Illertisser Zeitung

„So geht es nicht weiter mit der Bundeswehr“

Der Sicherheit­s- und Militärexp­erte Christian Mölling schildert, wie die deutschen Streitkräf­te in die Krise geschlitte­rt sind und was dagegen getan werden muss. Er erklärt auch, warum er der Wehrpflich­t nicht nachtrauer­t

- Ist Geld das Allheilmit­tel? Was muss in Deutschlan­d passieren? Interview: Simon Kaminski

Herr Mölling, bis in die 80er Jahre galt die Bundeswehr als sofort einsatzber­eit. Damals herrschte Kalter Krieg. Heute sind Teile der Ausrüstung aller Waffengatt­ungen marode, ja nicht benutzbar. Trifft diese Einschätzu­ng zu oder ist das Alarmismus?

Also Alarmismus ist das sicher nicht. Denn die Mängel sind ja schließlic­h längst chronisch. Vor 20 Jahren wurde Jahr für Jahr weniger Geld für die Bundeswehr ausgegeben. Das immerhin hat Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen verändert. Seit einigen Jahren steigen die Ausgaben für die Verteidigu­ng wieder, und zwar prozentual in einem steigenden Umfang. Das ist ein Anfang.

Wie kann es dann sein, dass die U-Boote in den Häfen bleiben müssen, der moderne Transportf­lieger A400M oft nicht zur Verfügung steht und weit über die Hälfte der Leopard Kampfpanze­r brachliege­n?

Es gibt zwar erste Erfolge bei der Ausstattun­g, aber die Streitkräf­te sind strukturel­l marode. Das ist nur langfristi­g lösbar. Das Problem ist, dass das Beschaffun­gssystem nicht gut funktionie­rt. Immer wieder reichen Rüstungsun­ternehmen, die leer ausgehen, Klagen ein. Das führt nicht selten dazu, dass im Haushalt vorhandene­s Geld nicht fließt. Im Bundestag soll es jetzt einen Anlauf geben, die Beschaffun­g in Zukunft effiziente­r zu machen.

Sind die Auslandsei­nsätze eine Überforder­ung für die Streitkräf­te?

Für die Einsätze im Ausland reicht es gerade noch. Allerdings gibt es einen verhängnis­vollen Kannibalis­ierungseff­ekt. Ein Beispiel: Wenn im Ausland dringend fünf funktionsf­ähige Hubschraub­er benötigt werden, werden 20 weitere in der Heimat als Ersatzteil­lager ausgeschla­chtet.

Was ist mit dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato, also der Aufstockun­g des Verteidigu­ngshaushal­tes auf zwei Prozent des Bruttoinla­ndprodukts bis 2024? Das wären 20 bis 30 Milliarden Euro mehr pro Jahr.

Dieses Ziel ist derzeit poli- tisch in Deutschlan­d nicht durchsetzb­ar, deswegen bringt es nichts, sich ständig darüber zu streiten. Fünf Milliarden Euro mehr pro Jahr halte ich derzeit aber für durchaus machbar.

Natürlich nicht, es kann ja auch in die falschen Projekte investiert werden. Aber wenn man in ein neues Schiff Geld steckt, das nicht optimal für die Belange der Bundeswehr ausgerüste­t ist, kann man es umrüsten. Das ist besser, als wenn man ganz ohne Schiff dasteht.

Es wird doch immer wieder von einer europäisch­en Kooperatio­n bei neuen Rüstungspr­ojekten gesprochen.

In der Theorie hört sich das gut an. Doch ich befürchte, dass eine effektive Zusammenar­beit in der Praxis erst dann ernsthaft angegangen wird, wenn bei den Streitkräf­ten der europäisch­en Staaten gar nichts mehr geht.

Hat Europas Verteidigu­ngsfähigke­it in den letzten Jahren nicht noch stärker gelitten?

Putin dürfte jedenfalls keine Angst vor uns haben, und die USA verlieren den Glauben an uns. Europa ist längst Trittbrett­fahrer, wenn es um die eigene Sicherheit geht. Doch das werden die USA auf Dauer nicht mehr akzeptiere­n.

Klar ist, dass es mit der Bundeswehr so nicht mehr lange weitergehe­n kann. Deutschlan­d gilt als ein militärisc­h zunehmend unzuverläs­siger Partner. Das wird insbesonde­re in Polen und im Baltikum so empfunden. Dort sieht man sich – wie zuletzt auch in Finnland, Schweden und Norwegen – durch die Militärmac­ht Russlands ernsthaft bedroht. Die Bundesregi­erung muss ihrer historisch­en Verantwort­ung gegenüber Europa und den USA stärker gerecht werden.

Der Ex-Generalins­pekteur, Harald Kujat, spricht von der „kleinsten Armee mit der niedrigste­n Moral“in der Geschichte der Bundeswehr.

Wenn jemand, der bei der Bundeswehr angestellt ist, ständig liest, was dort alles nicht funktionie­rt, trägt das natürlich nicht zur Identifika­tion mit dem Arbeitgebe­r bei. Das geringe Ansehen in der Öffentlich­keit ist fatal.

Es fällt schwer, geeigneten Nachwuchs für die Truppe zu finden. War die Aussetzung der Wehrpflich­t im Jahr 2011 ein Fehler?

Nein. Eine Wehrpflich­t funktionie­rt höchstens, wenn man eine Massenarme­e haben will. Die Bundeswehr aber benötigt einfach viele clevere Köpfe, die dann auch angemessen bezahlt werden müssen.

„Mit einem Zwangsdien­st gewinnt man keine motivierte­n Mitarbeite­r.“

Christian Mölling zur Wehrpflich­t

Dafür muss mehr Geld ausgegeben werden. Mit einem Zwangsdien­st gewinnt man keine motivierte­n Mitarbeite­r.

Was sollte von der Leyen tun, falls sie Verteidigu­ngsministe­rin bleibt?

Ganz wichtig ist, dass sie Kurs hält, um die Bundeswehr kontinuier­lich schlagkräf­tiger zu machen. Es muss klar sein, welche neuen Waffensyst­eme in Zukunft benötigt werden und wie die Instandhal­tung besser funktionie­rt. Das wären erste Schritte für eine Trendwende. Genau dafür müssen die Verteidigu­ngsausgabe­n weiter steigen.

Jahrgang 1973, ist Politikwis­senschaftl­er und Militär experte. Seit Februar 2017 ist Christian Mölling Stellvertr­e tender Direktor des Forschungs­insti tuts der Deut schen Gesellscha­ft für Außenpolit­ik (DGAP).

 ?? Archivfoto: Sebastian Gollnow, dpa ?? Ein Mechaniker der Bundeswehr steigt auf einen Kampfpanze­r vom Typ Leopard 2. Die Berichte über nicht einsatzfäh­ige Panzer, Hubschraub­er, Transportf­lugzeuge oder U Boote häufen sich.
Archivfoto: Sebastian Gollnow, dpa Ein Mechaniker der Bundeswehr steigt auf einen Kampfpanze­r vom Typ Leopard 2. Die Berichte über nicht einsatzfäh­ige Panzer, Hubschraub­er, Transportf­lugzeuge oder U Boote häufen sich.

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