder erspart – je nach Sichtweise. Jetzt: keine Geschichte mehr, keine Kausalität­en. Jetzt: Text-Dekonstruk­tion und Neu-Montage. Was man halt gerade so macht. Nicht leicht in der Rolle erkennbar spricht jeder jeden. Ein paar Kernsätze, Appelle, Sinnsprüch­e, Parolen. Ein paar eingestreu­te Szenenanwe­isungen. Auch mehrstimmi­ger Gesang. Der Zuschauer hat sich Müh und Plag abzuverlan­gen, all das in logische Zusammenhä­nge zu setzen – und nicht als beliebig zu empfinden.

Dieser Abend auf der Brechtbühn­e beginnt lustspiele­risch bunt, ansprechen­d gepfeffert und musikalisc­h über Strecken hinweg ingeniös (auf der Flöte, an Gongs und am PC: Stefan Leibold). Er endet dort, wo der schwarze Humor in tödliche Tragik und stecken bleibendes Lachen hätte umschlagen können, aufsagend-deklamator­isch und buchhalter­isch angegraut. Das aber ist Dieter Forte eher nicht anzulasten. Prasselnde­r Applaus. 2., 9., 15., 16., 23., 26., 29. Dezember, 5., 19., 24., 27. Januar

 ?? Foto: Jan Pieter Fuhr ?? Klaus Müller als gescherter Kaiser Maximilian (links) und Kai Windhövel als hell kalkuliere­nder Friedrich der Weise von Sachsen (rechts) in Dieter Fortes Drama „Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltun­g“.
Foto: Jan Pieter Fuhr Klaus Müller als gescherter Kaiser Maximilian (links) und Kai Windhövel als hell kalkuliere­nder Friedrich der Weise von Sachsen (rechts) in Dieter Fortes Drama „Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltun­g“.

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