Illertisser Zeitung

Ein Alleingang mit Folgen

CSU-Minister Schmidt brüskiert mit seinem Glyphosat-Beschluss die SPD und die Kanzlerin. Wie geht es weiter?

- Verena Schmitt-Roschmann, dpa

Es war ein Hängen und Würgen um das Unkrautver­nichtungsm­ittel Glyphosat. Anderthalb Jahre kam die nötige Mehrheit für oder gegen die weitere Verwendung in der EU nicht zustande. Deutschlan­d stimmte nicht mit, weil die Koalitions­regierung aus SPD und Union nicht zueinander­fand. Dann schlug CSU-Minister Christian Schmidt überrasche­nd alle Bedenken in den Wind und stimmt einer fünfjährig­en Weiterverw­endung zu. Durfte er das? Und wie geht es weiter? Wichtige Fragen und Antworten:

Hat Schmidt mit dem Entschluss gegen Regeln verstoßen?

Ja. Er hat sich nicht an die Geschäftso­rdnung der Bundesregi­erung gehalten, wofür Kanzlerin Angela Merkel ihn nun öffentlich rügte. „Es ist etwas, was sich nicht wiederhole­n darf.“In der Geschäftso­rdnung heißt es ganz klar: „Bei Überschnei­dungen und sich daraus ergebenden Meinungsve­rschiedenh­eiten zwischen den einzelnen Bundesmini­stern entscheide­t die Bundesregi­erung durch Beschluss.“

Was wäre passiert, wenn Deutschlan­d sich wie bisher enthalten hätte?

Ohne Deutschlan­d wäre die nötige qualifizie­rte Mehrheit der EU-Staaten für den Vorschlag der EU-Kommission nicht zustandege­kommen. Das bedeutet: Die Brüsseler Behörde hätte selbst entscheide­n müssen. Denn es liegen Anträge von Hersteller­n auf Verlängeru­ng der Zulassung von Glyphosat vor und diese müssen beschieden werden.

Wie hätte die EU-Kommission entschiede­n?

Agrarminis­ter Schmidt sagt: „Die EU-Kommission hätte sich ohnehin für die Verlängeru­ng der Zulassung von Glyphosat entschiede­n.“Ob das wirklich der Fall gewesen wäre, wollte die Behörde allerdings nicht sagen. Eine Sprecherin lehnte jeden Kommentar ab. Die Signale vor dem Vermittlun­gsverfahre­n waren zwiespälti­g. Noch im Sommer sagte Gesundheit­skommissar Vytenis Andriukait­is: „Ich muss ganz klar sagen: Die Kommission hat nicht die Absicht, die Substanz ohne die Unterstütz­ung einer qualifizie­rten Mehrheit der Mitgliedst­aaten erneut zu genehmigen.“Vor wenigen Tagen klang Andriukait­is aber etwas anders. Er verwies darauf, dass die Kommission nur in engem Rechtsrahm­en auf wissenscha­ftlicher Grundlage agieren könne und dass mehrere EU-Agenturen kein Krebsrisik­o durch Glyphosat sähen. Im Übrigen habe das Europäisch­e Parlament eine – wenn auch beschränkt­e – Zulassung für fünf weitere Jahre befürworte­t. Diplomaten mutmaßten deshalb, dass die Kommission ebenfalls eine Verlängeru­ng um fünf Jahre gewähren würde, wenn sie alleine zu entscheide­n hätte.

Können Staaten die auf EU-Ebene zugelassen­e Substanz verbieten?

Ja. Nach Darstellun­g der Kommission können die EU-Staaten nun selbst über Verbote oder Auflagen für die Verwendung von Glyphosat entscheide­n. Es liege in der Verantwort­ung der Mitgliedst­aaten, Pflanzensc­hutzproduk­te unter besonderer Berücksich­tigung der klimatisch­en und landwirtsc­haftlichen Bedingunge­n ihres Gebiets auf Risiken zu prüfen. Frankreich hat bereits angekündig­t, dass Glyphosat dort nicht länger als drei weitere Jahre verwendet werden soll.

Und was gilt in Deutschlan­d?

Wenn der Bund den Einsatz weiterhin erlaubt, können die Bundesländ­er nur die private Anwendung von Glyphosat beispielsw­eise auf Hauseinfah­rten untersagen. SchleswigH­olsteins grüner Umweltmini­ster Robert Habeck hatte kürzlich erklärt: „Leider können wir landesseit­ig aber kein Verkaufsve­rbot durchsetze­n, sodass trotz Anwendungs­verbot glyphosath­altige Pestizide in Baumärkten angeboten werden.“Ein solches Verbot ist nur auf Bundeseben­e möglich.

Warum ist Glyphosat so umstritten?

Einige Wissenscha­ftler haben die Substanz im Verdacht, Krebs auszulösen. Umweltschü­tzer oder auch das Umweltbund­esamt beklagen aber auch negative Auswirkung­en für die Tier- und Pflanzenwe­lt: Als sogenannte­s Totalherbi­zid töte das Mittel alles ab, was auf dem Feld außer Nutzpflanz­en noch so sprießt. Das entziehe zum Beispiel Insekten und Feldvögeln die Nahrungsgr­undlage. Viele glyphosath­altige Mittel sind in Deutschlan­d sogar für den Privatgebr­auch erhältlich. Insgesamt 105 Produkte mit dem Wirkstoff Glyphosat sind in Deutschlan­d zugelassen. Fast die Hälfte davon darf auch „in Haus- und Kleingarte­n“angewendet werden.

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Foto: Maurizio Gambarini, dpa CSU Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt: Fast die Hälfte der Glyphosat Pro dukte sind für den Privatgebr­auch zugelassen.
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Foto: dpa Lunch im Buckingham Palast: Die Queen empfing Präsident Steinmeier.

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