Prachtbauten in der guten Stube
Im Schwäbischen Krippenparadies besucht man einander zuhause und bestaunt andächtig die Panoramen: Wie sind sie heuer aufgestellt und welche Figuren kamen neu dazu? Zum Lohn gibt es Gloriawasser
Gloria! So grüßt man sich in der Weihnachtszeit im Dorf Rettenbach (Landkreis Günzburg) beim Eintreten in ein Haus. Vorausgesetzt, dass drinnen ein Kripple aufgebaut ist, das die Neugier auf sich zieht. Bei Johann Motzet sieht es jedes Jahr ein wenig anders aus – „wie es sich ergibt“, sagt der alte Mann mit einem Lächeln. Wie oft mag er seine filigranen Figuren schon aufgestellt haben? Vierzig Jahre, fünfzig, sechzig gar? Aus der Stube hat Johann Motzet sein Kripple inzwischen in die Küche verlegt, weil es dort wärmer ist. An den Fenstern voller Eisblumen in der Stube sei früher der Papierhintergrund immer angepappt und ganz brüchig geworden. „Es ist ein Wunder, dass alles noch so hält“, sagt er über die Figuren, die Onkel Josef geschnitzt hat – ganz fein mit vielen Falten und Strähnen. Dann hat er sie mit Wasserfarben bemalt.
Es sind lebendige Museumsstücke, die man beim Kripple-Schauen in Rettenbach zu Gesicht bekommt. Bis Mariä Lichtmess darf man einfach ins Haus hereinschneien. Franz Feil kennt es so von Kind auf. Inzwischen ist er am Regierungspräsidium Tübingen für den Straßenbau zuständiger Ingenieur – und zweiter Vorsitzender der Günzburger Krippenfreunde e. V. Vor 100 Jahren ist der Verein 1917 gegründet worden. Den Brauch des Kripple-Schauens haben sie vor einigen Jahren wieder stärker öffentlich gemacht. In Rettenbach zeigt heute ein gelber geschweifter Stern an, wo eine Hauskrippe zu besichtigen ist.
Was heißt eine? Bei Manfred Wiedenmann ist das ganze Haus voll. Zehn Krippen verteilen sich über Zimmer und Flure. Kleine Faulenzerkrippen in Wurzelstöcken oder auf Baumschwämmen drapiert und große, imposante Anlagen mit Ausmaß von gut vier auf zwei Metern. Für alle Krippen hat der 45-jährige Bankkaufmann die Figuren selbst geschnitzt. Die Oma habe ihm erste Schnitzmesser anvertraut. Einige Stile hat sich Manfred Wiedenmann seither angeeignet: alpenländisch, orientalisch, zeitgenössisch. Ständig entstehen neue Figuren. Bei Bergwanderungen hält er die Augen offen, ob sich eine neue Dekoration anbietet („Ich habe immer ein Säglein im Rucksack“).
Ein schwäbisches Kripple besteht aus vielen einzelnen Szenen: Geburt im Stall, Hirtenfeld mit Engeln, Herbergssuche in Bethlehem, Palast des Herodes, Reise und Tross der Heiligen Drei Könige. Und dazwischen viel ländlicher Alltag: riesige Schafherden, rauflustige Ziegen, Fischen am Teich, bepackte Bevölkerung. Da plätschert Wasser, flackert eine Laterne, dampft ein Feuerchen. Es breitet sich eine andächtige Stille aus beim Betrachten, immer wieder ist etwas Neues zu entdecken.
„Als Kind hatte ich meine Lieblingsfiguren“, erzählt Franz Feil. Etwa der Löwe und die Schlange als Inbegriff der Gefahren bei der Flucht nach Ägypten; das Schäfchen mit dem abgebrochenen Fuß; die kriegerischen Mohren im Gefolge der Könige; die Verkündigungsengel
Jeder Betrachter hat seine Lieblingsfiguren
in einer Flachswolke; der schläfrige Hirte, die frechen Buben. Seine eigene Krippe, aufgebaut auf einer alten Nähmaschine, hat ganz zierliche Schafe. Aus Platzgründen stellt Feil immer nur eine Szene auf.
Rudolf Geißler lässt sein Krippenpanorama im Keller das ganze Jahr über stehen. Mit dem Aus- und Einpacken habe man an den Figuren ständig zu tun gehabt. Viel zu schade für die Geschöpfe des äußerst produktiven Burgauer Schnitzers Joseph Wiegel (1845–1918). Köstliche Genreszenen sind dabei: Jäger und Hasen, der Schäfer im Karren, ländliche Reisende, ein Mords-Elefant mit Kabine. Rudolf Geißler hat 1954 mit dem Kripplebauen angefangen, da war er zwanzig. Ein Leben lang begleitete ihn diese Leidenschaft. Reden tut er nicht viel darüber, aber er kennt sich bestens aus und es lohnt sich, ihn auszufragen.
Vielleicht bei einem Schlückchen „Gloriawasser“. So nennen Krippenfreunde die Spirituosen, wovon der stolze Inhaber eines HausKripples gern ein Stamperle ausgibt, wenn man sein frommes Werk nur recht anständig loben tut.