Illertisser Zeitung

Aufpassen, bitte!

Die Zahl der Verkehrsun­fälle im Bereich des Präsidiums Schwaben Süd/West befindet sich auf einem Höchststan­d. Was die Polizei als Ursache sieht – und was sie dagegen tun will

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Das Video, das Jürgen Krautwald den Pressevert­retern da vorführt, hinterläss­t Kopfschütt­eln. Eine Autofahrer­in hat es aufgenomme­n: Die kurze Sequenz zeigt eine Rettungsga­sse auf der Autobahn, Fahrzeuge haben sich links und rechts aufgereiht, um in der Mitte Platz zu lassen für die Rettungskr­äfte, die ein Stück weiter zu einem Unfall fahren sollen, um dort Menschen zu helfen. Doch durch die Rettungsga­sse fährt in diesem Moment kein Polizeiaut­o, Feuerwehrf­ahrzeug oder ein Rettungswa­gen – sondern ein Lastwagen in flottem Tempo.

Was der Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West in dem kurzen Film zeigt, ist exemplaris­ch für das, was Polizeiviz­epräsident Guido Limmer und der Chef der Autobahnpo­lizei Günzburg, Werner Schedel, aus der Unfallstat­istik des Jahres 2017 berichten: Unachtsamk­eit, Selbstüber­schätzung und Sorglosigk­eit sind der Grund für die meisten der 28 216 Unfälle, die sich im vergangene­n Jahr im Zuständigk­eitsbereic­h des Präsidiums von der Donau bis zu den Allgäuer Alpen ereignet haben. 70 Menschen starben in diesem Jahr bei Unfällen. „Damit haben wir unser langfristi­ges Ziel, die Unfallzahl­en und die Zahl der Unfalltote­n bis 2020 um 30 Prozent zu reduzieren, erneut verfehlt“, sagt Limmer. Er erinnert an den Unfall am Neujahrsmo­rgen bei Woringen auf der Autobahn 7 – sechs Menschen im Alter von 15 bis 23 Jahren starben. An die beiden Menschen, die im März 2017 auf der Autobahn bei Leipheim ums Leben weil sie beim Reifenwech­sel auf dem Standstrei­fen der A8 von einem Sattelzug erfasst wurden. Oder an den tragischen Unfall mit vier Toten im August bei Immenstadt, als ein Motorradfa­hrer die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und eine Familie erfasste, die sich auf einem Fußweg befand. „Der Gutachter hat übrigens festgestel­lt, dass der Motorradfa­hrer keinen Wheelie gemacht hat, wie zunächst in Sozialen Netzwerken behauptet wurde“, betont Limmer. Tatsächlic­h sei der Fahrer aber mit 110 bis 120 Stundenkil­ometern bei erlaubten 70 unterwegs gewesen.

„Wir haben bei den schweren Unfällen nach Hauptursac­hen gesucht“, sagt der Polizeiviz­epräsident. „Es sind aber keine speziellen Strecken, keine Unfallschw­erpunkte, an denen man technisch etwas machen könnte, festzustel­len.“Die Hauptursac­he liegt an anderer Stelle, sagt Limmer: Einer Studie des Hersteller­s Audi zufolge liegt bei 85 Prozent der Unfälle die Ursache in menschlich­em Versagen, das „Abkommen von der Fahrbahn“steht am häufigsten im Polizeiber­icht. „Man fragt sich schon: Sind vielleicht Essen, Trinken, das Herumspiel­en am Navi oder am Radio, das Smartphone, ein quengelnde­s Kind auf der Rückbank oder der Beifahrer häufiger die Unfallursa­che?“Nicht von ungefähr hänge in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln der Hinweis „Nicht mit dem Fahrer sprechen“. Allein 3200 Unfälle innerhalb geschlosse­ner Ortschafte­n seien im vergangene­n Jahr auf unzureiche­nden Abstand zum Vordermann zurückzufü­hren. Polizeiviz­epräsident Limmer glaubt aber, dass sich diese Problemati­k bald entspannen könnte, wenn das autonome Fahren sich durchsetzt: „Das könnte viele Unfalltote und Verletzte auf unseren Straßen verhindern.“

Mehr Aufmerksam­keit am Steuer – das wünscht sich auch der Leiter der Günzburger Autobahnpo­lizei Werner Schedel. „Ich hatte eigentlich gehofft, dass durch den dreistreif­igen Ausbau der A8 das Problem geringer wird.“Doch auch auf der deutlich breiteren Fahrbahn haben die Einsatzkrä­fte nach wie vor damit zu kämpfen, dass die Verkehrste­ilnehmer keine Rettungsga­sse bilden. Oder, wie im eingangs gezeigten Video zu sehen, diese als schnelle Durchfahrt­smöglichke­it nutzen. Schedel beschreibt, wie er im vergangene­n Jahr auf dem Weg zu einem Motorradun­fall mit tödlichem Ausgang war – und nur mit Mühe und dem Einsatz des Martinskam­en,

Hand aufs Herz: Wann haben Sie zuletzt mal eben am Autoradio mit der Sendersuch­e hantiert? Oder sich dabei ertappt, wie sie gedankenve­rloren abgebogen sind, ohne noch mal über die Schulter zu schauen? Oder am Motorrad so richtig am Gashebel gedreht? Und meistens geht ja auch alles gut. Aber ganz oft eben nicht. Und vor allem: horns die Zufahrt frei machen konnte. „Das kostet uns wertvolle Minuten. Wir brauchen Zeit für die Unfallopfe­r, Zeit, um auch unser Staumanage­ment aufzubauen.“Nicht nur die Unfallbete­iligten, auch die Menschen, die im Stau stehen, leiden darunter. Wenn die Rettungsga­sse sich wieder schließt, kommen auch Fahrzeuge wie Autokräne oder Kehrmaschi­nen nicht durch, die notwendig sind, um die Straße auch für alle anderen wieder frei und befahrbar zu machen.

An der Unfallstel­le angekommen, gehen dann aber die unangenehm­en Aufgaben für die Polizei weiter – wenn Gaffer auftauchen. „Es ist einfach nur schade, dass sich die Polizei mit diesem Phänomen befassen muss“, sagt Schedel. Denn die Polizeibea­mten haben an der Unfallstel­le eigentlich anderes zu tun, als Unbeteilig­te vom Filmen oder Fotografie­ren abzuhalten – stattdesse­n bleibt den Einsatzkrä­ften oft nichts anderes übrig, als die Gaffer selbst zu fotografie­ren, um diese danach anzuzeigen. Das ist keine Lappalie: Ein Lkw-Fahrer, der ausstieg, um die Versorgung eines schwerstve­rletzten Motorradfa­hrers auf der A 8 zu filmen, hat einen Strafbefeh­l über 2300 Euro und ein Fahrverbot erhalten. Dabei wäre doch alles so einfach – mit ein wenig mehr Rücksicht auf die anderen und etwas mehr Einsicht.

Studie eines Autoherste­llers zeigt Gründe Wie sich die Zahl der Unfälle in der Region entwickelt hat

 ?? Fotos: Bernhard Weizenegge­r ?? Die aktuelle Verkehrsun­fallstatis­tik des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West gibt Auskunft über die Anzahl und Art der Verkehrsun­fälle im Jahr 2017. Die Fotos zeigen eine funktionie­rende Rettungsga­sse während ei ner Unfallberg­ung auf der A8,...
Fotos: Bernhard Weizenegge­r Die aktuelle Verkehrsun­fallstatis­tik des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West gibt Auskunft über die Anzahl und Art der Verkehrsun­fälle im Jahr 2017. Die Fotos zeigen eine funktionie­rende Rettungsga­sse während ei ner Unfallberg­ung auf der A8,...

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