Die Partystimmung ist längst verflogen
Die Euphorie zu Beginn der Jamaika-Sondierungen ist fast vergessen. Deutschland sucht bis heute eine Regierung
Die Bescherung fällt aus. Viele bunt verpackte Geschenke legt das Christkind auch in diesem Jahr unter den Weihnachtsbaum – doch eine neue Regierung ist nicht dabei. Die Sondierungen über die Bildung einer Jamaika-Koalition sind gescheitert, ob es zur Neuauflage einer Großen Koalition kommt, ist offener denn je. Dabei begann im Herbst alles so hoffnungsvoll. ● Schon wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale kündigt die SPD an, in die Opposition zu gehen. „Mit dem heutigen Abend endet die Zusammenarbeit mit der CDU/CSU“, sagt Parteichef Martin Schulz. Die FDP feiert dagegen ihren Wiedereinzug in den Bundestag. Parteichef Christian Lindner twittert: „Die Menschen haben uns nicht als eine Form von Dankeschön gewählt, sondern aus dem Wunsch heraus, dass sich etwas verändert.“● Die Sozialdemokraten bleiben bei ihrem Nein. „Die SPD wird in keine Große Koalition eintreten“, sagt Martin Schulz. Damit ist, weil die Union Koalitionen mit der AfD wie mit der Linken ausschließt, rechnerisch nur noch die Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen möglich. „Es ist wichtig, dass Deutschland eine stabile, eine gute Regierung bekommt“, sagt CDU-Chefin Angela Merkel und kündigt an, mit den Liberalen und den Grünen Gespräche zu führen. Allerdings erst nach den Landtagswahlen in Niedersachsen am 15. Oktober. ● Es geht los. CDU, CSU, FDP und die Grünen nehmen Kurs in Richtung Jamaika und treffen sich zu den ersten Sondierungsgesprächen. Von „konstruktiven und kreativen Gesprächen“sprechen hinterher die Generalsekretäre aller vier Parteien. Er habe „ein gutes Gefühl“, dass es am Ende „eine gute Regierung“geben werde, sagt CDU-Generalsekretär Peter Tauber. ● „Zwischenergebnis heute – das KÖNNTE eine finanzpolitische Trendwende werden“, schreibt FDP-Chef Christian Lindner auf Twitter. Der Abbau des „Soli“sei beschlossene Sache. Doch sein Jubel kommt zu früh. Die Union wie die Grünen bestreiten, dass es bereits eine Einigung gebe. ● Es knirscht gewaltig, die größten Knackpunkte sind die Migration, der Klimaschutz, die Finanzen und Europa. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und FDP-Chef Christian Lindner attackieren die Grü- nen. Bei einem Krisentreffen der Verhandlungsführer ruft Angela Merkel die Streithähne zur Mäßigung auf. Doch bei zahlreichen Politikfeldern liegen die Parteien weit auseinander. Die Chancen seien „unverändert bei 50:50“, sagt Lindner. ● Finale. Die große Runde kommt zu ihrer entscheidenden Sitzung zusammen. Auf dem Tisch liegt ein 62-seitiges Papier mit zahllosen ungeklärten Fragen. Mehrfach wird die Sitzung unterbrochen, die Verhandlungsführer treffen sich im kleinen Kreis, doch man kommt nicht von der Stelle. Aber noch will niemand für ein Scheitern verantwortlich sein – um 4.30 Uhr werden die Gespräche unterbrochen. „Dieses besondere Projekt darf nicht an ein paar Stunden scheitern“, sagt Christian Lindner. ● Ab mittags wird wieder verhandelt. Christian Lindner setzt ein Ultimatum: „Um 20 Uhr ist Schluss.“Doch auch da ist noch nicht Schluss, die Delegationen einigen sich darauf, die Uhren anzuhalten. Nach vier weiteren Stunden erklärt Christian Lindner kurz vor Mitternacht die Gespräche für gescheitert. „Lieber nicht regieren als schlecht regieren.“Union und Grüne sind entsetzt, man sei kurz vor einer Einigung gewesen. ● SPD-Chef Martin Schulz verkündet, dass seine Partei „für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung“stehe. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier trifft sich mit Angela Merkel und appelliert in einem eindringlichen Aufruf an alle Parteien, alle Möglichkeiten zur Bildung einer Regierung auszuloten. ● Nach einem langen Gespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue am Abend zuvor erklärt sich die SPD bereit, Gespräche „mit anderen Parteien“zur Bildung einer Regierung zu führen, allerdings gebe es „keinen Automatismus in irgendeine Richtung“. ● Bei einem Gespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vereinbaren Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz, in einem Gespräch ausloten zu wollen, ob und unter welchen Bedingungen man Sondierungen über eine wie auch immer geartete Regierungsbildung aufnehmen wolle. In der SPD regt sich erster Widerstand gegen eine Neuauflage der GroKo. ● Auf einem Parteitag spricht sich nach fast fünfstündiger hitziger Debatte doch noch eine Mehrheit für Gespräche mit der Union aus. Diese sollen allerdings „ergebnisoffen“geführt werden. Auf einem Sonderparteitag im Januar wird entschieden, ob auf der Grundlage dieser Gespräche offizielle Verhandlungen aufgenommen werden, am Ende muss die Basis einem Koalitionsvertrag zustimmen. ● Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz sowie die Fraktionschefs Volker Kauder, Alexander Dobrindt und Andrea Nahles treffen sich zu einem ersten Gespräch. ● Bei einem weiteren Treffen legen die Parteiund Fraktionschefs von CDU, CSU und SPD das weitere Verfahren fest: Die Sondierungen finden vom 7. bis 12. Januar statt, auf der Agenda stehen 15 Themengebiete. Auf einem Sonderparteitag in Bonn am 21. Januar will die SPD entscheiden, ob sie auf der Grundlage der Sondierungen offizielle Verhandlungen mit der Union aufnimmt. Diese könnten bis Ende März abgeschlossen werden. Danach müssen die SPD-Mitglieder den Ergebnissen der Verhandlungen zustimmen. Scheitern die Koalitionsverhandlungen, gibt es Neuwahlen. ● Sollte gewählt werden, könnte sich FDP-Chef Christian Lindner nun doch wieder Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition vorstellen: „In neuen Konstellationen wird neu gesprochen.“