Union und SPD zittern sich nur langsam ans Ziel
Was auch in der zweiten Verlängerung der Verhandlungen immer noch strittig war
Union und SPD haben auch am Dienstag bis nach Mitternacht verhandelt, um die letzten Streitpunkte vor der angestrebten Fortsetzung der Großen Koalition in Berlin beiseitezuräumen. Es war bereits die zweite Verlängerung. Eigentlich hätten die Verhandlungen bereits am Sonntag abgeschlossen werden sollen. Auch am Montag hatten sich die Unterhändler nach stundenlangen Gesprächen vertagt.
Neben der Gesundheits- und der Arbeitsmarktpolitik gehörten in der Schlussrunde auch die Außenpolitik und die Verteilung der Ministerien noch zu den strittigen Themen. Bis zuletzt blieb unklar, ob sich die Parteispitzen in der Nacht zum Mittwoch noch einigen können. Das Ringen um politische Ziele und einzelnen Formulierungen im Koalitionsvertrag wurde zur Zitterpartie. „Der Fortschritt ist eine Schnecke“, sagte SPD-Vize Ralf Stegner. Aus Teilnehmerkreisen verlautete, dass es jedenfalls auch um 21 Uhr noch keine Einigung in den Hauptstreitpunkten gegeben habe.
Ein Scheitern galt allerdings als eher unwahrscheinlich. CDU und CSU beraumten deshalb vorsorglich für den heutigen Mittwoch Sitzungen ihrer Parteivorstände sowie der gemeinsamen Bundestagsfraktion an. Sie gingen davon aus, dass bis dahin ein Ergebnis vorliegt. Bei der SPD soll es bekanntlich zu einem Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag kommen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war am Vormittag kompromissbereit in die Verhandlungen gegangen, mahnte aber alle Seiten zu Zugeständnissen. „Jeder von uns wird schmerzhafte Kompromisse noch machen müssen. Dazu bin ich auch bereit, wenn wir sicherstellen können, dass die Vorteile zum Schluss die Nachteile überwiegen.“ SPD-Chef Martin Schulz verteidigte die zweimalige Verlängerung der Verhandlungen: „Wir sehen heute, dass wir gut beraten waren, uns Reservetage einzuräumen“, sagte er.
Den Unterhändlern lag am Nachmittag noch eine Liste mit gut einem Dutzend strittiger Punkte vor. In der Außenpolitik ging es um Rüstungsexporte sowie die Ausgaben für die Bundeswehr und die Entwicklungshilfe. Die Union will sich bei den Verteidigungsausgaben dem Nato-Ziel von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nähern (derzeit 1,2 Prozent). Für die SPD hat dagegen Priorität, 0,7 Prozent in die Entwicklungshilfe zu stecken (2016: 0,52 Prozent). Auch zu den SPDForderungen nach einer deutlichen Einschränkung befristeter Arbeitsverhältnisse und einem Ende der „Zwei-Klassen-Medizin“, etwa durch eine Angleichung der Arzthonorare für gesetzlich und privat Versicherte oder durch eine Öffnung der gesetzlichen Krankenversicherung für Beamte, gab es bis zum späten Abend keine Einigung.
Die SPD erlebt vor der geplanten Abstimmung ihrer Basis über den Koalitionsvertrag einen Mitgliederboom. Seit Jahresbeginn gab es 24 339 Neueintritte. Das ist ein Plus von rund 5,2 Prozent. Damit dürfen nun 463723 Sozialdemokraten darüber entscheiden, ob eine Koalition zustande kommt, wie SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Dienstagabend mitteilte. Stimmberechtigt ist, wer gestern bis 18 Uhr im Mitgliederverzeichnis der SPD stand.
Wie die Mitglieder abstimmen, dürfte auch davon abhängen, ob Martin Schulz daran festhält, ein Ministeramt zu übernehmen. Ursprünglich hatte er es ausgeschlossen, jemals einem Kabinett unter Kanzlerin Merkel anzugehören. Dazu der Einen aktuellen Stimmungsbericht von den Verhandlungen finden Sie auf Dort auch Zahlen und Einschätzungen der Bayern-SPD vor dem Mitgliederentscheid.
Fast 25 000 Neueintritte in die SPD seit Jahresbeginn