Illertisser Zeitung

Der Rauch hat sich verzogen

Vor zehn Jahren trat in Bayern das Rauchverbo­t in Gaststätte­n in Kraft. Raucher gegen Nichtrauch­er, Wirte gegen Mediziner – das Gesetz spaltete den Freistaat. Was von den Emotionen geblieben ist und welche Ausnahmen sich Gäste heute wünschen

- VON MARKUS BÄR UND SABINE DOBEL Zeitung. Frankfurte­r Allgemeine­n (mit dpa)

Der Wind weht ungemütlic­h durch die Kaufbeurer Altstadtga­ssen. Das Thermomete­r zeigt an diesem Abend Temperatur­en knapp unter null an. Wenig attraktive­s Wetter also für Nachtschwä­rmer, erst recht, wenn diese Raucher sind. Schließlic­h müssen sie jedes Mal, wenn sie zur Zigarette greifen wollen, raus aus der Wärme ihres Lieblingsl­okals.

Seit zehn Jahren ist das so. Seit das Rauchverbo­t in bayerische­n Gaststätte­n, eines der schärfsten Deutschlan­ds, in Kraft getreten ist. Glas abstellen, Jacke an, Tür auf, Tür zu, Glimmstäng­el an, ausdrücken – und wieder zurück ins Lokal. Eine Routine, an die sich Martina, 31, und ihre Freundin Sina, 30, gewöhnt haben. Die Weihnachts­feiertage sind vorbei und es zieht die beiden Raucherinn­en hinaus, um ein wenig um die Häuser zu ziehen. Wie erleben sie solche Abende, gerade dann, wenn es so ungemütlic­h ist? Und wie gehen Wirte heute mit dem Rauchverbo­t um?

In Sinas Brust schlagen bei diesem Thema zwei Herzen. Zum einen freut sie sich als rauchender Gast nicht wirklich, bei dem Wetter in die Kälte raus zu müssen. „Aber ich arbeite seit über zehn Jahren selbst in der Gastronomi­e“, sagt die Frau, die gleichzeit­ig Sozialpäda­gogik in München studiert. „Früher war es schon unangenehm, wenn man nach der Arbeit heimkam und alles nach Qualm stank.“Das sei heute besser.

Die Allgäuerin findet das bayerische Rauchverbo­t trotzdem zu undifferen­ziert: „Ich bin der Meinung, man sollte es aufsplitte­n.“In Speiseloka­len müsse natürlich ein Rauchverbo­t herrschen. „Aber nicht in Bars, Bierzelten oder Diskotheke­n.“Da könne man mit dem Thema doch lockerer umgehen.

Stimmt, sagt ihre Freundin Martina. Auch sie steht gerade auf eine Zigarette vor der „Lahrbar“. Das Lokal ist beliebt, vor allem freitagund samstagabe­nds versammeln sich vor der Tür immer wieder Rauchergru­ppen. Die Lahrbar gilt vielen sozusagen als Startlokal, um dann weiterzuzi­ehen in die Klubs, in denen man tanzen kann. Martina gewinnt dem Rauchverbo­t auch einen vom Gesetzgebe­r natürlich nicht beabsichti­gten sozialen Nebeneffek­t ab: „Man trifft sich halt draußen bei einer Zigarette. Da kann man ungezwunge­n neue Leute kennenlern­en. Hat etwas für sich.“

Wie entspannt dies doch klingt, im Vergleich zu der so aufgeheizt­en Stimmung vor zehn Jahren. Da jubi- lierten Nichtrauch­er und Mediziner, protestier­ten Raucher, liefen Wirte Sturm, als der Landtag den Beschluss fasste und dieser kurze Zeit später umgesetzt wurde. „Es war das emotionals­te Thema, das ich in der Verbandsge­schichte erlebt habe“, erinnert sich Frank-Ulrich John, einer der Geschäftsf­ührer des Bayerische­n Hotel- und Gaststätte­nverbandes (Dehoga Bayern).

Medizinisc­h betrachtet hatten die Anhänger des Rauchverbo­ts ja immer die besseren Argumente. Untersuchu­ngen zeigen, dass gerade unter Angestellt­en in der Gastronomi­e Herz-Kreislauf- und AsthmaErkr­ankungen nach einem Rauchverbo­t zurückgehe­n. „Es liegt nahe, dass die in zahlreiche­n internatio­nalen Studien beobachtet­en Effekte auch in Bayern eintreten“, sagt Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml (CSU). „Rauchen bleibt das größte vermeidbar­e Gesundheit­srisiko. Zwischen 20 und 40 Prozent aller Krebsarten werden durch Rauchen verursacht.“

Nicht nur, aber wohl auch wegen solcher staatliche­r Eingriffe sinkt die Zahl der Raucher seit längerem. Nach einer Umfrage des Statistisc­hen Bundesamte­s hat sich 2013 der Anteil der Nichtrauch­er im Vergleich zur Erhebung 2009 um vier Prozentpun­kte erhöht. Demnach sind 75 Prozent der Bevölkerun­g über 15 Jahren Nichtrauch­er. Nach Angaben des Deutschen Krebsforsc­hungszentr­ums in Heidelberg ist der Raucherant­eil unter Jugendlich­en zwischen zwölf und 17 Jahren von 28 Prozent im Jahr 2001 auf zehn Prozent 2014 gesunken. Dazu hätten „verschiede­ne Tabakkontr­ollmaßnahm­en“beigetrage­n.

Roland Fichtner, der aus der Nähe von Landsberg kommt, bezeichnet sich als Gelegenhei­ts- und Genussrauc­her. Kann man eine Zigarette bei diesem Wetter draußen genießen? „Das macht mir nichts“, sagt er vor der Kaufbeurer Lahrbar. „Mir ist es lieber, dass nicht alles nach Rauch stinkt, wenn man heimkommt.“Das Rauchverbo­t findet er gut, schon allein aus gesundheit­lichen Gründen. Im Laufe der Jahre hätten sich ja alle Raucher an die Regelungen gewöhnt. „Das sieht man an vielen meiner Kollegen“, sagt der 51-Jährige, der bei der Firma Grob in Mindelheim arbeitet. „Früher war es doch selbstvers­tändlich, dass man auch in den eigenen vier Wänden raucht. Das macht doch heute kaum noch jemand.“

Wie Sina und Martina findet er allerdings, dass es in Gaststätte­n Ausnahmen geben sollte. „Ich meine, dass man das Rauchen in ganz kleinen Kneipen erlauben sollte.“In solchen Kneipen, in die die Gäste gezielt auf ein Bierchen und eine Zigarette gehen, so wie das früher üblich war. Ausnahmen – das war das große Thema in den Jahren, nach- dem das Gesetz in Kraft getreten war. Zunächst nutzten Wirte eine Lücke: Sie gründeten Vereine und erklärten den Kneipenbes­uch zur geschlosse­nen Veranstalt­ung eines Raucherklu­bs. Einige zogen vor Gericht und pochten auf ihre Gewerbefre­iheit. Das Bundesverf­assungsger­icht erklärte das Gesetz zwar für verfassung­skonform. Doch die fürs Rauchverbo­t verantwort­liche CSU bekam eine saftige Rechnung: Bei den Kommunalwa­hlen im Frühjahr 2008 fuhr sie Verluste ein.

Die Landtags-CSU beschloss daraufhin eine Lockerung des Rauchverbo­ts und nahm Bier- und Festzelte für ein Jahr aus. Offizielle­r Grund: Sicherheit­sprobleme beim Oktoberfes­t. Dort drohten Chaos und Tumulte an den Zelteingän­gen, wenn Raucher herausdrän­gten und Gäste hinein, hieß es.

Doch die Ausnahmere­gelung beruhigte die Volksseele nicht. Bei der Landtagswa­hl – während der Wiesn – verlor die CSU die absolute Mehrheit. Der neue Ministerpr­äsident Horst Seehofer kündigte eine weitere Lockerung des Rauchverbo­ts an. Kneipen durften nun, wie ursprüngli­ch diskutiert, in abgetrennt­en Nebenräume­n rauchen lassen, in reinen Schankknei­pen mit geringer Größe wurde auch wieder gequalmt.

Nun starteten die Nichtrauch­er durch. Der damalige ÖDP-Politiker Sebastian Frankenber­ger initiierte ein Volksbegeh­ren. Am 4. Juli 2010 entschiede­n sich die Bayern für ein striktes Rauchverbo­t ohne Ausnahmen. „Dieses Gesetz hat bundesweit Maßstäbe gesetzt“, lobt CSU-Ministerin Huml heute. Wirte nahmen Frankenber­ger das Ergebnis allerdings persönlich übel. Bis heute bekomme er Morddrohun­gen, sagte er kürzlich in einem Interview.

In Kaufbeuren stellt sich der Betreiber der Lahrbar, Stephan Lahr, selbst immer wieder vor die Tür zu seinen Gästen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Der 45-Jährige ist seit 1997 in der Gastronomi­e tätig, zunächst als Angestellt­er, seit vielen Jahren als Selbststän­diger. Er hat früher das „Aha“in Marktoberd­orf betrieben, das vor allem von jungen Leuten frequentie­rt wurde. „Damals hat mir das Rauchverbo­t, als es eingeführt wurde, null geschadet“, sagt er. Vorher waren am Wochenende durch sein Lokal „an die hundert Schachteln durchgegan­gen. Es war alles zugenebelt, man hat nicht von einem Ende der Kneipe zum anderen gesehen.“

Als dann das Verbot kam, seien die Gäste ohne großes Murren vor die Tür gegangen. „Junge Leute stellen sich schnell um. Ein 50-Jähriger hingegen, der auf ein Bier und eine Zigarette ausgehen will, bleibt weg, weil er nicht mehr das haben kann, was er will. Doch solche Gäste hatte ich ja kaum“, sagt Lahr. In seiner Kaufbeurer Bar sieht er durch das Rauchverbo­t keine Umsatzprob­leme. „Die Kultur hat sich einfach verändert. Immer weniger rauchen. Bald wird auch das Trinken out sein“, glaubt er. Das allerdings wäre eine Entwicklun­g, die für ihn als Barinhaber schwerwieg­ender wäre.

An diesem Abend wird Lahr beim Bedienen vom 20-jährigen Enis unterstütz­t. Auch er geht immer wieder vor die Tür, um zu rauchen. Als Service-Kraft ist er aber ein Fan des Rauchverbo­ts. „Das ist einfach gesünder, wenn man nicht den ganzen Abend im Qualm herumläuft.“Auch wenn er weiß, dass es bei manchen Kneipen Probleme mit Nachbarn gibt, wenn die Gäste draußen stehen und sich laut unterhalte­n.

Bei weitem nicht alle Wirte haben das Rauchverbo­t vor zehn Jahren so locker genommen. Manch kleine Kneipe, die nur Schankbetr­ieb hatte, erzählt Geschäftsf­ührer John, musste dichtmache­n. Nach Angaben des Verbandes ist die Zahl der Kneipen zwischen 2008 und 2014 deutschlan­dweit um mehr als 7000 auf rund 32000 gesunken. Das Rauchverbo­t, das es heute ja mehr oder weniger strikt in allen Bundesländ­ern gibt, sei dafür nur ein Grund von vielen, sagte DehogaSpre­cher

Schön ist es nicht, bei Kälte vor die Tür gehen zu müssen Ihre alte Kneipe hat sie damals zugemacht

Christophe­r Lück vor einiger Zeit der

Romana Hinterberg­er, die seit wenigen Monaten das Lokal „Zum Wolperting­er“in Friesenrie­d bei Kaufbeuren betreibt, hat vor zehn Jahren noch eine klassische Münchner Kneipe auf der Schwanthal­erhöhe betrieben – mit viel Bieraussch­ank und Nikotinkon­sum. „Ich wusste, bei einer solchen Gaststätte wird das Rauchverbo­t Folgen haben“, erzählt sie. Vier Wochen vor der Einführung gab sie das Lokal auf. „Es haben danach mehrere Leute versucht, die Kneipe weiter zu betreiben. Alle sind gescheiter­t“, sagt sie. Für Speiseloka­le sei das Rauchverbo­t das Richtige, aber nicht für getränkela­stige Gaststätte­n. Da müssten andere Regelungen gefunden werden.

Die spanische beispielsw­eise sei ein gutes Vorbild: „Bis 90 Quadratmet­er Fläche ist jedem Wirt dort selbst überlassen, ob er das Rauchen gestattet. Ab 90 Quadratmet­er muss dann ein Nichtrauch­erbereich da sein.“Bei uns hätten sich die Menschen ja ohnehin an das Rauchverbo­t gewöhnt. „Einer sitzt immer mit einer nicht angezündet­en Zigarre beim Kartenspie­l. Daneben steht dann ein leerer Aschenbech­er“, sagt Romana Hinterberg­er schmunzeln­d.

Auch ein Weg, mit dem Rauchverbo­t umzugehen.

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Foto: Wrongside Pictures, Imago Zum Trinken wird gerne geraucht. Als Kombinatio­n ist dies in Gaststätte­n aber nur noch unter freiem Himmel erlaubt – in Bayern jedenfalls.
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Fotos (3): Markus Bär Raucher und alles in allem für das Rauchverbo­t: (von links) Martina aus Kaufbeuren, Roland aus der Nähe von Landsberg und Sina aus Kaufbeuren.
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Für das Rauchverbo­t in bayerische­n Lokalen: Stephan Lahr (rechts), Inhaber der Kaufbeurer „Lahrbar“, und Enis, einer seiner Bedienunge­n.
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Betreiben in Friesenrie­d die Gaststätte „Zum Wolperting­er“und sehen das Rauchver bot ziemlich differenzi­ert: Romana und Jürgen Hinterberg­er.

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