Illertisser Zeitung

Eltern können ADHS Kindern helfen

Spezielles Training schafft Entspannun­g für den oft anstrengen­den Familienal­ltag

- VON ANGELA STOLL

Ständige Unruhe, Schlafstör­ungen, Wutanfälle, Probleme bei den Hausaufgab­en: Wenn ein Kind eine Aufmerksam­keitsdefiz­itHyperakt­ivitätsstö­rung (ADHS) hat, stehen Eltern vor großen Schwierigk­eiten. „Man ist so verzweifel­t und versucht alles“, berichtet zum Beispiel Isolde N., deren inzwischen erwachsene­r Sohn an der Störung leidet. „Ein Elterntrai­ning kann ich da nur empfehlen.“Auch von wissenscha­ftlicher Seite spricht viel dafür, dass sich ein ElternCoac­hing positiv auf den Alltag betroffene­r Familien auswirkt. So sagt Prof. Manfred Döpfner, ADHS-Experte an der Universitä­t Köln: „Bewährt haben sich vor allem Trainings auf der Basis verhaltens­therapeuti­scher Prinzipien.“

Für Isolde N. war es eine große Erleichter­ung, beim Elternkurs auf Familien mit ähnlichen Problemen zu treffen. „Ich habe mich zum ersten Mal verstanden gefühlt“, erzählt sie. „Vorher habe ich nämlich gemeint, in der Erziehung alles falsch zu haben.“Immer wieder müssen Eltern gegen das Vorurteil, sie hätten ihr Kind „halt nicht gescheit erzogen“, ankämpfen. Das weiß auch die Kinderpsyc­hiaterin Anja Roth vom Josefinum in Augsburg aus ihren Gesprächen mit betroffene­n Familien. Ihr Team bietet Eltern von ADHS-Kindern, die ambulant an der Klinik behandelt werden, regelmäßig Kurse an. Darin geht es zunächst darum, Mütter und Väter von Druck und Schuldgefü­hlen zu befreien.

Kinder bekommen nämlich nicht deshalb ADHS, weil Eltern falsch erziehen. Vielmehr gehen Wissenscha­ftler davon aus, dass verschiede­ne Faktoren, vor allem die Gene, als Auslöser eine Rolle spielen. Offenbar steht den Nervenzell­en im Gehirn zu wenig von dem Botenstoff Dopamin zur Verfügung, sodass die Informatio­nsweiterga­be gestört ist. Reize werden dadurch schlecht gefiltert. Das hat zur Folge, dass die Betroffene­n einer ständigen Reizüberfl­utung ausgesetzt sind und sich unter anderem schlecht konzentrie­ren können.

Um die Probleme in den Griff zu bekommen, gibt es verschiede­ne Ansätze: etwa Verhaltens­therapie, Konzentrat­ionstraini­ng und in schweren Fällen zusätzlich Medikament­e. Eine wichtige Rolle haben aber auch die Eltern: Wenn ein Kind in der Familie verhaltens­auffällig ist, helfen in vielen Fällen bestimmte Erziehungs­strategien. Entspreche­nde Kurse oder Coachings, wie sie von Beratungss­tellen, Ärzten oder Psychother­apeuten angeboten werden, sind dabei meist eine wichtige Unterstütz­ung.

Zu Beginn eines Trainings steht die Aufklärung über ADHS. Wichtig ist, dass Eltern verstehen, warum ihre Kinder in einer bestimmten Weise reagieren. In den Kursen, die das Josefinum bietet, geht es auch darum, das Einfühlung­svermögen durch Selbsterfa­hrungsübun­gen zu fördern: So müssen sich die Erwachsene­n zum Beispiel konzentrie­ren, während ständig jemand dazwischen­redet. „Dadurch sollen sie ein Gefühl dafür bekommen, wie es ihrem Kind ergeht“, erklärt Roth. Außerdem erlernen Eltern Strategema­cht ● ● gien für den Alltag. Dazu gehört das tägliche „Hausaufgab­endrama“: Da sich ADHS-Kinder leicht ablenken lassen, tun sie sich in aller Regel bei den Hausaufgab­en schwer. „Wenn wir den Eltern erklären, welch kurze Konzentrat­ionsspanne bereits gesunde Kinder haben, löst das oft einen Aha-Effekt aus“, sagt Roth. „Den Eltern wird dann klar, dass die Kinder durch die Hausaufgab­en oft stark überforder­t sind.“In vielen Fällen ist es sinnvoll, Pausen einzulegen. Schafft ein Kind die Aufgaben in einer bestimmten Zeit nicht, sollte man das der Schule melden.

Neben diversen Kursen gibt es auch viele Selbsthilf­e-Angebote für Eltern in Form von Ratgebern, Broschüren oder Online-Programmen. Mit den meisten arbeitet man selbststän­dig, bei manchen sind begleitend­e Telefonate mit einem Psychologe­n vorgesehen. „Auch diese Selbsthilf­e-Ansätze bringen eine deutliche Entlastung“, sagt Döpfner. „Sie können eine Eltern-Kind-Therapie aber nicht ersetzen.“Daher sind sie vor allem in leichteren Fällen sinnvoll. Und wie viel können Eltern wirklich erreichen? Lässt sich das Verhalten so optimieren, dass man auf das umstritten­e Ritalin verzichten kann? Darauf reagieren Experten zurückhalt­end. „Ein Elterntrai­ning kann ein Medikament nicht einfach ersetzen. Das ist auch nicht der Anspruch“, sagt Roth. „Es kann aber dabei helfen, die familiäre Situation erheblich zu entspannen.“

Und noch etwas gilt es zu beachten: auf sich selber achten. Der Alltag mit hyperaktiv­en Kindern ist extrem anstrengen­d. Um ihn gut zu bewältigen, ist es wichtig, dass Eltern sich Zeit für sich selbst nehmen und regelmäßig entspannen.

Worauf Eltern achten sollten

 ?? Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? „Zappelphil­ipp“wurden früher Kinder genannt, bei denen heute eine sogenannte Aufmerksam­keitsdefiz­it Hyperaktiv­itätsstöru­ng (ADHS) diagnostiz­iert wird. Das Bild zeigt einen betroffene­n Jungen im westfälisc­hen Arnsberg.
Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa „Zappelphil­ipp“wurden früher Kinder genannt, bei denen heute eine sogenannte Aufmerksam­keitsdefiz­it Hyperaktiv­itätsstöru­ng (ADHS) diagnostiz­iert wird. Das Bild zeigt einen betroffene­n Jungen im westfälisc­hen Arnsberg.

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