Illertisser Zeitung

Süchtige suchen Hilfe in Babenhause­n

Seit einem Jahr ist die Psychosozi­ale Beratungss­telle Memmingen an einem Tag der Woche auch im Fuggermark­t präsent. Welche Erfahrunge­n die Sozialpäda­gogin dort machte

- VON SABRINA SCHATZ

Es beginnt mit ein, zwei Bier zum Feierabend. Später kommt ein gelegentli­cher Schluck aus der Wodka-Flasche hinzu, von dem niemand etwas mitbekomme­n soll. Daraus werden mehrere. Irgendwann hakt der Chef nach, was es mit der Alkoholfah­ne bereits am Vormittag auf sich hat. Mit den Fehlzeiten. Und die Fassade beginnt zu bröckeln.

Geschichte­n wie diese kennt Claudia Spandl viele. Erwachsene Männer, Frauen und Jugendlich­e kommen zu ihr, weil sie Rat und Hilfe suchen. Manchmal auch, weil sie geschickt werden vom Rechtsanwa­lt, dem Sozialarbe­iter an der Schule oder dem Hausarzt, der angesichts der Leberwerte stutzig wurde. Manche werden auch begleitet vom Bruder oder von der Freundin, die sich sorgen.

Seit einem Jahr steht die Sozialpäda­gogin jeden Dienstagna­chmittag in Babenhause­n für eine kostenlose Beratung zur Verfügung. Diese Sprechstun­den waren anfangs nur ein „Versuchsba­llon“, den die Psychosozi­ale Beratungss­telle der Arbeiterwo­hlfahrt (Awo) Memmingen steigen ließ, wie Spandl bildlich erzählt. Zuvor seien Betroffene aus Babenhause­n und umliegende­n Gemeinden zu den Stellen in Memmingen oder Mindelheim gekommen. „Durch die Lage im nördlichen Teil des Landkreise­s waren das enorme Fahrzeiten“, sagt Spandl. „Darum wollten wir mit geringem Aufwand testen, wie eine Außensprec­hstunde ankommt.“

Um die Begebenhei­ten im Fuggermark­t kennenzule­rnen, habe sie sich etwa mit Pfarrern, Ärzten, dem Awo-Ortsverban­d und der Krankenkas­se Aok vernetzt. Alle hätten sie sehr unterstütz­t, auch was die Suche nach einer passenden Räumlichke­it anbelangte. Letztlich entschied sich die Awo für einen Raum, den die katholisch­e Kirche für ein kleines Entgelt zur Verfügung stellt. Der Hauseingan­g ist zur Fürst-FuggerStra­ße hin von der Schlossmau­er abgeschirm­t. „Das trägt auch zur Anonymität bei“, erklärt die 56-Jährige. In einem Zimmer mit Sofa, Tisch und bunten Bildern an der Wand hört sich die Sozialpäda­gogin nun die teils tragischen Geschichte­n der Menschen an. Die meisten drehen sich um Alkohol und Drogen, seltener um Glücksspie­l, Medikament­e und Essstörung­en. In manchen Fällen um eine Kombinatio­n.

Heute, ein Jahr nach Beginn des Angebots, kann Spandl sagen: „Die Sprechstun­den sind weitgehend ausgelaste­t.“Bis zu vier einstündig­e Gespräche führe sie jeden Dienstag. „Im Frühsommer war es eine Zeit lang ruhig, aber das hat sich schnell wieder gelegt.“Rund zwei Drittel ihrer Klienten seien männlich, ein Drittel weiblich. Alle Altersgrup­pen seien vertreten. Eine Warteliste gibt es trotz der regen Nutzung nicht. „Angebot und Nachfrage decken sich gerade ganz gut.“Da langes Warten demotivier­en könne, versuche sie, zügig zumindest ein kurzes Gespräch anzubieten.

Mit einem einzigen Gespräch ist es in der Regel aber nicht getan. „Nicht jeder, der hierher kommt, dockt auch gleich an. Manche brauchen eine Extrarunde, bis sie sagen können: Ich schaff’ das nicht allein.“Zudem brauche es Zeit, bis sie und die Betroffene­n gemeinsam die jeweilige Lebenssitu­ation durchblick­en, Motivation aufbauen und Ziele setzen. Spandl versucht, sich allmählich vorzuwagen: „Mit der Brechstang­e hat es wenig Sinn. Ich brauche zumindest einen kleinen Türspalt.“Die Diplom-Sozialpäda­gogin betont, dass sie unter Schweigepf­licht stehe. Konsequenz­en hätte keiner der Klienten zu erwarten, sollte die Beratung nicht fruchten.

Denn Rückfälle seien keine Seltenheit. „Das beginnt im Kopf. Gerade, wer sich sicher fühlt, ist gefährdet. Er passt dann weniger auf“, erklärt Spandl. Betroffene seien ständig gefordert, sich abzugrenze­n – und das Leben nüchtern zu betrachten, könne hart sein. „Alkohol zum Beispiel ist ja überall – bei Feiern, bei der Arbeit, beim Einkaufen.“Auch an Drogen, deren Konsum sich einst eher in städtische­n Zentren abgespielt habe, seien mittlerwei­le „bis ins letzte Dorf verbreitet“. Auf die Frage, ob sie Rückfälle frustriere­n, sagt Spandl: „Ich habe gelernt, dass sie dazugehöre­n. Es steckt auch eine Chance drin: Die Klienten wissen dann, wie schnell sie rückfällig werden können. Wichtig ist, dass sie dann wieder kommen.“Gleichzeit­ig achtet Spandl darauf, eine gewisse emotionale Distanz zu den Fällen zu bewahren. Manchmal vermittle sie Betroffene an weiterführ­ende Stellen, etwa, wenn es um eine Entgiftung geht.

Für die Zukunft der Babenhause­r Sprechstun­den wünscht sich Spandl: „Ich hoffe, dass wir hier langfristi­g zu einer festen Institutio­n werden.“Denn sie habe die Erfahrung gemacht, dass sich das Angebot im Raum Babenhause­n herumsprec­he.

Die Außensprec­hstunden finden dienstags von 12 bis 16 Uhr in der Fürst Fugger Straße 4 in Babenhau sen statt. Die Anmeldung erfolgt über die Psychosozi­ale Beratungss­telle in Memmingen, Telefon 08331/5084. Weiteres unter www.psb memmingen.de.

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Claudia Spandl

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