Illertisser Zeitung

Leitartike­l

Deutschlan­d braucht eine stabile, handlungsf­ähige Regierung. Also bleibt nur eine Neuauflage der Großen Koalition, die ja gar nicht mehr so groß wäre

- Ro@augsburger allgemeine.de

Es ist die Stunde des Bundespräs­identen. Das Experiment einer „Jamaika“-Koalition ist gescheiter­t, die fast 70 Jahre alte Bundesrepu­blik erlebt ihre erste Regierungs­bildungskr­ise. Dem Präsidente­n, der in normalen Zeiten repräsenta­tive und notarielle Aufgaben versieht und nur über die Macht des Wortes verfügt, fällt plötzlich eine Schlüsselr­olle zu.

Der gelernte Diplomat Steinmeier handelt im Geist des Grundgeset­zes, das auf stabile Regierungs­verhältnis­se angelegt ist und die Staatsräso­n über die Parteiinte­ressen stellt. Seine Botschaft lautet: Ich will keine Neuwahlen, die helfen nicht weiter. Also reißt euch zusammen und erfüllt eure Pflicht, eine Regierung zu bilden! Es ist ein Appell zur Neuauflage der Großen Koalition, der einzig verblieben­en Option. Steinmeier kann den Parteiführ­ern Merkel, Seehofer und Schulz nichts befehlen. Doch ein klares Wort des Mannes, der in seinem früheren Leben ein führender SPD-Politiker war und die schwarz-roten Innereien kennt, dürfte genügen, damit es zu einer ersten Sondierung­srunde kommt.

Bei Merkel und Seehofer rennt Steinmeier offene Türen ein. Die wendige Kanzlerin ist nach dem „Jamaika“-Schlamasse­l umgehend auf GroKo-Kurs gegangen, nachdem sie der SPD eben noch Regierungs­unfähigkei­t vorgeworfe­n hatte. Die SPD hingegen, die von Merkel seit 2005 in zwei Großen Koalitione­n auf zuletzt 20 Prozent geschrumpf­t wurde und nun den Nothelfer geben soll, tut sich mit der neuen Lage sehr schwer. Es war eben ein Fehler, schon am Wahlabend um 18.03 Uhr den Abmarsch in die Opposition zu verkünden. Und es war ein noch schwererer Fehler des überforder­t wirkenden, um sein politische­s Überleben kämpfenden Vorsitzend­en Schulz, die von der Erneuerung in der Opposition träumende Partei nach dem „Jamaika“-Aus noch einmal auf Opposition einzuschwö­ren. Jetzt steht die SPD unter dem gewaltigen Druck, sich um ihrer staatspoli­tischen Verantwort­ung willen noch einmal auf das verhasste Bündnis mit der Union einzulasse­n – und Schulz hat größte Mühe, das Ruder herumzurei­ßen und seine Partei für die Idee einer neuen GroKo zu erwärmen.

Es stimmt ja: Der SPD ist die Allianz mit der Union schlecht bekommen. Und wem ist schon auf Dauer nach einer Regierung der beiden Volksparte­ien zumute, die das demokratis­che Wechselspi­el erschwert, die Ränder stärkt und zur Verwaltung des Status quo neigt? Das ganze Land hatte ja das Gefühl, dass es Zeit sei für eine andere, eine frischere und innovative­re Regierung. Das Problem ist, dass dieses Land eine stabile, mit verlässlic­hen Mehrheiten operierend­e Regierung braucht und nur eine Koalition der Wahlverlie­rer dafür sorgen kann. Also wird der SPD am Ende gar nichts anderes übrig bleiben, als in den sauren Apfel zu beißen. Nirgendwo steht ja geschriebe­n, dass die SPD an der Seite einer sichtbar schwächer werdenden Kanzlerin noch weiter abrutscht. Und da die GroKo, einst mit 70 Prozent angetreten, nur noch 53 Prozent auf die Waage bringt und es mit vier Opposition­sparteien zu tun bekommt, braucht einem auch um den Parlamenta­rismus nicht bange zu sein.

Die SPD, so viel ist klar, wird ihre Haut so teuer wie irgend möglich verkaufen wollen. Da die Union nicht jeden Preis bezahlen kann und ihre Kundschaft im Auge behalten muss, wird es hart zur Sache gehen. Schwarz-Rot ist trotz des Zwangs zur Einigung kein Selbstläuf­er. Sollten die Unterhändl­er scheitern, kommen Steinmeier und eine Minderheit­sregierung als Notlösung ins Spiel. Für eine Übergangsz­eit, ehe die Wähler wieder ranmüssen und – hoffentlic­h – für klarere Verhältnis­se sorgen.

Die SPD will ihre Haut teuer verkaufen

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