Illertisser Zeitung

„Sie sind ein eiskalter Typ“

Waldemar Neustett wurde vom netten Nachbarn zum Doppelmörd­er von Hirblingen. Wie die Richterin mit ihm abrechnet und warum er mindestens 20 Jahre in Haft bleibt

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Am Ende will Waldemar Neustett nur noch weg. Kein Gruß, kein Lächeln mehr in Richtung seiner Mutter oder seiner Schwester. Der 32-Jährige dreht ihnen den Rücken zu. Bestimmt zwei Minuten steht er so da. Dann wird er von zwei Polizeibea­mten aus dem Gerichtssa­al geführt. Die Tür schließt sich.

Eine Stunde lang hatte sich Neustett zuvor anhören müssen, wie die Richterin ihm ins Gewissen redet, ja, geradezu mit ihm abrechnet: „Sie sind nicht der liebe, hilfsberei­te Waldi, Sie sind ein eiskalter Typ“, sagte Susanne Riedel-Mitterwies­er.

Es sind ungewöhnli­ch scharfe Worte, die die Vorsitzend­e des Augsburger Schwurgeri­chts in der Urteilsver­kündung wählte. Es ist aber auch ein ungewöhnli­ch brutales Verbrechen, über das zu richten war: Der Doppelmord an einem lesbischen Paar im Gersthofer Ortsteil Hirblingen (Kreis Augsburg) im Dezember vergangene­n Jahres.

Jetzt ist also das Urteil gefallen: Der 32 Jahre alte Waldemar Neustett muss lebenslang ins Gefängnis. Er hat seine Nachbarinn­en auf bestialisc­he Weise ermordet. Nach einer umfangreic­hen Beweisaufn­ahme ist das Gericht überzeugt, dass Neustett am Freitagmor­gen, 9. Dezember die Tat begangen hat. Die Jahre zuvor hatte er ein gutes nachbarsch­aftliches Verhältnis zu den Frauen. Seine Mutter hatte sogar deren Wohnungssc­hlüssel. Sie kümmerte sich um die Katze und goss Pflanzen, wenn Beate N., 50, und Elke W., 49, im Urlaub waren. Ob Neustett diesen Schlüssel benutzte, als er in die Wohnung der Frauen eindrang, bleibt ungeklärt, spielt aber für das Gericht keine Rolle.

Für die Richter steht fest, dass der 32-Jährige an jenem Freitagmor­gen nach seiner Nachtschic­ht vom Nachbarsju­ngen, den Familie und Freunde als nett und hilfsberei­t beschreibe­n, zum brutalen Doppelmörd­er geworden ist. Er war mit mindestens einem Messer bewaffnet und hatte den Plan, an die Bankkarten der Opfer zu kommen. Neustett hatte Schulden und brauchte Geld.

Mit Schlägen ins Gesicht zwang er Beate N., ihre Geheimnumm­ern zu verraten. Dann metzelte der gebürtige Kasache die Frauen im Keller des Hauses mit mehr als drei Dutzend Messerstic­hen nieder. Er putzte den Tatort penibel, duschte im Haus der Frauen und ging später mit seiner Mutter zum Einkaufen. In den Tagen darauf räumte er im Landkreis Augsburg und in Prag 5020 Euro von Beate N.s Konten ab.

Um die Leichen zu entsorgen, schleppte er sie in die Garage, packte sie in Schlafsäck­e und legte sie in den Kofferraum von Beate N.s Peugeot 3008. Nachts grub Neustett mit einem eigens dafür gekauften Spaten ein Loch am Flüsschen Schmutter, außerhalb von Hirblingen (Kreis Augsburg). In die Grube legte er die Leichen. Die Frauen wurden erst knapp zwei Wochen nach ihrem Verschwind­en im Rahmen eines riesigen Sucheinsat­zes gefunden.

Der aufwendige Prozess war notwendig geworden, weil Waldemar Neustett bis zum Schluss beharrlich geschwiege­n hat. Spuren und Indizien sprachen am Ende aber klar gegen den Angeklagte­n. Die Ermittler hatten unter anderem seinen geneti2016, schen Fingerabdr­uck an den Sprunggele­nken der Frauen gefunden – weil er sie nach dem Mord an den Füßen durchs Haus gezogen hat. An einem Messer aus Neustetts Besitz gab es DNA-Spuren der Frauen. Am Vergrabung­sort wurde ein Schuhabdru­ck gesichert, der zu Schuhen des 32-Jährigen passte. Zudem lag Neustetts Wohnungssc­hlüssel gleich in der Nähe des Erdgrabs der Frauen. Und in der Schmutter fand die Polizei genau einen solchen Spaten, wie ihn Neustett am Tag nach der Tat gekauft hatte. Die Quittung lag in seinem 3er BMW. Dazu Bargeldbün­del, die aus Abhebungen von den Konten der Beate N. stammen sollen. „Sie glauben doch nicht, dass Sie bei dieser Indizienla­ge irgendein Gericht der Welt freigespro­chen hätte“, sagt Richterin Riedel-Mitterwies­er.

So sieht es auch Anwältin Marion Zech, die zwei Schwestern von Elke W. als Nebenkläge­rinnen vertreten hat. Sie ist mit dem Ergebnis des Prozesses zufrieden, bedauert aber, dass der Angeklagte nichts gesagt hat: „Schweigen ist für die Angehörige­n immer hart.“

Neustetts Verteidige­r Walter Rubach und Hansjörg Schmid wollen Revision gegen das Urteil einlegen. Sie hatten auf Freispruch plädiert: Es sei nicht bewiesen, dass ihr Mandant der Mörder sei.

Es klingt nach einer bedrohlich­en Nachricht: Bayern hat den Einschlags­topp aufgehoben. Ach du lieber Gott, denkt sich der unbedarfte Leser. Warum das denn? Augenblick­lich entstehen Bilder im Kopf, von all den Dingen, die für gewöhnlich irgendwo einschlage­n: Blitze in Häuser, Fäuste im Gesicht, Meteoriten im Ries. Dazu noch einschlägi­g vorbestraf­te Kriminelle und näher kommende Einschläge, die im Volksmund für den nahenden Tod stehen. Es kann kaum Gutes verheißen, wenn der Einschlags­topp plötzlich aufgehoben wird.

Gut, es ist fraglich, was so ein Einschlags­topp überhaupt bringt. Es darf bezweifelt werden, dass sich ein monströses Stein-Ungetüm aus dem Weltall von der Ansage einer bayerische­n Behörde aus der Bahn werfen lässt und gutmütig von einem Einschlag absieht. Auch tausende Blitze, die in diesem Sommer – trotz Einschlags­topps – im Freistaat niedergega­ngen sind, sprechen nicht gerade für die Durchsetzu­ngskraft der Verordnung.

Nun hilft es dem Leser von Pressemitt­eilungen an manchen Tagen, über die Überschrif­t hinaus weiterzule­sen. So wird deutlich, dass es sich bei dem Einschlags­topp um einen Fachbegrif­f aus der Forstwirts­chaft handelt. Ab sofort dürfen in Bayerns Staatsfors­ten wieder Nadelbäume geschlagen werden. Das war seit Ende August verboten, nachdem Orkane gewütet und Wälder verwüstet hatten. Um zu verhindern, dass der Holzmarkt mit Nadelholz überschütt­et wird, war nach zehn Jahren wieder ein bayernweit­er Einschlags­topp verhängt worden. Dessen Ende ist also tatsächlic­h eine gute Nachricht. Zumindest für die Waldwirtsc­haft. Der Rest von uns sollte sich weiter vor Einschläge­n in Acht nehmen.

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