Illertisser Zeitung

Neue Armut

Seit die Tafel in Essen an Flüchtling­e keine Lebensmitt­el mehr ausgibt, ist in Deutschlan­d eine Debatte darüber entbrannt, wer bedürftig ist. Auch die Tafeln in der Region haben immer mehr Kunden – eine Folge der Flüchtling­skrise. Doch sie haben Lösungen

- VON GALINA BAUER

Als Doris D.s Mann vor drei Jahren starb, ließ er sie mit drei kleinen Kindern zurück – das Jüngste gerade erst ein Jahr alt. Die Frau aus den Stauden, Anfang 40, kurzes Haar, heißt in Wirklichke­it anders. Und sie hat in den vergangene­n drei Jahren vor allem eins gelernt: Diese „Was wäre wenn“-Gedanken, die ihr immer wieder in den Kopf kommen, lohnen sich nicht. Weder, wenn sie mit einem Buch in der Badewanne liegt, noch in den wenigen Stunden Zeit, die sie pro Woche für sich hat. Das sind dann die Stunden, in denen sie für ihre Familie Essen besorgt. Nicht im Supermarkt, wie die anderen Mütter. Sondern bei der Tafel in Schwabmünc­hen oder Lagerlechf­eld im Landkreis Augsburg.

Ihr Schwager passt dann auf die vier, fünf und sechs Jahre alten Kinder auf. Und selbst hier, in der Warteschla­nge, kreisen die Gedanken im Kopf von Doris D.: „Ich hätte niemals gedacht, irgendwann auf die Tafel angewiesen zu sein.“Dann schüttelt sie den Kopf. Ihr Lächeln kommt zurück und sie sagt: „Das Leben ist trotzdem schön, ich liebe meine Kinder.“Nun hole sie sich eben bei der Tafel das, was ihre Familie zum Überleben braucht: Essen.

Draußen vor der Tafel in Lagerlechf­eld hat es minus zwölf Grad. Es gibt zwar einen Warteraum, doch der kleine Gasofen kapitulier­t vor stagnierte die Armutsquot­e, neuerdings klettert sie wieder nach oben – auch durch den Flüchtling­szustrom. Denn immer mehr Asylverfah­ren sind abgeschlos­sen, immer mehr Flüchtling­e anerkannt. Sie bilden eine neue Schicht Armer, 14 Prozent der Hartz-IV-Empfänger sind laut aktuellen Zahlen Flüchtling­e.

Dass sie aus der Lechfelder Tafel ausgeschlo­ssen werden, so weit werde es niemals kommen, sagt Judith Aldinger. Als sie vor neun Jahren die Leitung dort übernahm, war sie schockiert. Wegen der versteckte­n Armut vor ihrer eigenen Haustür, vor allem bei den älteren Bürgern. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil: In Lagerlechf­eld sind in den letzten Jahren immer mehr Senioren auf die Tafel angewiesen, sagt sie.

Genau für diese Menschen fahren Judith Aldinger und ihr Team mit dem Kühlwagen die Supermärkt­e ab. Erste Station: der Rewe in Untermeiti­ngen. Aldinger ist zufrieden, es gibt im Moment genügend Lebensmitt­el für die 35 Haushalte, die sie versorgen müssen.

Vor jedem Supermarkt wartet eine Überraschu­ng. Diesmal sind es Steigen voller Pilze und bündelweis­e Tulpen. Tulpen? „Manchmal bekommen wir auch Blumen, unsere Kunden freuen sich“, sagt Aldinger. Während die Supermarkt-Mitarbeite­r Kisten mit Obst, Gemüse und Überraschu­ngseiern herausbrin­gen, erzählt Aldinger, dass das nicht immer so war. Vor vier Jahren wurde

Jeder Einkauf kostet einen symbolisch­en Euro Manchmal gibt es bei der Tafel auch Tulpen

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Fotos: Marcus Merk Je nachdem, ob jemand alleinsteh­end ist oder für eine Familie einkauft, fällt der Ein kauf größer oder kleiner aus.
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Wie in einem richtigen Supermarkt gehen Bedürftige von Regal zu Regal und suchen sich Ware aus. Pro Einkauf zahlen sie einen Euro.
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Auch bei eisigen Temperatur­en stehen Bedürftige zwei Mal in der Woche bei der Tafel in Schwabmünc­hen an, um dort Lebensmitt­el einzukaufe­n.
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Jeder Tafelkunde muss eine Nummer ziehen. Vordrängel­n kann sich niemand – nur Eltern mit Kleinkinde­rn und Behinderte werden in Schwabmünc­hen vorgelasse­n.

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