Kirchengelder im Wilden Westen
Wie konnte ein Mitarbeiter des Bistums Eichstätt 60 Millionen US-Dollar in dubiose Projekte in Texas investieren? Und wer wusste noch davon?
Vor eineinhalb Jahren flog Ulrich Wastl im Auftrag des Eichstätter Bischofs in die USA. Nach Texas, in die Gegend rund um Dallas. Wo die Landschaft aussieht wie in den Western-Klassikern, machte sich der Rechtsanwalt auf die Suche nach 60 Millionen US-Dollar. Die umgerechnet 48,2 Millionen Euro waren aus dem Vermögen des Bistums Eichstätt nach Texas geflossen. Investiert in dubiose Darlehen für Gesellschaften, die dort Immobilienprojekte entwickeln sollten.
Wastl suchte – so erzählte er gestern bei einer Pressekonferenz des Bistums Eichstätt – in Texas, aber auch in Florida nach Grundstücken, die möglicherweise überhaupt nicht existieren. Als er feststellte, dass es zumindest die Flächen gibt, war er etwas erleichtert. Doch ob die Millionen in den USA komplett verpufft sind oder nicht, das kann er nach wie vor nicht beantworten.
Fest steht offenbar: Der frühere stellvertretende Finanzdirektor der Diözese, der im Juli 2014 seinen Dienst antrat, hat über zwei Jahre lang 31 Kredite mit einem Volumen von 60 Millionen US-Dollar an die US-Gesellschaften vergeben. Nahezu alle ungesichert. Versprochen worden sei ein Zinssatz zwischen sieben und zehn Prozent, hieß es. Die Laufzeit habe zwischen zwei und fünf Jahren betragen. Als der Bistumsmitarbeiter dann ein Jahr im Amt war, startete der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke – wie von den deutschen Bischöfen für alle Bistümer gefordert – eine „Transparenzoffensive“.
Die Finanz-Strukturen sollten durchschaubarer werden; das Bistum kündigte an, eine Bilanz nach den Regeln des Handelsgesetzbuches vorzulegen. Externe Experten wurden für die Neustrukturierung herangezogen. Schon im Mai 2016 wurden die Wirtschaftsprüfer stutzig. Sie stießen auf die US-Kredite, zu denen es kaum seriöse Unterlagen gab. Vom Bistumsmitarbeiter, der die Kredite für die Diözese eingefädelt hatte, trennte sich das Bistum im September 2016. Danach ist nach Auskunft von Wastl, der die Transparenzoffensive von Anfang an als Jurist begleitete, immer deutlicher geworden, dass das Ganze womöglich nicht nur ein schlechtes Investment war – sondern ein Fall für den Strafrichter.
Immerhin hatte der beschuldigte Bistumsmitarbeiter, der einst Theologie studierte und vor seiner Zeit in Eichstätt im Bank- und Finanzsek- tor arbeitete, versprochen, dass im Jahr 2017 fällige rund 21 Millionen Euro zurückfließen würden. Seit kurzem sitzen er und sein in den USA tätiger deutscher Geschäftspartner in Deutschland in U-Haft.
Nach Auskunft des Bistums kam tatsächlich Geld zurück – einmal 1,5 Millionen, einmal 400000 Euro. Sonst nichts. Die restlichen Millionen seien noch nicht fällig. Im schlimmsten Fall könnte das Bistum also auf einem Verlust von weit über 40 Millionen Euro sitzen bleiben.
Aber wie konnte der Mitarbeiter, der sich mit seinem Geschäftspartner auch selbst bereichert haben soll, überhaupt mit solchen Summen jonglieren? Zwar hat sein Vorgesetzter, der Leitende Finanz- und Baudirektor – ein Geistlicher ohne tiefe betriebswirtschaftliche Ausbildung –, die Verträge im Sinne des Vier-Augen-Prinzips mitunterzeichnet. Gegen ihn wird jedoch nicht ermittelt. „Vielleicht wurde er getäuscht“, sagte Wastl. „Wir sind Opfer und nicht Täter.“Dennoch kritisierte Wastl die kirchlichen Strukturen. Die Kirche habe sich zu sehr auf das Prinzip „Vertrauen ersetzt Kontrolle“verlassen. So habe der Diözesanvermögensverwaltungsrat den Transaktionen nicht zustimmen müssen. Inzwischen ist das Gremium mit externen Experten besetzt; um das Vermögen des Bistums kümmern sich professionelle Anlageverwalter.
Kirchliche Projekte seien nicht gefährdet, ergänzte Generalvikar Isidor Vollnhals gestern. Auch Bistumsmitarbeiter müssten nicht um ihre Jobs fürchten. Die mutmaßlichen verlorenen Millionen stammten ausschließlich aus den Rücklagen der Kirche, es sei also keine Kirchensteuer in Texas verschwunden, betonte Vollnhals.
Auf die Frage, ob ein ähnlicher Skandal im Bistum Augsburg möglich wäre, erklärte dieses gestern: „Das Bistum Augsburg hält keine Direktanlagen im Ausland und hat kein Geld in ausländischen oder in US-Immobiliengeschäften angelegt.“Auch die Vergabe von Krediten gehöre nicht zum „Anlagehorizont“. Zudem verwies das Bistum auf seine Anlagerichtlinien und die zuständigen Kontrollgremien. Das Bistum bilanziert seit 2014 nach den Regeln des Handelsgesetzbuches.
Wer genau in welchem Maße verantwortlich für den Finanzskandal im Bistum Eichstätt ist, wird das Gericht klären. Dennoch: In diesem Fall geht es nicht nur um Schuld oder Versagen Einzelner, es geht auch um das institutionelle Versagen der katholischen Kirche. Weil diese sich verschlossen gab, was ihre tatsächlichen Vermögensverhältnisse betrifft, und so keine Kontrolle ermöglichte. Weil erst Skandale sie zum Umsteuern brachten. Vor allem aber, weil sie sich im überaus komplexen Bereich der Finanzen vielerorts viel zu lange auf Geistliche verließ. Die jedoch waren und sind in erster Linie Geistliche, keine Finanzexperten.
Dies hat man in anderen Bistümern früher begriffen als im Bistum Eichstätt. Dass man dort dank einer „Transparenzoffensive“auf die fragwürdigen Geschäfte eines Mitarbeiters gestoßen ist und ihn anzeigte, muss man allerdings anerkennen. Zugleich veranschaulicht der Finanzskandal, wie leichtfertig die Kirche teilweise mit ihrem Vermögen bis vor kurzem noch umging. In Eichstätt mag zwar ein Bistumsmitarbeiter mit krimineller Energie gehandelt haben, der ihm übergeordnete Leitende Finanzund Baudirektor aber war völlig außerstande, ihn zu kontrollieren – und kontrollierte sich als Domdekan zudem gewissermaßen selbst.
Die Kirche, die mit Kirchensteuer-Millionen oder Spenden operiert, bezahlt teuer dafür – nicht zuletzt mit einem weiteren schweren Imageschaden. Bitter ist das vor allem für die Gläubigen. Sie müssen erwarten können, dass die Kirche sorgsam mit Geld umgeht. Dieses soll schließlich in Seelsorge oder karitative Einrichtungen fließen.
„Wir sind Opfer und nicht Täter.“
Rechtsanwalt Ulrich Wastl