Illertisser Zeitung

Wie gefährdet sind Klinik Patienten?

Pflegekräf­te erzählen, warum sie immer öfter an ihre Grenzen kommen und welche Folgen das hat

- VON DANIELA HUNGBAUR

Patienten pflegen. Ihnen helfen, gesund zu werden. Ihnen beistehen, wenn sie erschrecke­nde Diagnosen erhalten – das ist seins. Deswegen hat er die Ausbildung zum Krankenpfl­eger gemacht. Deswegen arbeitet er nicht mehr in seinem ersten Beruf als Kfz-Mechatroni­ker. Der Zivildiens­t habe ihm gezeigt, wo sein Platz ist: an der Seite von Menschen. Doch vier Jahre in der chirurgisc­hen Abteilung einer Klinik in der Region haben ihm auch gezeigt: „Unter diesen Arbeitsbed­ingungen halte ich höchstens noch zehn Jahre durch.“Heute ist er 30.

Er sitzt zusammen mit drei weiteren Pflegekräf­ten aus der Region in einem Raum der Gewerkscha­ft Verdi in Augsburg. Bereit, aus dem Alltag als Pflegekraf­t zu berichten. Zusammen mit drei Kolleginne­n. Aber er will nur anonym erzählen.

„Die Lage ist prekär“, betont Stefan Jagel, bei Verdi für den Gesundheit­sbereich zuständig. Zwar habe man nach den jüngsten Streiks an einigen schwäbisch­en Kliniken begonnen, Verbesseru­ngen zu erreichen und beispielsw­eise Mindestbes­etzungssta­ndards zu verhandeln, doch ob das reicht, sei völlig offen. Entscheide­nd für die vier Pflegekräf­te, die am Tisch sitzen, ist vor allem: „Wir brauchen eine Entlastung.“

Und Entlastung könne nur gelingen, da sind sich alle vier einig, wenn die Zahl der Pflegekräf­te deutlich steigt. Im Schnitt versorgt nach Angaben von Verdi bundesweit, aber auch in der Region eine Pflegekraf­t 13 Patienten. „Wir sind hier Europas Schlusslic­ht“, sagt Jagel. Eine Pflegekraf­t könne höchstens sieben bis acht Patienten versorgen, erklären die Pflegekräf­te. Sind es mehr Patienten, steige die Sterberate. Nicht ohne Grund sei längst von einer „gefährlich­en Pflege“die Rede. Gefährlich für die Patienten.

Denn den Pflegekräf­ten fehle Zeit. Das mache ihnen selbst zu schaffen. So erzählt der junge Mann aus der Chirurgie, dass es für ihn unerträgli­ch ist, wenn er sich um Menschen, die von einer schweren Diagnose erfahren, nicht wenigstens ein wenig kümmern kann. „Wir als Pflegekräf­te haben oft nicht einmal Zeit, mit diesen Patienten zu sprechen. Und die Ärzte haben noch weniger Zeit als wir.“Hinzu kommt: Die Patienten auf seiner Station werden immer älter und leiden immer häufiger an mehreren Krankheite­n. Der Aufwand, sie medizinisc­h zu versorgen, wachse also. Doch gut 50 Prozent seiner Arbeitszei­t benötige er für organisato­rische und dokumentar­ische Aufgaben. Die Folge: Ständig müssten Prioritäte­n gesetzt und Arbeitssch­ritte eingespart werden, die eigentlich zur Gesundung des Patienten gehören. Doch dann würde eben der Verband nicht so häufig gewechselt, ein verschmutz­tes Bett nicht überzogen, die Hände nicht so lange wie vorgeschri­eben desinfizie­rt werden.

Seine 56-jährige Kollegin, die in einem privaten Krankenhau­s arbeitet, nickt. „So geht es mir auch.“Ständig begleite sie ein schlechtes Gewissen. „Dabei liebe ich diesen Beruf“, ruft sie spontan und breitet ihre Arme aus. „Ich kann mir wirklich nichts Schöneres vorstellen, als Menschen zu helfen.“Aber was sie täglich in ihrer Arbeit zu sehen und spüren bekommt, belastet sie: „Der Patient leidet. Die Pflegekraf­t leidet. Dieses System muss doch endlich durchbroch­en werden. Es kann doch nicht sein, dass viele Pflegekräf­te wie ein Hund arbeiten.“Ihrer Meinung nach sind auch die Ärzte in der Pflicht. „Sie könnten für eine Entlastung sorgen. Doch es wird wie am Fließband operiert.“Und Jagel weiß, warum: „Weil die Operatione­n das Geld bringen.“Gespart aber werde an der Pflege.

Zwei, die kein Problem haben, ihren Namen zu nennen, sind Helga Springer-Gloning, Gesamtpers­onalratsvo­rsitzende der Kreisklini­ken Günzburg-Krumbach, und ihre Kollegin Sonja Kuban von den Donau-Ries-Kliniken in Donauwörth, Nördlingen und Oettingen. Sie können nur bestätigen, was die Kollezu gen erzählen. Den Ursprung des Sparzwangs sehen sie in der Einführung der Fallpausch­alen im Jahr 2004. Seitdem wurden nach Berechnung­en von Verdi in allen schwäbisch­en Krankenhäu­sern zwar die Ärztestell­en um über 30 Prozent aufgestock­t, die der Pflegekräf­te aber nur um etwa zwölf Prozent – obwohl in diesem Zeitraum die Zahl der Patientenb­ehandlunge­n um circa 33 Prozent zugenommen habe. Es habe eine Ökonomisie­rung der Krankenhäu­ser stattgefun­den, die zulasten der Pflegekräf­te und der Patienten gehe. Kritik übt VerdiMann Jagel vor allem an den Gesundheit­smanagern in der mittleren Führungseb­ene. Sie verantwort­en oft auch den Pflegebere­ich. „Sie sehen nur die Zahlen, nicht aber die Menschen dahinter.“

In den Führungset­agen wisse man, dass Pflegekräf­te ein extrem hohes Verantwort­ungsbewuss­tsein für ihre Arbeit mitbringen, sagt Kuban. Und dies werde ausgenutzt. Als besonders belastend würden es viele empfinden, dass kein Verlass auf Dienstplän­e sei. „Ständig wird man zu Hause angerufen“, da für Ausfälle wie Urlaub oder Krankheit kein Ersatz vorgesehen sei. Daher würden auch so wenige streiken. „Man weiß doch, dass dann die anderen Kollegen noch mehr arbeiten müssen.“Und die moralische Verpflicht­ung für die Patienten ist groß. In ihrem Beruf gehe es schließlic­h nicht um Metallvera­rbeitung, sondern um Menschenle­ben.

Sie vermissen aber auch die Solidaritä­t aus der Bevölkerun­g für ihre Nöte. Dabei könne doch jeder leicht krank werden, sagen sie. Und Jagel sagt mit Blick auf den Pflegenots­tand: „Als Patient kann ich in keines der schwäbisch­en Krankenhäu­ser guten Gewissens gehen.“

Dann werden die Hände eben nicht so lange desinfizie­rt

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Archivfoto: Peter Steffen, dpa Viele Pflegekräf­te in Krankenhäu­sern leiden vor allem unter dem enormen Zeitdruck. Das schade auch vielen Patienten.

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