„Damit konnte ja auch keiner rechnen“
Kein Chinese, sondern Dimitrij Ovtcharov ist die neue Nummer eins der Tischtennis-Weltrangliste. Das hängt natürlich mit Trainingseifer und Talent zusammen – aber auch mit einem neu eingeführten Ball
einer Woche haben Sie sich als zweiter deutscher Spieler der Geschichte nach Timo Boll den Spitzenplatz in der Weltrangliste gesichert. Wie fühlt es sich an, die Nummer eins der Welt zu sein?
Ehrlich gesagt, völlig unreal. Ich kann das noch gar nicht richtig begreifen. Bereits der Gewinn des World Cups war unfassbar. Es gibt so viele unglaublich starke Spieler in dieser Sportart, vor allem die Cracks aus China. Ganz oben zu stehen, macht mich stolz und glücklich, das gibt mir zusätzliches Selbstbewusstsein. Ich muss so vielen Menschen danken, die mich die ganze Karriere über unterstützt haben. So etwas schafft man nicht allein, sondern nur mit der Hilfe des gesamten Teams und natürlich der Unterstützung der Familie.
Wussten Sie bereits als Kind, dass Sie das eines Tages schaffen würden?
Als junger Spieler hat man immer hohe Ziele, das geht ja aber nur Schritt für Schritt. Seit sieben, acht Jahren stehe ich jetzt in den Top Ten, zuletzt ging es aber nur noch schwer vorwärts. Die Konkurrenz aus China ist so stark, da denkt man sich irgendwann auch mal, dass in Europa alles möglich ist, es weltweit aber extrem schwierig wird. Dass ich in dieser Saison sieben von zehn World-Tour-Turniere gewinnen würde, damit konnte ja auch keiner rechnen. Das war schon ein Wahnsinnsjahr.
Warum sind die vermeintlich unschlagbaren Chinesen nun schlagbar?
Ich glaube, das liegt an vielen Kleinigkeiten. Chinas Spitzenspieler haben in den vergangenen Jahren viele Spiele bestritten, waren vielleicht auch nicht alle stets in Bestform. Dazu kam die Einführung des neuen Balls mit einer anderen Plastikqualität. Damit kamen wir besser zurecht als die Chinesen. Und über Erfolg und Misserfolg entscheidet oftmals ein Ballwechsel. Wenn man dann mal so ein Spiel für sich entscheidet, steigt das Selbstvertrauen und der Glaube, solche Duelle gewinnen zu können.
Dazu kam, dass Chinas TischtennisSzene im Juni im Aufruhr war, als die Trainergarde um Liu Guoliang internen Umstrukturierungen zum Opfer fiel. Aus Protest boykottierten die Stars um Ma Long die China Open. Stehen Sie im Austausch mit Chinas Spielern? Wurde darüber diskutiert?
Ich kenne Ma Long und Fan Zhendong zwar ganz gut und habe mit beiden regelmäßig Kontakt, aber gerade dieses Thema ist sehr sensibel, da wird nicht wirklich darüber gesprochen.
Sie gelten als gewiefter Analytiker, dessen Trainingsfleiß sogar die Konkurrenz aus China beeindrucken soll. Stimmt es, dass Sie Buch führen über alle ihre Spiele? Dass Sie bereits beim Frühstück Youtube-Videos Ihrer nächsten Gegner anschauen?
Nein, das ist etwas übertrieben. Ich habe mir in jungen Jahren einen guten Ruf erarbeitet, daher kommen diese Geschichten. Aber beim Frühstück gibt es Frühstück und keine Videos. Danach bringe ich meine Tochter in den Kindergarten und erst dann beginnt das Training.
Ihre Eltern verließen die Ukraine 1992 aus Sorge vor den Folgen des Tschernobyl-Unglücks. In Hameln machten Sie als Sechsjähriger am Küchentisch ihre ersten Schläge, als Netz dienten angeblich einige Bücher. Danach wurden Sie zum Kellerkind. (Lacht)
sagen, ja. Genau. Das kann man so
Im Untergeschoss wurden Sie von IhVor ren Eltern trainiert, ihr Vater war früher russischer Nationalspieler. Wäre ohne einen solchen Hintergrund Ihre Karriere denkbar gewesen?
Die Familie ist immer der Grundstein und bis heute der Rückhalt. Ich bin gesegnet, so tolle Eltern und inzwischen auch eine eigene tolle Familie mit Frau und Kind zu haben. Alle ziehen an einem Strang, stellen häufig ihre eigenen Interessen hintenan.
Gab und gibt es Phasen, in denen Sie keine Lust auf Tischtennis hatten oder haben?
Klar, ich spiele jetzt seit 23 Jahren – und das gefühlt täglich. Da gibt es nicht nur gute Tage. Aber mein Vater hat mir früh erklärt, wie wichtig es ist, viel und gut zu trainieren. Man hat schließlich auch eine Verantwortung dem eigenen Anspruch gegenüber, aber auch den Partnern und Sponsoren. Ich versuche, das Maximale aus jedem Tag rausholen. Ich weiß heute aber auch, dass es manchmal besser ist zu regenerieren, den Kopf freizubekommen und mal nichts zu tun, als schlecht zu trainieren.
Erst Jörg Roßkopf, dann Timo Boll, jetzt Sie – Deutschland hat seit Jahrzehnten Tischtennis-Stars, dennoch stagniert der Sport in Sachen Mitglieder, Zuschauerzahlen und Medienpräsenz.
Ja, das ist schade. Das liegt meiner Meinung nach hauptsächlich schon an der geringen Zahl an TV-Übertragungen. In Ländern wie China oder Japan ist das anders, da kommen Berichte von den besten Spielern fast täglich landesweit im TV. Unser Sport hat da einen ganz anderen Stellenwert.
Spielen Sie gerne gegen Timo Boll? Sie sind ja miteinander befreundet, haben früher sogar ein eigenes Zimmer in seinem Haus im Odenwald gehabt.
Das war für mich als junger Spieler natürlich fantastisch – mit so einem außergewöhnlichen Spieler zu trainieren und von ihm zu lernen und nicht noch groß herumfahren zu müssen. Dieses Jahr war es schon etwas blöd, dass wir so oft in Endspielen aufeinandertrafen und ich so viele davon gewonnen habe – ausgerechnet gegen ihn. Aber Tischtennis ist unser beider Leidenschaft. Im Match geben wir alles, da will jeder gewinnen, danach sind wir dann aber wieder Freunde.
Vielleicht braucht der eine mal zehn Minuten länger dafür, aber wir können das ganz gut trennen.
(Lacht)
„Da gibt es nicht immer nur gute Tage.“