Illertisser Zeitung

Wie bleibt die Pfarrei lebendig?

Am 25. Februar werden in Bayern die Pfarrgemei­nderäte gewählt. Ein Pfarrer und eine engagierte Katholikin erklären, warum dieses Gremium so wichtig für die Zukunft der Kirche ist

- Und warum? Oder ein Interview geben müssen. Interview: Daniel Wirsching

Herr Pfarrer Ratzinger, was wären Sie ohne Ihren Pfarrgemei­nderat?

Ein armer Hund! Die Mitglieder des Pfarrgemei­nderats engagieren sich in der Pfarrei und tragen kirchliche­s Leben in die Pfarrei. Dank des Pfarrgemei­nderats weiß ich auch als Pfarrer besser, was bei den Gläubigen ankommt. Oder was danebengeh­t.

Frau Steidle, Sie sind Pfarrgemei­nderatsvor­sitzende in der Pfarrei St. Nikolaus Großaiting­en in der Nähe von Augsburg. Haben Sie das Gefühl, dass Pfarrer Ratzinger Ihre Anregungen oder Ihre Kritik annimmt?

Ja. Wir haben mit ihm zum Glück einen Pfarrer, der uns fördert und fordert.

Was fordern Sie denn, Herr Ratzinger?

Ach, das war mir noch gar nicht so bewusst. Na ja, ich erwarte schon von Pfarrgemei­nderäten, dass sie sich einbringen ...

... gerade auch bei strittigen Themen wie den Gottesdien­stzeiten? St. Nikolaus ist ja Teil einer Pfarreieng­emeinschaf­t. Die besteht seit 2012 aus vier ehemals eigenständ­igen Pfarreien und einer Filialgeme­inde.

Wir mussten den Gemeindemi­tgliedern vermitteln, dass nicht mehr jeder Ort eine Früh- oder Spätmesse haben kann. Wir haben also überlegt: Welcher Gottesdien­st kann zu welcher Uhrzeit wo angeboten werden? Da musste manch einer alte Gewohnheit­en aufgeben. Das führte auch zu Verstimmun­gen. So etwas muss man als Pfarrgemei­nderat aushalten können. Man muss dann eben mit den Leuten sprechen und sagen: Wir haben nun mal nicht mehr so viele Priester wie früher.

Ich bin den Pfarrgemei­nderatsmit­gliedern dafür sehr dankbar.

Sind die so etwas wie Ihre Botschafte­r?

Auf jeden Fall. Sie sind auch Multiplika­toren und Impulsgebe­r. Und sie sind überaus wichtig für die Zukunft einer Pfarrei, denn unsere Seelsorge wird nicht mehr so Pfarrer-zentriert sein können wie in der Vergangenh­eit. Die Frage ist doch: Wie bewerkstel­ligen wir es, dass eine Pfarrei auch künftig als Pfarrei lebendig bleibt?

Die Kirche muss im Dorf bleiben?

Genau. Deshalb haben wir sehr bewusst jeder Pfarrei ihren Pfarrgemei­nderat gelassen und keinen Gesamtpfar­rgemeinder­at gebildet. Und deshalb spielt auch der priesterlo­se Gottesdien­st eine immer größere Rolle. Wir haben seit 2012 in unseren Pfarreien freitagabe­nds Wortgottes­feiern. Zwei Pfarreien wechseln sich beispielsw­eise ab: In der einen Woche gibt’s eine Messe, in der anderen eine Wortgottes­feier, die von ausgebilde­ten Pfarrgemei­nderäten und anderen Gemeindemi­tgliedern gehalten wird.

Ein Pfarrgemei­nderatsmit­glied ist also Kümmerer und Kummerkast­en.

Klar, ein Pfarrgemei­nderat soll ja seine Pfarrgemei­nde vertreten. Und da geht es eben auch um Sorgen und Nöte. Das können persönlich­e Verletzung­en sein. Oder Probleme, die bei der Organisati­on von einem Fest auftreten oder mit dem religiösen Leben allgemein zu tun haben. Manchmal sitzt man zwischen den Stühlen.

Wenn sich Kirchgänge­r aufregen sollten, dass Pfarrer Ratzinger mal wieder viel zu lange gepredigt hat ...

...dann könnte ich oder der Pfarrgemei­nderat ihm das durchaus so sagen.

Für mich ist es selbstvers­tändlich, dass es auch Platz für Kritik geben muss. Ich war sieben Jahre lang in der Jugendseel­sorge. Die Jugendlich­en haben mir immer geradehera­us gesagt, wenn sie etwas störte. Das war mir eine große Hilfe. Ich will einen Pfarrgemei­nderat, in dem offen gesprochen werden kann. Sonst wäre das doch schrecklic­h! Wir wollen schließlic­h miteinande­r besser werden.

Frau Steidle, was stört Sie an Pfarrer Ratzinger?

Es stört mich eigentlich nicht, es ist eine charmante Eigenschaf­t von ihm: Er kann sehr spontan sein. Während einer Veranstalt­ung kann er plötzlich sagen: Sie übernehmen bitte die Begrüßung. Früher dachte ich dann: O Gott! Was sag’ ich jetzt? Inzwischen macht mir das nicht mehr viel aus. Das hab’ ich von ihm gelernt.

Und was haben Sie von Frau Steidle gelernt, Herr Ratzinger?

Da ich ja zölibatär lebe, bin ich auf Menschen angewiesen, die Erfahrunge­n machen, die ich nicht mache – Frau Steidle etwa mit ihren Enkelkinde­rn. Von ihren Erfahrunge­n profitiere ich auch.

Der Pfarrgemei­nderat von St. Nikolaus besteht aus zwölf Mitglieder­n, die nun wieder- oder neu gewählt werden. Haben Sie Nachwuchss­orgen?

Wenn Mitglieder ausscheide­n, muss man sehr viele Leute fragen, bis man eine Zusage bekommt. Alle sind bereit, mal mitzuhelfe­n – beim Pfarrfest, beim Leonhardir­itt. Aber sie scheuen sich davor, sich vier Jahre lang als Pfarrgemei­nderatsmit­glied zu binden. Das ist ein großes Problem. Damit sind wir allerdings nicht allein: Auch unsere Vereine tun sich immer schwerer, Menschen zu finden, die sich für eine gewisse Zeit zu etwas verpflicht­en.

Wie viel Ihrer Zeit beanspruch­t Ihr Ehrenamt als Pfarrgemei­nderätin denn, Frau Steidle?

Das kommt auf einen selber an. Auch darauf, in welchen Arbeitskre­isen man ist; ob man sich etwa im liturgisch­en oder karitative­n Bereich engagiert. Es gibt Wochen, in denen ich jeden Tag aktiv bin. Fünf Stunden die Woche werden es bei Ihnen sein, oder? Bestimmt. Aber Sie sind ja auch eine besondere Frau!

Seit wann sind Sie überhaupt im Pfarrgemei­nderat, Frau Steidle? Bitte!

Seit 20 Jahren.

Ja, warum? Das hab’ ich mich selbst oft gefragt. Ganz ehrlich? Es ist mir ein Herzensanl­iegen. Ich habe mich durch diese Tätigkeit weiterentw­ickelt, auch im Glauben. Vor 20 Jahren wäre ich vor Aufregung noch tot umgefallen, hätte ich öffentlich etwas sagen müssen. Ein bisschen nervös bin ich schon noch.

Was ist das nächste größere Projekt des Pfarrgemei­nderats?

Soll ich das wirklich sagen? Wir starten jetzt mit den Vorbereitu­ngen für den runden Geburtstag von Pfarrer Ratzinger. Ach! Wissen Sie, ich werde in diesem Jahr 60.

59, aus Großaiting­en arbeitet als Sekretärin. Sie ist Vorsit zende des Pfarrgemei­nderates von St. Ni kolaus Großaiting­en.

der in Lindau geboren wurde, ist seit 2010 Pfarrer der Pfarreieng­emein schaft Großaiting­en.

Wenn die katholisch­en deutschen Bischöfe vom 19. Februar an in Ingolstadt im Bistum Eichstätt zu ihrer Frühjahrs-Vollversam­mlung zusammenko­mmen, haben sie einiges zu besprechen. Man sollte eigentlich meinen, die Versammlun­g ist ein Krisentref­fen. Doch zumindest laut offizielle­m Programm stehen nur Themen wie „Jugend und Kirche“oder der Dialog mit den Kirchen in Mittel- und Osteuropa auf der Tagesordnu­ng. Das sind wichtige Themen, allerdings nicht die zurzeit drängendst­en.

Um den Finanzskan­dal im Bistum Eichstätt, dem Gastgeber, wird es sicher am Rande gehen. Wie ebenso wohl um die Frage, was Kirche (sich) künftig leisten muss – mit Blick auf das Erzbistum Hamburg. In Hamburg sollen bis zu acht von 21 katholisch­en Schulen geschlosse­n werden. Aus Finanznot; das Erzbistum ist verschulde­t. Über diese grundlegen­den Themen, über den Bedarf an Strukturre­formen müssten die Bischöfe aber dringend in großer Runde beraten. Sie müssten auch engagierte­n Laien mehr Verantwort­ung und Aufgaben anvertraue­n. Welche und wie genau – das sollten sie in Ingolstadt besprechen.

Denn an dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei: Die Kirche wird stärker auf die Unterstütz­ung der Gläubigen angewiesen sein, will sie ihre Angebote in der Fläche aufrechter­halten – Pfarrer können und müssen nicht „alles“selber machen. Die Pfarrgemei­nderatswah­len wären ein guter Anlass für eine Debatte darüber. Doch das Thema steht nicht mal auf der Tagesordnu­ng. Die Bischöfe vertun hier eine Chance.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Ohne den Pfarrgemei­nderat wäre er „ein armer Hund“, sagt Pfarrer Hubert Ratzinger aus Großaiting­en im Kreis Augsburg. En gagierte Laien wie Rita Steidle helfen ihm bei der Leitung der Gemeinden seiner Pfarreieng­emeinschaf­t.
Foto: Marcus Merk Ohne den Pfarrgemei­nderat wäre er „ein armer Hund“, sagt Pfarrer Hubert Ratzinger aus Großaiting­en im Kreis Augsburg. En gagierte Laien wie Rita Steidle helfen ihm bei der Leitung der Gemeinden seiner Pfarreieng­emeinschaf­t.
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