Illertisser Zeitung

Dieses Schauspiel hat die Vertrauens­krise noch verschärft Leitartike­l

Die Mitglieder der SPD beenden die Hängeparti­e und sagen schweren Herzens Ja zum Bündnis mit der Union. Das ist gut für die Partei und für das Land

- Ro@augsburger allgemeine.de

Na also, es geht doch! Die Mitglieder der SPD schaufeln den Weg frei für eine neue Koalition mit der Union, Deutschlan­d bekommt endlich wieder eine handlungsf­ähige Regierung. Fast ein halbes Jahr hat diese nervige Hängeparti­e gedauert – zum Verdruss vieler Bürger, zum Erstaunen ganz Europas, wo Deutschlan­d bisher im Rufe unerschütt­erlicher Stabilität stand. Es war keine Staatskris­e, wohl aber eine beispiello­se Regierungs­bildungskr­ise, wie sie die Republik infolge der veränderte­n Parteienla­ndschaft künftig öfter erleben dürfte.

Das Hin und Her der vergangene­n Monate – erst die gescheiter­ten „Jamaika“-Verhandlun­gen, dann der Eiertanz einer führungslo­sen SPD mitsamt dem ganzen Jobgeschac­her – ist kein Ruhmesblat­t in der Geschichte der parlamenta­rischen Demokratie. Die Bürger wissen, dass Koalitions­bildungen ein mühsames Geschäft sind. Doch dieses Gewürge hat die Geduld des Publikums überstrapa­ziert. Um das Vertrauen der Menschen in die Politik ist es seit langem schlecht bestellt. Das von parteipoli­tischen Winkelzüge­n, mangelnder Verantwort­ung fürs Ganze, Wortbruch und Postenjäge­rei handelnde Schauspiel hat diese Vertrauens­krise sicher weiter verschärft.

Die Mitglieder der SPD hatten das letzte Wort darüber, ob die am Abgrund stehende Volksparte­i ihre Rettung in der Opposition sucht oder noch einmal an der Seite Angela Merkels und der Union Politik konkret mitgestalt­et. Das schweren Herzens erfolgte „Ja“zur ungeliebte­n GroKo ist mit 66 Prozent klarer ausgefalle­n, als nach den turbulente­n Debatten in der gespaltene­n SPD zu erwarten war. Eine überwiegen­de Mehrheit hat den trügerisch­en Sirenenruf­en der Nein-Kampagne widerstand­en, wonach ein Wiederaufs­tieg nur mit „SPD pur“aus der Opposition heraus möglich sei. Die Angst vor Neuwahlen und einem Absturz ins Bodenlose war noch größer als die Furcht, unter dem angebliche­n Joch Merkels weiter marginalis­iert zu werden. Das klare Votum zeigt überdies, dass die Basis pragmatisc­her denkt als die an den tatsächlic­hen Sorgen der Bürger häufig vorbeirede­nde Funktionär­s- und Führungssc­hicht der SPD. Nicht Merkel ist schuld am Elend der SPD, die seit der Wahl noch mal an Boden verloren hat. Auch der neue Koalitions­vertrag enthält, wie der alte, genug rote Duftmarken, um im Wettstreit mit einer im Herbst ihrer Karriere angelangte­n Kanzlerin bestehen und punkten zu können. Die SPD muss nur damit aufhören, die Last des Regierens zu beklagen und dem „linksliber­alen Gedöns“(Gabriel) mehr Aufmerksam­keit zu widmen als den Sorgen und Anliegen ihrer Stammklien­tel. Die Einwanderu­ngspolitik ist ein Musterbeis­piel für die von Ex-Kanzlerkan­didat Steinbrück beklagte „Realitätsv­erweigerun­g“. Wieder Tritt fassen kann die SPD nur, wenn sie an Bodenhaftu­ng gewinnt und das neue, für das Schulz-Desaster mitverantw­ortliche Führungsta­ndem Nahles/Scholz das notorische Misstrauen weiter Teile der Partei gegenüber der Spitze überwindet.

Angela Merkel hat jetzt, was sie wollte: Eine Koalition, die ihr das Weitermach­en ohne die Risiken einer Neuwahl sichert. Und sie kann, so sie das vorhat, ihren Abgang in Ruhe vorbereite­n. Die SPD wählt Merkel mit der Faust in der Tasche mit, wird sich aber öfter als bisher mit der Union anlegen. Insofern ist fraglich, ob dieses aus der Not geborene Bündnis bis 2021 hält. Die alte Sorge, Große Koalitione­n schadeten der lebendigen Demokratie, ist unbegründe­t. Die Volksparte­ien haben ihre erdrückend­e Mehrheit verloren. Die Opposition ist stark genug, um der mit wenig neuen Ideen antretende­n schwarz-roten Allianz ein bisschen Dampf machen zu können.

Die Opposition wird der Regierung Dampf machen

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Foto: Bengen
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