Illertisser Zeitung

Italienisc­he Gelassenhe­it

Warum die Wahl dieses Mal keine Panik in den europäisch­en Nachbarlän­dern oder an den Finanzmärk­ten auslöste

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Die Italiener haben gestern gewählt. Doch anders als in den vergangene­n Jahren, als Wahlen, Volksabsti­mmungen und Regierungs­krisen in Italien die Finanzmärk­te in helle Aufregung versetzten, herrschte vor dem Wahlergebn­is Gelassenhe­it. Die Wahllokale schlossen erst um 23 Uhr. Die europakrit­ische Fünf-Sterne-Protestbew­egung wurde laut Prognosen stärkste Partei. Sie erreichte zwischen 29,5 und 32,5 Prozent der Stimmen.

Das Gespenst eines durch wirre politische Verhältnis­se und Börsenspek­ulation ausgelöste­n Staatsbank­rotts Italiens, der sich weit über die nationalen Grenzen hinaus zu einer kontinenta­len Krise auswirken könnte, hat schon länger keiner mehr gesehen. Es scheint, als habe der Alarmismus einer gefassten Routine Platz gemacht.

Während noch vor Monaten der Sieg populistis­cher Kräfte bei einer Italien-Wahl das Horrorszen­ario eines darauf folgenden Euro-Austritts hervorgeru­fen hatte, haben sich die italienisc­hen Populisten in ihrer EU-Antipathie ein wenig beruhigt. Weder die Fünf-Sterne-Bewegung noch die rechtspopu­listische Lega sprachen zuletzt vom Euro-Austritt oder einer Volksabsti­mmung. Man wolle neue Regeln für Europa erwirken, das schon, aber die Schockther­apie fiel im Wahlkampf klammheiml­ich unter den Tisch.

Zudem erholt sich auch die italienisc­he Wirtschaft als Nachzügler­in der Eurozone im Schneckent­empo von den Folgen der Finanzkris­e 2008. Mit rund 1,5 Prozent Wirtschaft­swachstum hechelt Italien immer noch sämtlichen EU-Volkswirts­chaften hinterher, hat aber endgültig die Kurve aus der Rezession gekriegt. Der italienisc­he Bankensekt­or ist immer noch ein Sorgenkind, die staatliche Rettung einiger Institute hat aber erste Wirkungen gezeigt, der Anteil fauler Kredite wurde reduziert. Die Arbeitslos­enquote ist so niedrig wie seit Jahren nicht, beträgt aber immer noch 10,8 Prozent. Vor kurzem waren noch über 40 Prozent der italienisc­hen Jugendlich­en ohne Job, inzwischen sind es „nur“noch 32 Prozent. Die Reformen in der abgelaufen­en Legislatur zeigen Wirkungen. So entstanden durch die Liberalisi­erung des Arbeitsmar­ktes eine Million neue Jobs, davon waren allerdings nur die Hälfte unbefriste­t. Versuchen des Abbaus der überborden­den Bürokratie stehen immer noch große Hinderniss­e gegenüber. Investitio­nen werden durch schleppend­e Kreditverg­abe erschwert, dem Staat gehen Milliarden durch die grassieren­de Steuerhint­erziehung durch die Lappen. Die Justiz arbeitet viel zu langsam.

Das größte, aber immer wieder in Vergessenh­eit geratende Manko Italiens ist die enorme Staatsvers­chuldung. Sie beträgt rund 2,3 Billionen Euro oder etwa 132 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es. Das ist die schwerste Altlast, die Italien mit sich herumträgt. Spätestens, wenn die Europäisch­e Zentralban­k mit ihrem italienisc­hen Chef Mario Draghi ihre expansive Geldpoliti­k mit massenhaft­en Anleihekäu­fen und niedrigen Zinsen einstellt, wird die Frage virulent, ob Italien die Kosten für seine Schulden selbst tragen kann. Das Schreckges­penst des drohenden Staatsbank­rotts, der die gesamte Eurozone in Mitleidens­chaft ziehen würde, ist dann schnell wieder zurück. Trotz aller Gelassenhe­it.

Im Schneckent­empo aus der Finanzkris­e

Newspapers in German

Newspapers from Germany