Ulmer Juden feiern neue Heilige Schrift
Am Sonntag wird die dritte Tora-Rolle in die Neue Synagoge eingebracht. Rabbiner Shneur Trebnik sieht darin nicht nur eine besondere religiöse Bedeutung
Die jüdische Gemeinde in Ulm beginnt am Sonntag ein neues Kapitel ihrer Geschichte. Dann feiern die Juden der Stadt, dass eine neue Tora-Rolle in ihrer Synagoge eingebracht wird. Ein Festzug wird die Heilige Schrift unter Gesang und mit Tänzen vom Rathaus bis zur Neuen Synagoge im Weinhof bringen. „Das zeigt die Entwicklung des jüdischen Lebens in Ulm“, sagt Rabbiner Shneur Trebnik. Der 41-Jährige hat diese Entwicklung begleitet. Seit 2000 ist er Ortsrabbiner, damals betreute er 89 Gläubige. Inzwischen ist die Gemeinde auf 500 Mitglieder gewachsen. Für sie ist die neue Tora-Rolle ein weiterer Schritt. Gefeiert wird dieser Schritt mit besonderen Gesten. Schon am Donnerstag trifft der Sofer Dov Ginzburg in Deutschland ein. Sofer ist ein jüdischer Beruf, ein kunstfertiger Schreiber hebräischer Texte. Ginzburg, der in einer Kleinstadt in der Nähe von Nazareth lebt, hat im Auftrag der Ulmer Juden die Tora mit einem Federkiel auf Pergament geschrieben. Weil die Heilige Schrift nicht transportiert werden soll, beendet er sein Werk mit den letzten Buchstaben der Tora bei der Feier am Sonntag in Ulm. Vorher, am Freitag, macht Ginzburg in Stuttgart Station. Er wird im Landtag einige Buchstaben der Tora schreiben. „Ich glaube, in der Geschichte Deutschlands gab es das noch nie“, sagt Rabbiner Trebnik. Die Idee zu dieser Geste, die als Ehrerbietung gegenüber den Bürgern des Landes gedacht ist, stammt von ihm. Trebnik will, dass jüdische Kultur nicht nur mit dem Holocaust in Zusammenhang gebracht wird. „Wir sind heute als ganz normale Bürger in Deutschland. Dafür wollen wir ein Zeichen setzen“, sagt er.
Beendet wird die Arbeit an der Rolle nicht etwa in der Synagoge, sondern im Rathaus. Dort werden unter anderem Oberbürgermeister Gunter Czisch, Staatssekretär Martin Jäger und Landesrabbiner Natanael Wurmser Grußworte sprechen. Dass die Wahl auf diesen Ort fiel, soll ein weiteres Zeichen dafür sein, dass die Einbringung der Tora-Rolle nicht nur ein besonderes religiöses Ereignis ist, sondern der Nachweis, dass das jüdische Leben Teil des gesellschaftlichen Lebens in Ulm ist. Der Festzug, der die Tora-Rolle zum Weinhof bringt, führt von der Brauttreppe aus über Neue Straße, Marktplatz und Mohrengasse.
Die Tora umfasst die fünf Bücher Mose auf einer Pergamentrolle. Bei normalen Gottesdiensten wird eine Passage vorgelesen. Bei besonderen Anlässen hören die Gläubigen mehrere Abschnitte, die an unterschiedlichen Stellen stehen. Gibt es nur eine Tora-Rolle, warten die Besucher des Gottesdienstes minutenlang, bis der Rabbiner den richtigen Abschnitt vor sich liegen hat. „Es ist fast üblich, dass man mehrere ToraRollen hat, damit man im Gottesdienst nicht rollen muss“, erklärt Trebnik. Bisher hatte die Gemeinde zwei der Heiligen Schriften. Nun kommt eine dritte dazu.
Als die jüdische Gemeinde im November 2003 zum erstem Mal Spenden für eine Tora-Rolle sammelte, sollte es schnell gehen. Schließlich ging es um die Möglichkeit, überhaupt Gottesdienste feiern zu können. Inzwischen befindet sich die Gemeinde in einer anderen Lage. Darum setzte Rabbiner Trebnik ein höheres Spendenziel: 50000 Euro. Diese Summe trug die Gemeinde in rund zwei Jahren zusammen, schneller, als gedacht. „Es zeigt uns, dass wir die Unterstützung und Sympathie der Ulmer haben. Auch die derer, die keine Juden sind“, sagt Trebnik.
Der Festzug zur Synagoge be ginnt am Sonntag, 3. Dezember, um 16 Uhr am Rathaus.