Wie ein Italiener zum Schwaben wurde
Stanislao Fulci kam vor fast 60 Jahren nach Deutschland. In Vöhringen fühlt er sich heimisch – auch wenn der Start nicht leicht war
Stanislao Fulci betrachtet liebevoll die Figur in seinen Händen. Sie stellt einen Auswanderer dar, dem Denkmal nachempfunden, das in seinem Heimatort Spezzano della Sila in Kalabrien steht. „Ja, ich bin auch ein Auswanderer, wie viele von uns aus dem Dorf. Keine Arbeit, keine Perspektive.“Zahlreiche Einwohner der Gemeinde haben ihre Heimat verlassen und sind in den 1930er Jahren nach Amerika ausgewandert. Auch Stanislao Fulci ging – nach Deutschland. Er fand Arbeit und blieb.
In seinem Heimatort gab es einen Lebensmittelladen, der alles im Sortiment hatte, was Menschen so im Alltag brauchen. Stanislao machte eine Lehre, „ich war Verkäufer und mochte meinen Beruf.“Aber im Grunde bot seine Heimat ihm keine Zukunft. „Sie gehört auch heute noch zu armen Regionen Italiens.“Nachdem sein Bruder nach Deutschland ausgewandert war, besuchte Stanislao ihn in Stuttgart. Er staunte: „Acht-Stunden-Tag und gute Bezahlung, das war etwas, was ich bisher nicht kannte.“Zurück in Kalabriens Heimatort beschloss er, sich in Deutschland Arbeit zu suchen. Er landete bei Bosch. Nach mehreren Stationen kam er zu Wieland.
An den ersten Kontakt erinnert sich Fulci noch ganz genau. „Ich ging ins Personalbüro und traf auf den Dolmetscher Richard Worel. Als ich mein Anliegen vortrug, erhielt ich die Nachricht, im Augenblick stelle Wieland niemanden ein.“Deprimiert öffnete er die Tür zum Flur und stieß auf einen älteren Herrn. „Der fragte mich, na, junger Mann suchen sie was? Ich antwortete, Arbeit, aber Wieland stellt im Moment niemanden ein.“Der gut gekleidete Mann musterte Fulci und wunderte sich über dessen gute Deutschkenntnisse. „Na, dann kommen sie heute Abend mal in mein Büro“, sagte er und entschwand. Nach 17 Uhr klopfte ich an die besagte Tür. „Der Mann stellte sich als Herr Stiegele vor. Ich hatte keine Ahnung, dass er aus der Chefetage war.“Ein Erlebnis, das sich Fulci immer wieder gerne in Erinnerung ruft: Er bekam eine Stelle im Walzwerk, wurde 1965 Kranführer, ein Posten, für den man Fingerspitzengefühl brauchte.
1966 lernte Fulci seine Ursula kennen, damals 17 Jahre jung. Und Amors Pfeile trafen: Sie wurden ein Paar, sehr zum Unwillen der Familie seiner Freundin. „Was, einen Ausländer, einen Italiener? So war die Reaktion meiner Eltern“, sagt heute Fulcis Frau über das unerfreuliche Erlebnis. Aber die beiden schafften dann doch den Weg zum Traualtar. Stolz erzählt Fulci: „Ich habe den ersten Schrei meines Sohnes mit dem Tonband aufgenommen. Und ich bekam endgültig meine Aufenthaltsgenehmigung.“Wenn Fulci das heute mit 74 Jahren berichtet, dann glänzen seine Augen. 1971 nahm er die deutsche Staatsbürgerschaft an und gab seinen italienischen Pass zurück. Aber das ging nicht ohne bissige Kommentare seiner italienischen Arbeitskollegen. „Sie nannten mich einen Verräter.“
Er hat in Vöhringen Fuß gefasst: Das ging so weit, dass Stanislao sich für die Kommunalpolitik zu interessieren begann. Er kam zu den freien Wählern: „Ich hatte nicht die große Politik im Sinn, sondern ich wollte mitgestalten an dem, was vor Ort vor sich ging.“Er wurde allerdings nicht gewählt. Dafür hat er auch eine Erklärung. „Ich dachte, meine italienischen Kollegen würden mich unterstützen. Das Gegenteil war der Fall. Sie dachten, ich bekäme Privilegien.“Aber er schaffte es, in den Vorstand der FWG aufzurücken.
Bei Null hätten sie angefangen, sagt Ursula Fulci: „Leicht war es für uns nicht, denn dass ich einen Ausländer geheiratet hatte, kreideten mir die Nachbarn übel an.“Das kann sie nicht vergessen, wenngleich das für heute abgehakt ist.
Fulci liebt die Pünktlichkeit und Genauigkeit der Deutschen und eiferte diesem Vorbild so nach, dass er heute ein Zuspätkommen kaum entschuldigen kann. Da lacht Frau Ursula: „Ja, das stimmt schon. Aber wenn er sonntags beim Karteln saß und zu spät nach Hause kam, hieß es immer, die Schranken waren zu.“Die Ausrede funktioniert heute nicht mehr: Der Bahnübergang ist geschlossen. Aber Stanislao kommt auch nicht mehr zu spät. „Ich freue mich, in diesem Land meine zweite Heimat gefunden zu haben.“