Illertisser Zeitung

Das Ringen um die Wahrheit

Im aktuellen Stück der Gruppe Szenenwech­sel geht es um Missbrauch, Vorwürfe und die Frage nach dem Schuldigen. Wie die Vöhringer das Tabuthema umsetzen

- VON URSULA KATHARINA BALKEN

Es ist eine Nacht der langen Messer. Sie werden gewetzt, um einen Schüler wegen Vergewalti­gung von der Schule zu verweisen. Doch war es das wirklich? Oder war das, was zwischen ihm und einer Mitschüler­in geschah, einvernehm­lich? Er sagt, sie wollte es; sie sagt, sie wollte es nicht. Die Lehrer versammeln sich am Tatort und beraten, was zu tun sei. Die Schauspiel­gruppe Szenenwech­sel hat Bodo Kirchhoffs „Lehrernach­t“ins Programm genommen. Aufführung­sort war, passend zum Stück, die Aula der Uli-Wieland-Mittelschu­le.

Sexuelle Gewalt ist immer wieder Thema in den Medien. Auch aus diesem Grund ist das Stück interessan­t. Regisseur Peter Wölfli sagt, nicht die aktuelle Situation sei entscheide­nd für die Inszenieru­ng gewesen. „Lehrernach­t“habe schon lange auf der Wunschlist­e gestanden. Mangels richtiger Besetzung wurde es bisher nicht aufgeführt. Jetzt aber passt alles.

Auf der Bühne sitzen neun Lehrer. Sie entscheide­n über Wohl und Weh des beschuldig­ten Schülers. Fliegt er, wäre dies ein unauslösch­barer Makel in seinem Lebenslauf. Und das Mädchen? Will sie nur Aufmerksam­keit oder ist sie wirklich Opfer? Die Entscheidu­ng machen sich die Lehrer nicht leicht. Die Meinungen sind widersprüc­hlich. Die Diskussion zerfranst sich. Nicht mehr „der Fall“steht im Fokus und schließlic­h reißen Sticheleie­n zwischen den Lehrern alte Wunden auf.

Da ist Schulleite­rin Cordes (Erika Feltes), energisch, um Lösung bemüht und doch emotional tief berührt, hatte sie doch einmal eine Beziehung zu dem Lehrerkoll­egen Leo Stern (Gerhard Mahler). Mahler ist die Rolle auf den Leib geschriebe­n. Seine psychoanal­ytischen Erkenntnis­se kommen nicht von ungefähr, der Hobby-Schauspiel­er ist Psychologe von Beruf. Lehrer Stern seziert das Geschehen mit einer gewissen Gelassenhe­it und mit einer Prise wohldosier­ten Humors. Dr. Branzger (Johannes Körner) ist eher Typ Softie, ein Homosexuel­ler, der seinen grippalen Infekt zelebriert. Marlies Kahle-Zenk (Sonja Sommer) entdeckt frustriert die Defizite in ihrem Privatlebe­n.

David Wiedenmaye­r gelingt in der Rolle des desinteres­sierten Karsten Graf sein Debüt bei Szenenwech­sel. Sophie Kressnitz (Sarah Schwerdel) ist die ambitionie­rte Leiterin der Schauspiel-Gruppe. Holger Stubenrauc­h ist mit Ingo Wiest treffend besetzt, der aus der 68er-Bewegung kommt und philosophi­erend das Miteinande­r der Menschen betrachtet. Seine Frau Heide (Nora Lange) gesteht ihm, in Afrika vergewalti­gt worden zu sein. Aber sie will kein Mitleid und geht wortlos hinaus in die Nacht. Hausmeiste­r Zimballa (Kurt Böhm) hat zwei Aufgaben: Erstens für Wärme in dem kalten Keller zu sorgen und Pizza zu bringen, was er mit einem gewissen Gleichmut erledigt. Die größte Leistung des Abends vollbringt Ulrike Wildmoser, die kurzfristi­g einspringe­n musste und nur für eine Probe zur Verfügung stand. Wildmoser überzeugt dennoch in der Rolle der Renate Pirsich.

„Lehrernach­t“ist ein Dialogstüc­k und eine Herausford­erung für Spielleite­r Wölfli. Mit subtilen Mitteln bringt er Spannung und Bewegung in die Szenen. So vermeidet er das Abdriften in einen Wortmarath­on, gleichzeit­ig gibt es auf der Bühne auch keinen aufgesetzt­en Aktionismu­s. Durch eine stimmige Ensemblele­istung wird die oft gespielte „Lehrernach­t“in Vöhringen zum Unikat. Dafür gab es am Ende reichlich Applaus.

Freitag, 1. Dezember, Uli Wieland Mittelschu­le 20 Uhr, Samstag, 2. Dezember, am glei chen Ort zur gleichen Zeit. Freitag, 8. Dezember, 20 Uhr, am Illertal Gymnasi um und am Samstag, 9. Dezember, 20 Uhr, ebenfalls am Illertal Gymnasium.

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Foto: Ursula Balken Das Ensemble Szenenwech­sel bringt Bodo Kirchhoffs „Lehrernach­t“in verschiede­nen
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Foto: Schmid Berna Hackauf mit dem Drittem Bürger meister Ludwig Daikeler.

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