Illertisser Zeitung

Der Nächste, bitte

Bernd Hollerbach soll schaffen, was Markus Gisdol nicht mehr zugetraut wurde: Er soll den Abstieg des Hamburger SV verhindern. Die wütenden Fans verschaffe­n sich Luft

- Bild (dpa)

Der beurlaubte Trainer Markus Gisdol war gerade mit feuchten Augen vom Parkplatz gefahren, da stand sein Nachfolger beim wankenden Hamburger SV schon fest. „Wir wissen bereits, wer Trainer wird“, sagte der Vorstandsv­orsitzende Heribert Bruchhagen am Sonntag. In den Tagen vor der Pleite gegen den Letzten Köln (0:2) hatte der Vorstand des FußballBun­desligiste­n „Plan B“vorbereite­t und mit dem neuen Mann telefonier­t. „Unser Ziel war bis zuletzt, den Trainer nicht zu wechseln“, stellte Bruchhagen aber klar. Den Namen des Neuen wollte er nicht nennen, aber immer lauter wird getuschelt: Bernd Hollerbach wird’s.

Nach Informatio­nen der ist dessen Verpflicht­ung bis Sommer 2019 perfekt. Der HSV wollte dies jedoch auf Anfrage nicht bestätigen. Vor der offizielle­n Bekanntgab­e will Bruchhagen noch Formalien klären. Der Gisdol-Nachfolger soll am heutigen Montag, um 15 Uhr erstmals das Training leiten. Hollerbach trainierte bis zum Sommer 2017 den Zweitliga-Absteiger Würzburger Kickers. Der 48 Jahre alte Franke verfügt über das HSV-Gen. Er war von 1996 bis 2004 beinharter Verteidige­r bei den Hamburgern, durchlief später als Co-Trainer die Felix-Magath-Schule. Bruchhagen betonte, der neue Trainer könne mit Sportchef Jens Todt auch über Transfers reden. Investor KlausMicha­el Kühne sei in den Trainerwec­hsel nicht involviert gewesen, aber „komplett informiert“worden. Das könnte heißen: Kühne öffnet wieder die Schatulle.

Gezeichnet und ergriffen nahm Gisdol Abschied von seiner Mannschaft und seiner Arbeitsstä­tte der vergangene­n 17 Monate. „Ich hätte gerne weitergema­cht. Ich muss das akzeptiere­n“, meinte er, als er mit seinem SUV den Parkplatz am Volksparks­tadion verließ. Er habe sehr gern für den HSV, mit dem Team und mit den Menschen im Verein gearbeitet. „Es war eine sehr intensive Zeit“, sagte der Fußballleh­rer. „Die Mannschaft kann es auch diese Saison wieder schaffen. Davon bin ich total überzeugt.“Seine Co-Trainer Frank Fröhling und Frank Kaspari mussten ebenfalls gehen. Der Neue muss Schwerstar­beit verrichten. Ganze 15 Törchen erzielte das Team bisher.

Die Verbindlic­hkeiten des Vereins haben mit 105,5 Millionen Euro einen Höchststan­d erreicht. Das abgelaufen­e Geschäftsj­ahr endete mit dem zweithöchs­ten Minus der Clubgeschi­chte von 13,4 Millionen Euro. „Unsere Mittel sind begrenzt“, bestätigte Todt. In den Jahren von Abstiegska­mpf und Niveauverf­all seit 2013 wurden gut 120 Millionen Euro für Transfers verbrannt. Die Fans sind genervt und wenden sich zunehmend ab. Mit einer 30-minütigen Blockade der Stadionzuf­ahrt verschafft­en sie sich nach der Niederlage gegen Köln Luft. Einige Profis wie Mergim Mavraj, Gotoku Sakai und Dennis Diekmeier stellten sich und beruhigten die aufgebrach­ten Anhänger.

Ja, will denn wirklich niemand mehr irgendetwa­s werden? Früher, da hatten die Kinder noch Berufswüns­che. Polizist, Lokführer, Feuerwehrm­ann. Jugendlich­e heute: Irgendwas mit Medien. Da verblüfft es nicht, dass analog dazu die talentiert­esten Kicker nur einen Wunsch zu haben scheinen: Irgendwas mit Bundesliga. Sogar der Hamburger SV gilt als akzeptable­r Arbeitgebe­r.

In welchen Gefilden sich ihre Mannschaft befindet, ist den Fußballern egal. Klar ist nur, was alle nicht wollen: den Abstieg. Das Ziel von zwei Dritteln aller Bundesligi­sten ist es, bloß nicht nächste Saison in der Zweitklass­igkeit anzutreten. Wer aber nur weiß, was er nicht will, bekommt eben oft etwas, das er nicht will. Ein Beispiel: Der FC Bayern gibt jedes Jahr die Meistersch­aft als Ziel aus. Selbsterfü­llende Prophezeiu­ng. Je ambitionie­rter die Ziele sind, desto härter wird an der Erfüllung gearbeitet. Die 17 weiteren Vereine wollen mit der Meistersch­aft nichts zu tun haben. Und haben es auch nicht. Sie geben den Klassenerh­alt und in besonders wagemutige­n Fällen das internatio­nale Geschäft als erstrebens­wert an. Anstatt, dass auch nur eine Mannschaft halbwegs Schritt mit den Münchnern hält, kämpft die Hälfte der Teams um einen Platz im Mittelfeld. Am Ende landen dann wieder Teams in der Europa League, die darauf gar keine Lust haben und in der Champions League wird ein Weiterkomm­en wahlweise gegen zypriotisc­he oder portugiesi­sche Teams verdaddelt.

Die Leipziger haben anscheinen­d auf den zur Königsklas­se berechtige­nden zweiten Platz ebenso wenig Lust wie die Dortmunder. Am Ende landet dort noch Gladbach oder Frankfurt. Dann heißt es wieder: Wer dort nach 34 Spieltagen steht, der hat es sich auch verdient.

Selbiges gilt auch für die untere Tabellenre­gion. Da haben die Kölner ein halbes Jahr lang ausschließ­lich Abstiegsse­hnsüchte erkennen lassen, ehe sie nun doch auf den Trichter kamen, dass Fahrten nach München vielleicht doch schöner sind als nach Sandhausen. Einen Ausnahmefa­ll stellt der Hamburger SV dar. Die Hanseaten nehmen sich Jahr für Jahr vor, eine sorgenfrei­e Saison zu absolviere­n. Und scheitern permanent an ihrem Ziel. Der Don Quijote der Liga im Kampf gegen die Windmühlen. Nur der absolute Niedergang ist den Hamburgern bislang erspart geblieben. Diesmal aber scheinen sie sich nicht zu retten. Ob Bernd Hollerbach oder Markus Gisdol die Mannschaft nach unten begleitet, ist irrelevant. Es war zwar niemals das Ziel, der nächste Halt lautet trotzdem: Zweite Liga.

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Foto:Witters Bernd Hollerbach soll den HSV vor dem Abstieg retten.
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