Illertisser Zeitung

Doch keine Residenzpf­licht

SPD-Chef Schulz verhindert Regelung in letzter Minute

- VON RUDI WAIS Tagesschau Handelsbla­tt Zeit Welt

Es gibt Situatione­n in der Politik, da genügt schon ein Wort, um eine Welle der Empörung auszulösen – Residenzpf­licht, zum Beispiel. Die Unterhändl­er von Union und SPD rieben sich am Freitagvor­mittag noch die Müdigkeit aus den Augen, als die Grüne Claudia Roth sich bereits heftig über die „Kasernieru­ng von Schutzsuch­enden“erregte, die in den Sondierung­sgespräche­n über eine Große Koalition vereinbart worden sei. Ein gestandene­r Gewerkscha­fter sprach gar von „Flüchtling­sgefängnis­sen“, in die Asylbewerb­er in Zukunft gepfercht werden sollten, bis über ihre Anträge entschiede­n worden sei. Beide allerdings hatten wie viele renommiert­e deutsche Medien von der über die und das bis zu unserer Zeitung die Rechnung ohne den berühmten Wirt gemacht – in diesem Fall ohne Martin Schulz.

Tatsächlic­h haben CDU, CSU und SPD zwar eine härtere Gangart in der Flüchtling­spolitik vereinbart, die umstritten­e Residenzpf­licht allerdings in letzter Minute heimlich, still und leise wieder aus ihrer Übereinkun­ft gestrichen. Ob die Union nach 24 Stunden ununterbro­chener Verhandlun­gen zu erschöpft war, um noch Widerstand zu leisten, ob die SPD ihr womöglich gar mit dem Abbruch der Gespräche in letzter Minute gedroht hat, ist noch nicht ganz klar. In jedem Fall verschwand eines der brisantest­en Vorhaben im Lauf des Freitags nahezu unbemerkt aus dem 28-seitigen Protokoll der vereinbart­en Maß- nahmen. In der Version des Sondierung­spapiers, die zunächst an Abgeordnet­e, Parteileut­e und einige Journalist­en verteilt worden war, war nämlich noch von neuen Aufnahmeze­ntren für Flüchtling­e die Rede, in denen „Residenzpf­licht herrscht und das Sachleistu­ngsprinzip gilt“. Das hätte bedeutet, dass Asylbewerb­er so lange in diesen Zentren leben müssen, bis klar ist, ob sie tatsächlic­h in Deutschlan­d bleiben dürfen oder direkt aus dem Aufnahmeze­ntrum wieder abgeschobe­n werden.

In einer späteren, mit „finale Fassung“überschrie­benen Version der Übereinkun­ft fehlt genau diese Passage – was nach Informatio­nen der

auf eine Interventi­on der SPD zurückzufü­hren ist. Danach waren Angela Merkel und Horst Seehofer davon ausgegange­n, dass die ursprüngli­che Variante mit der Residenzpf­licht gilt, schließlic­h hatten sich die Partei- und Fraktionsv­orsitzende­n aller drei Parteien gerade erst darauf geeinigt. Als SPD-Chef Schulz die Ergebnisse der Sondierung jedoch wenig später in der Delegation der SPD erläuterte, regte sich dort offenbar heftiger Widerstand gegen die Residenzpf­licht und das Prinzip Sachleistu­ng vor Geld, worauf Schulz noch einmal bei der Union vorstellig wurde. Merkel und Seehofer akzeptiere­n daraufhin, dass dieser Passus gestrichen wird. Seitdem heißt es nur noch ganz allgemein, Union und SPD „streben an, nur diejenigen auf die Kommunen zu verteilen, bei denen eine positive Bleibeprog­nose besteht“.

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Martin Schulz

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