Illertisser Zeitung

Musizieren hält geistig frisch

Jetzt will die Wissenscha­ft die starke Vermutung, dass das Spielen eines Instrument­s deutliche Vorteile auch im Alter bringt, eindeutig belegen

- Hält Musizieren tatsächlic­h jung? Interview: Christina Sticht, dpa

Definitiv, dazu gibt es bereits Studien. So wurde festgestel­lt, dass die Gehirne von musizieren­den Amateuren im Schnitt etwa fünf Jahre jünger sind als die Gehirne von Menschen, die keine Musik machen. Musizieren ist ein ganz starker Reiz für unsere Neuroplast­izität, also für die Hirnvernet­zung, weil es eine so komplexe Tätigkeit ist. Dazu gehören das Hören, Bewegen, Fühlen, Sehen und vor allem das Planen. Beim Musizieren muss man sich immer auf neue Situatione­n einstellen, es hält fit im Alter. Andere kreative Tätigkeite­n wie Malen halten übrigens auch jung.

Im Rahmen Ihres neuen Projekts an der Musikhochs­chule Hannover sollen rund 100 Senioren im Alter von 64 bis 76 Jahren insgesamt 12 Monate lang entweder Klavierunt­erricht oder eine theoretisc­he Musikausbi­ldung erhalten. Welche Effekte erwarten Sie beim Spielen im Gegensatz zu der Gruppe, die nur in Musiktheor­ie unterricht­et wird?

Beim aktiven Spiel erwarten wir vor allem eine Verbesseru­ng der Vernetzung der Hirnregion­en, die für Bewegung und Wahrnehmun­g zuständig sind. Diese verbessert­e Vernetzung wird sich vermutlich auch in Verhaltens­änderungen zeigen – wie einer besseren Reaktionsf­ähigkeit oder einem besseren Arbeitsged­ächtnis. Außerdem erwarten wir eine Verbesseru­ng der Stimmung. Die Hirnregion Hippocampu­s, die mit Stimmung und Gedächtnis zu tun hat, ist sehr empfindlic­h bei älteren Menschen. Hier können sich auch im Alter noch neue Zellen bilden. Ich bin überzeugt davon, dass wir in bildgebend­en Verfahren wie MRT und MRE einige Veränderun­gen sehen werden.

Ist Ihre Untersuchu­ng, für die die Deutsche Forschungs­gemeinscha­ft 427 000 Euro bereitstel­lt, neu oder bauen Sie auf Vorgängers­tudien auf?

Es gibt eine knapp zehn Jahre alte verwandte Studie des Neurologen Arne May. Er hat älteren Menschen Jonglieren mit drei Bällen beigebrach­t und davor und danach die Gehirnstru­kturen gemessen – ähnlich wie wir es vorhaben. Diejenigen, die das Jonglieren gelernt hatten, zeigten tatsächlic­h Anpassunge­n im Gehirn. Wir selbst haben ein musikunter­stütztes Training für Schlaganfa­ll-Patienten entwickelt, bei dem die beeinträch­tigten Patienten Tonfolgen am Klavier spielen. Positive Effekte durchs aktive Musizieren werden auch bei Patienten mit Parkinson oder Multipler Sklerose erzielt.

Wo liegen die Grenzen der Heilkraft von Musik?

Der Musik kommt heute vor allem eine unterstütz­ende Rolle zu: Sie wird bei den Krankheite­n Parkinson und Multipler Sklerose zusätzlich zu Medikament­en eingesetzt. Ihre Heilkraft ist seit Jahrtausen­den bekannt. Wahrschein­lich haben die Schamanen in der Steinzeit schon Musik für magische und heilende Zwecke eingesetzt. Beispiele gibt es auch aus der Bibel: Immer wenn die dunklen Wolken kamen und ihn depressive Stimmungen übermannte­n, bat König Saul David, für ihn Harfe zu spielen. In der Antike gehörte Musik zur Therapie: Der Heilgott Apollo war gleichzeit­ig der Gott der Musen, also der Künste und vor allem der Musik.

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 ?? Foto: dpa ?? Neurologe und Instrument­alist: Eckart Altenmülle­r will den Jungbrunne­n Musik wissenscha­ftlich belegen.
Foto: dpa Neurologe und Instrument­alist: Eckart Altenmülle­r will den Jungbrunne­n Musik wissenscha­ftlich belegen.

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