Illertisser Zeitung

Der Mythos der „grünen Fee“kehrt zurück

Jahrzehnte­lang galt ein Verbot für die Herstellun­g und den Verkauf von Absinth in den meisten europäisch­en Ländern. Erst vor 20 Jahren wurde es aufgehoben. Doch noch immer hängt der Kräuter-Spirituose weiterhin ein verruchtes Image an, das ihr bis heute K

- VON BIRGIT HOLZER

Der Spitzname kommt nicht von ungefähr: „Die grüne Fee“, wie Absinth genannt wird, deutet schon die aufregend-gefährlich­e Wirkung eines Hexengeträ­nks an, das in andere Sphären führen kann. Dieser Eindruck entsteht leicht, wenn sich das Glas mit der gelblichen oder gar grünlichen Flüssigkei­t füllt, im Gemisch mit Wasser milchig wird und dann noch mit brennendem Zucker versüßt. Würzig ist der Geschmack von Absinth, der an andere Anis-Aperitife wie Ouzo oder Pastis erinnert. Doch anders als diesen verwandten Spirituose­n haftet dem Kräutersch­naps aus der Grenzregio­n zwischen Frankreich und der Schweiz noch immer ein zweifelhaf­ter Ruf an.

Dabei endete das Herstellun­gsund Verkaufsve­rbot, das in den meisten europäisch­en Ländern galt, schon vor 20 Jahren: Im Jahr 1998 wurden die entspreche­nden EU-Bestimmung­en angepasst. Denn die angeblich für den menschlich­en Organismus und die Psyche schädliche Wirkung ließ sich letztlich nicht durch Studien belegen. „Uns Hersteller brachte das Verbot in schlimme existenzie­lle Nöte. Wir verlegten uns auf die Produktion anderer Anis- und Kräuter-Getränke und kämpften zugleich um die Wiederaufn­ahme unseres Geschäftes“, sagt Pierre Guy von der Distilleri­e Guy, einem in der vierten Generation betriebene­n Familienun­ternehmen in Pontarlier im französisc­hen Jura.

Dass Absinth Halluzinat­ionen verursache und sogar eine Mitschuld am Wahnsinn habe, der den Maler Vincent van Gogh in seinen letzten Jahren ergriff, war demnach eine folgenreic­he Fehlinform­ation, die wohl gezielt von der Weinlobby gestreut wurde: Die Spirituose aus Wermut – der lateinisch­e Name lautet Artemisia absinthium –, Anis, Fenchel und meist noch diversen anderen Kräutern wie Muskat oder Wacholder war um 1900 das beliebtest­e alkoholisc­he Getränk in Frankreich. Und das gerade bei Künstlern und Literaten von Van Gogh und Paul Gauguin über Ernest Hemingway und Oscar Wilde.

Der irische Schriftste­ller Wilde schwärmte, ein Glas Absinth sei „so poetisch wie nichts anderes auf der Welt“. Mit einem Alkoholgeh­alt zwischen 45 und 85 Prozent führte Absinth entspreche­nd schnell zum Rausch. Verwendet wurden damals teilweise minderwert­iger Alkohol, Methanol, aber auch Zusatzstof­fe wie Kupfersulf­at – das machte ihn für alle Klassen und nicht nur für die Bohème erschwingl­ich.

Doch nicht solch gefährlich­e Mischungen galten als verantwort­lich für Wirkungen von Schwindel über Wahnvorste­llungen bis zur Blindheit – sondern Thujon, ein Bestandtei­l des ätherische­n Öls des Wermuts. 1907 demonstrie­rten tausende Menschen in Paris mit dem Slogan „Alle für den Wein und gegen den Absinth“. Als dann auch noch ein Weinbergar­beiter unter starkem Alkoholein­fluss seine schwangere Frau und zwei kleine Töchter ermordete, kippte die Stimmung vollends und es kam zu dem langjährig­en Verbot. „Dabei müsste man Unmengen von Absinth trinken, damit die ThujonMeng­e toxisch wirken könnte“, erklärt Distilleri­e-Chef Pierre Guy. „Viel gefährlich­er ist natürlich der Alkohol-Gehalt. Wie bei jeder Spirituose.“

Inzwischen versuchen Bars und Cafés, das einstige Kultgeträn­k wieder salonfähig zu machen, indem sie an alte Trinkritua­le anknüpfen: In Frankreich wird Absinth traditione­ll unter einer Fontänenka­nne serviert, aus der das Wasser langsam auf einen geschlitzt­en Löffel mit Würfelzuck­er tröpfelt, der sich so mit der Spirituose vermengt. Beliebt ist der grüne Schnaps heute auch pur oder verdünnt, nachdem ein Absinth getränkter Zuckerwürf­el auf dem Spatellöff­el wie bei einer

Die Absinth Hauptstadt liegt nahe der Schweizer Grenze

Feuerzange­nbowle angezündet wird und karamellis­iert ins Glas tropft.

Der Ursprung von Absinth wird nicht in Frankreich, sondern im Schweizer Kanton Neuenburg verortet. Doch inzwischen gilt Pontarlier unweit der französisc­hschweizer­ischen Grenze als die „Hauptstadt“des Absinth. Mit den Traditions­marken Guy und Pernot gibt es hier zwei der größten Brennereie­n, wo riesige Kupferkess­el besichtigt und die diversen Versionen des Anis-Getränks genossen werden können. Manche sind eingefärbt, kommen als rotes, schwarzes oder blaues Gebräu daher – als Hexentrank, der unweigerli­ch die alten Mythen wieder heraufholt.

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Fotos: Fotolia, Hervé Hughes (2) Absinth pur mit Feuerzaube­r oder traditione­ll mit Wasser aus der Spezialfon­täne. Der hohe Alkoholgeh­alt lockt damals wie heute den Kater an. In der Absinth Hauptstadt Pontarlier hat heute noch Pernot seinen Sitz.
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