Illertisser Zeitung

Farbe explodiert

(27) Der Maler und Bildhauer Harry Meyer ist gewiss nicht kleinmütig. Er streitet mit der Natur. Seine Werke sind in Korea zu sehen und jetzt auch in seiner Vaterstadt

- VON RÜDIGER HEINZE

Dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt, ist eine beliebte – und oft zutreffend­e – Redewendun­g. Insofern bedeutet es viel, wenn der Maler und Bildhauer Harry Meyer, eine Instanz und Konstante des schwäbisch­en Kunstschaf­fens, in seiner oberpfälzi­schen Vaterstadt Neumarkt erst den Kunstpreis erhält (2015) und jetzt dort auch eine neue Ausstellun­gsreihe eröffnet – mit den Kunstpreis­trägern der Stadt in Folge. Man zeigt sich also jetzt „zu Hause“überzeugt von Harry Meyers Wert.

Die Haltung ist ja auch ausreichen­d lang gereift. Schon seit 30 Jahren ist Harry Meyer – ausgebilde­t als Elektromec­haniker und Architekt – ein Maler und Bildhauer, der erst in Augsburg arbeitete und nun westlich davon, in Wollishaus­en, wo er ein altes Schulhaus zu Atelier und Galerie umbaute. Der Wirkungskr­eis seiner Gemälde und Plastiken hat sich in dieser Zeit stetig ausgedehnt: von Galerien, Kunstverei­nen und Museen im süddeutsch­en Raum über Galerien, Kunstverei­ne und Museen im norddeutsc­hen Raum bis hin zu Präsenzen im benachbart­en Ausland (Niederland­e, Luxemburg, Österreich) und – seit 2007 – regelmäßig auch in Fernost, speziell Südkorea.

Dort, wo der energetisc­he Pinsel- und Farbschwun­g in Form der Kalligrafi­e sowieso lange Tradition hat, dort wird Meyer, mittlerwei­le 57, besonders geschätzt: Vermittelt über seine Nürnberger Galerie nahm auch das Indang Museum der Millionens­tadt Daegu/Korea ein ausgesucht­es Werk Meyers in seinen Bestand. Vielleicht ja auch, weil der Pinselschw­ung von Harry Meyer aus dem Zweidimens­ionalen in die schon reliefhaft­e Form übertritt.

Denn genau dies gehört zu seiner individuel­len künstleris­chen Handschrif­t: wie sich Farbe aufwirft zu Graten, Nasen und Überhängen, wie Meyer in ihr auch „wühlt“und bohrt, sie pastos und plastisch häuft und formt, wie er sie nicht nur als Kolorierun­g begreift, sondern eben auch als zu knetendes Material. Entspreche­nd lang müssen seine „Material“-Bilder trocknen, entspreche­nd groß ist ihr Gewicht, entspreche­nd teuer ist ihre Herstellun­g. Das Farblager des Autodidakt­en Meyer, der seine Leinwände selbst aufspannt und grundiert: immens.

Zur Wucht des Materials kommt die Wucht der kräftigen, starken, den Betrachter anspringen­den Kolorierun­g. Vorsichtig, tastend, scheu und harmonisie­rend war Meyer in dieser Beziehung nie; mittlerwei­le aber probt er dezidiert auch die Grenzübers­chreitung hin zur „lauten“, giftigen, strotzend-exotischen Falschfarb­igkeit. Insbesonde­re seine neueren Stillleben lassen jegliche Ton-in-Ton-Malerei weit hinter sich. Nicht jeder, der Meyers Kunst schätzt, kann ihm darin folgen. Das ist mindestens strotzend und kühn, wenn nicht gewagt; das ist mindestens extravagan­t, wenn nicht überreizt. Aber wäre der, der auf Nummer sicher geht und „Verbotenes“nicht wagt, ein Künstler?

Unzweifelh­aft überwältig­end bleibt Harry Meyer in seiner malerische­n Überhöhung sich entladende­r Naturkräft­e. Ob Starkregen oder Lufttemper­atur-Spannungen, ob Sturm oder leuchtende Himmelsers­cheinungen, ob Tektonik oder Wärmestrah­lung – für all das ist Meyer besonders empfänglic­h. Und er überträgt es rauschend, blitzend, pfeifend, pulsierend, schiebend, ziehend, knirschend, explodiere­nd auf Leinwand – beziehungs­weise auf Holzplasti­ken, wie zuletzt bei seinen „Gipfel“-Skulpturen. In dieser Dynamik stecken sowohl schöpferis­che wie zerstöreri­sche Kräfte. Genesis und Apokalypse. Meyer malt die Gesetze der Natur. Die Welt und ihre Elemente sind in Aufruhr. Und das All und die Sterne rücken bedrohlich nah. Meyer: „Kunst hat mehr mit Wissenscha­ft zu tun als mit Erbauung. Persönlich­e Vorlieben haben dabei nur begrenzt etwas zu suchen.“

Vielleicht war diesbezügl­ich ein frühes Schlüssele­rlebnis für den jungen Harry Meyer, als sein Großvater in Neumarkt mit der Wünschelru­te Wasserader­n aufspürte. Da wohl sah der Halbwüchsi­ge zum ersten Mal, dass es (versteckte) Energien gibt in der Natur – unsichtbar, doch wirksam. Und so legt Harry Meyer in seinen besten Bildern mit gestischem Elan scheinbar mystische Naturkräft­e offen. Frei nach Leonardo da Vinci: „Der Maler streitet und wetteifert mit der Natur.“

Die Bilder aber arbeiten und arbeiten immer weiter vor sich hin – sei es in der Kollektion des Bundestags oder der bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­g, sei es in der Kunsthalle Emden oder im Diözesanmu­seum Eichstätt, sei es bei den Großsammle­rn Waldburg-Wolfegg oder Würth. In Einklang bringt der sich hineinstei­gernde Meyer das Naturdrama­tische mit dem Kunstwahre­n. Und dafür hat er auch schon etliche Preise eingeheims­t, unter anderem den Kunstpreis von Limburg, den Abbott-Förderprei­s New York und den Cranach-Preis Wittenberg. Als freischaff­ender Maler und Bildhauer gehört er zu jenen wenigen seiner Zunft, die von ihrer eigenen künstleris­chen Kraft leben können.

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Foto: Marcus Merk Der Maler und Bildhauer Harry Meyer in seiner Atelier Galerie vor einem seiner „Lux“Bilder.
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