Babystation nach Weißenhorn?
Die Wirtschaftsprüfer haben errechnet, wie die drei Krankenhäuser in zehn Jahren dastehen könnten. Das soll alles noch unter Verschluss bleiben, tut es aber nicht
Wie viel Öffentlichkeit verträgt das Thema Kreiskrankenhäuser? Offenbar nicht sehr viel. Das wurde gestern im Krankenhausausschuss deutlich, denn da fing sich der neue Stiftungsdirektor Marc Engelhard eine Rüge ein, weil er vor knapp zwei Wochen bei einem Pressegespräch auch über Möglichkeiten geredet hatte, wie es mit den drei defizitären Häusern weitergehen könnte. Antje Esser (SPD) fand es „gelinde gesagt suboptimal“, dass er bereits in eine „Standortdiskussion“eingestiegen sei. Engelhard hatte sich bei seinen Äußerungen unter anderem auf das neueste Gutachten der Wirtschaftsberater von KPMG berufen, was derzeit noch als Verschlusssache behandelt wird. Dass Engelhard über die Zukunft der Kliniken gesprochen hatte, schien auch Landrat Thorsten Freudenberger aufgestoßen zu sein. „Mir hat einiges nicht gefallen“, sagte er gestern. Gleichzeitig wehrte er sich gegen den Vorwurf, die Strategiedebatte werde im Geheimen geführt. Das sei geradezu abstruser Quatsch. Er kenne kein Unternehmen, das seine Strategiediskussionen in der Öffentlichkeit führe. Doch just am selben Tag bekam er ein Schreiben des SPD-Kreisvorsitzenden Karl-Heinz Brunner zugestellt, der nicht einverstanden damit ist, wie mit dem Gutachten umgegangen wird.
Jeder Kreisrat, der die KPMGUnterlagen zugeschickt bekam, musste sich schriftlich verpflichten, nichts an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Brunner kann das nicht nachvollziehen: „Die Gründe hierfür (ausgenommen einiger marginaler Zahlen, welche jedoch bei genauem Studium der öffentlich zugänglichen Haushaltspläne ermittelt werden könnten) haben sich mir bis heute jedoch nicht erschlossen“, schreibt er an Freudenberger. Er fordert, dass nun endlich Entscheidungen getroffen werden müssten, auch im Interesse der Beschäftigten an den Kreiskliniken.
Unter denen ist die Stimmung schlecht. Nach Informationen unserer Zeitung geht dies aus einer anonymisierten Befragung der rund 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hervor. Nur 50 Prozent von ihnen hatten daran teilgenommen. Wie ein Betroffener erklärte, habe große Unsicherheit geherrscht, dass dank der sehr detaillierten Fragen darauf geschlossen werden könnte, wer sie beantwortet hat. Ganz besonders schlecht soll das Klima in Weißenhorn sein, denn da ist die Arbeitsbelastung extrem hoch: Die Belegschaft schiebt einen Bauch von 37 000 Überstunden vor sich her ohne die Aussicht, dass die in absehbarer Zeit vollständig abgefeiert werden können. Der Frust sei ausgesprochen groß, ist aus der Klinik zu hören.
Gleichzeitig erfuhr unsere Zeitung weitere Details aus dem KPMG-Gutachten. Das ist unter anderem der Frage nachgegangen, ob es sich lohnen würde, in Weißenhorn eine Geburtshilfestation zu etablieren, quasi als Ersatz für die geschlossene Gynäkologie in Illertissen. Doch eine solche Hauptabteilung mit 20 Betten käme unter dem Strich recht teuer: Das Defizit würde nach Berechnung von KPMG bis zu vier Millionen Euro jährlich be- tragen, denn der personelle Aufwand für den Betrieb einer solchen Station sei sehr hoch. Zudem sei die Geburtshilfe finanziell nicht sehr ergiebig und es würde eine Art Konkurrenz zu Neu-Ulm entstehen. Zur Erinnerung: Früher gab es in Weißenhorn bereits eine hochmoderne Babystation. Im Jahr 2006 fällte der Kreistag den Beschluss, die Gynäkologie an der Stiftungsklinik aufzugeben, weil die Illertalklinik zum neuen Zentrum der Geburtshilfe im Landkreis werden sollte.
In ihrem Gutachten haben die KPMG-Leute sogenannte Exit-Szenarien aufgestellt und durchgerechnet, was es kosten würde, einzelne Klinikstandorte zu schließen. Würden alle drei erhalten bleiben, so laufe innerhalb von zehn Jahren ein Gesamtdefizit von 107 Millionen Euro auf. Eine Schließung des Illertisser Hauses würde das Minus deutlich verringern. Nach Schätmöglicherweise zung von KPMG läge das Zehn-Jahres-Defizit „nur“noch bei 73 Millionen Euro. Bei den anderen Häusern müsste der Kreis deutlich mehr bluten: Ein Verzicht auf Neu-Ulm triebe den Fehlbetrag auf gut 150 Millionen hoch, sollte Weißenhorn aufgegeben werden, summierte sich das auf über 200Millionen Euro.
Die Wirtschaftsprüfer geben keine Empfehlungen für das weitere Vorgehen ab, sie haben im Wesentlichen verschiedene Schließungsszenarien berechnet. Zudem äußern sie sich dem Vernehmen nach nicht dazu, was ein möglicher Neubau in der Mitte des Landkreises kosten könnte. Auch der Fall eines Nuxit spielt in dem Szenario offenbar keine Rolle. Wie es mit den Kliniken weitergeht, soll sich in den nächsten Wochen entscheiden. Am 19. Februar tagt erneut der Krankenhausausschuss, am 23. kommt der Kreistag zusammen.
Dieses Papier wird wie eine geheime Kommandosache behandelt: das aktuelle KPMG-Gutachten zur Zukunft der Kliniken. Die Kreisräte wurden zu absolutem Stillschweigen verdonnert. Und nun erhebt sich Kritik an dieser Geheimniskrämerei. Landrat Thorsten Freudenberger reagiert darauf erstaunlich dünnhäutig, spricht von „absolutem Quatsch“und argumentiert, kein Unternehmen diskutiere seine Zukunftsstrategie in der Öffentlichkeit.
Das stimmt, doch die Stiftungskliniken sind kein Unternehmen wie jedes andere, das der Konkurrenz keine Einblicke gewähren will. Gerade dieses Konkurrenzargument zieht in diesem Fall nicht, weil das Gesundheitswesen wenig mit Marktwirtschaft, aber viel mit Planwirtschaft zu tun hat. Wenn bei den Kliniken Defizite entstehen, muss der Kreis mit Steuergeldern dafür geradestehen.
Die empfindliche Reaktion zeigt, wie nervös die Kreispolitiker sind, denn in den nächsten Wochen muss es ans Eingemachte gehen, muss langsam mal entschieden werden, denn jeder Tag kostet. Doch diese Entscheidung fällt vermutlich niemandem leicht – und gerade im Süden wird der Tag mit Skepsis erwartet, denn die Gutachter haben errechnet, dass eine Schließung von Illertissen mit Abstand am billigsten käme.