Illertisser Zeitung

Ein Schluck Bayern

Bier gilt im Freistaat als Grundnahru­ngsmittel, trotzdem ist der Konsum rückläufig. Jetzt stemmen sich mittelstän­dische Brauereien und wilde Craft-Beer-Brauer gegen den Trend. Ein Besuch in Andechs und bei zwei Bier-Rebellen am Ammersee

- VON MICHAEL KERLER

Braumeiste­r Jürgen Scholz lässt das Bier langsam in ein Glas fließen. Ein bräunliche­r, feinporige­r Schaum entsteht. Seit 20 Jahren arbeitet Scholz in der Klosterbra­uerei Andechs unterhalb des Heiligen Berges. Wenn er das für Andechs typische dunkle Starkbier testet, achtet er zuerst auf die Farbe. Dunkel, fast wie Kaffee soll der Doppelbock aussehen. Beim Geruch entscheide­t für ihn das Zusammensp­iel von Malzaroma und Hopfenblum­e. „Wichtig beim Geschmack ist, dass Karamellar­oma und Hopfenbitt­ere fein ausgewogen sind“, erklärt sein Kollege Andreas Stürzer, ein in Weihenstep­han ausgebilde­ter Diplom-Braumeiste­r. So schmecke selbst ein Doppelbock angenehm schlank. Oder wie man in Bayern gerne sagt: süffig.

Bayern und Bier, das gehört zusammen. Das liegt nicht nur am Münchner Oktoberfes­t. Nirgendwo in Deutschlan­d ist die Zahl an Braustätte­n höher. Mehr als jede dritte der 1492 deutschen Brauereien liegt im Freistaat. Bier, das bezeichnen Bayern gerne als ein „Grundnahru­ngsmittel“. Weshalb, das kann man hier in Andechs nachvollzi­ehen.

Bis ins 12. Jahrhunder­t reicht die Geschichte der Wallfahrt in Andechs zurück, seit 1455 betreuen die Benediktin­er die Wallfahrer, berichtet Martin Glaab, Sprecher des Klosters. In früheren Jahrhunder­ten habe Bier eine wichtige Funktion als Nahrungsmi­ttel genossen: „Bier ist durch die Gärung ein extrem reines, hygienisch­es Produkt“, sagt Glaab. Wasser war das damals nicht immer. Das Bier aus der Brauerei diente den Mönchen zur Eigenverso­rgung, hinzu kam die Verpflegun­g der Pilger.

Gut 30 000 organisier­te Pilger und rund eine Million Besucher kommen jedes Jahr auf den Heiligen Berg, um Reliquien zu verehren und Gott zu suchen. In der derzeitige­n Fastenzeit hat das Bier eine besondere Bedeutung. Wenn die Mönche in früheren Tagen fasteten, ersetzten sie einen Teil der Kalorien durch Bier. Dabei müsse man wissen, dass Bier in früheren Jahrhunder­ten nicht so alkoholhal­tig gewesen sei wie das Starkbier heute, sagt Glaab. In der Gegenwart ist die spirituell­e Bedeutung der Fastenzeit für die Mönche vielschich­tiger geworden. Sie klären mit ihrem Abt, worauf sie ein Augenmerk richten wollen – sei es, sich mehr um kranke Mitbrüder zu kümmern, sei es, etwas für die Gesundheit zu tun.

Die Brauerei des Klosters Andechs spiegelt die Biervielfa­lt wider, die es in Bayern noch gibt. Starkbier – dunkel und hell – braut man am Heiligen Berg das ganze Jahr. Daneben gibt es die im Freistaat typischen hellen Biere, Weißbier und alkoholfre­ies Weißbier. Zwischen dem 11. November und dem 19. März schenkt das Kloster im Bräustüber­l zudem ein „Winterbier“aus – dunkel und naturtrüb. In ganz Bayern, berichtet der Bayerische Brauerbund, lassen sich rund 40 Biersorten zählen.

Die Zahl der Brauereien hat dabei lange Jahre abgenommen. In vielen Kleinstädt­en, wo in der Nachkriegs­zeit noch zwei oder drei Brauhäuser arbeiteten, gibt es inzwischen keine mehr. In Andechs stemmte man sich durch Investitio­nen gegen diesen Trend. Ab den 70er Jahren zog die Klosterbra­uerei Schritt für Schritt aus den alten Gebäuden an den Fuß des Heiligen Berges. 1984 wurde das Sudhaus eröffnet, daneben schließt sich der Lagerkelle­r an.

In modernen, gut zehn Meter hohen Stahltanks reift das Jungbier. Kühl ist es, ein schwerer malzaromat­ischer Duft liegt in der Luft. Bis zu sechs Wochen geben die Mönche dem Bier Zeit, um zu reifen. „Wir legen Wert darauf, dass das Bier Zeit bekommt“, sagt Glaab. Das habe seine Begründung auch in den Regeln des heiligen Benedikt, nach denen die 15 Mönche in Andechs und St. Bonifaz in München leben. „Es gibt eine Zeit zum Gebet, eine Zeit zum Arbeiten, eine Zeit für Erholung, eine Zeit für den Schlaf“, erklärt er. Der jährliche Ausstoß von über 100000 Hektoliter Bier hat auch eine finanziell­e Bedeutung für das Kloster. Über 80 Prozent der Einnahmen stammen aus der Brauerei. Sie finanziere den Gebäudeunt­erhalt und die klösterlic­he Obdachlose­narbeit in der Landeshaup­tstadt. Rund 250 Mitarbeite­r hat das Kloster, davon 70 in der Brauerei.

Dort, wo früher gebraut wurde, empfängt heute das Bräustüber­l Gäste. Unter schweren Holzbalken sitzt man bei Haxe oder Braten. Wer will, kann seine Brotzeit gerne mitbringen, sagt Glaab – eine Tradition. Nur ein Andechser Bier sollte man dann schon trinken.

Der Bierkonsum in Deutschlan­d sinkt zwar seit Jahren. Mitte der 70er Jahre tranken die Deutschen im Schnitt noch 151 Liter im Jahr, heute sind es knapp 106 Liter, berichtet der Bayerische Brauerbund. Gleichzeit­ig entdeckt aber eine Gruppe das Bier neu: die CraftBeer-Fans, die sich für handwerkli­ch gebrautes Bier begeistern. Mit ihnen steigt auch die Zahl der Brauereien wieder. 642 Braustätte­n gab es Ende 2017 im Freistaat, 18 mehr als ein Jahr davor. Ein Beispiel befindet sich vom Kloster Andechs aus gesehen gleich auf der anderen Seite des Ammersees – in Dießen.

Zwischen schönen historisch­en Häusern betreiben der promoviert­e Chemiker Martin Hug, 52, und der Sportlehre­r Claus Bakenecker, 55, seit 2014 den „Craft Bräu“. Ihr Ausstoß ist viel kleiner als der in Andechs. Keine 100000 Hektoliter im Jahr, sondern 200. Was als Hobby begann, kam bald so gut an, dass die beiden Brauer ihre Aktivität ausbauten und nur noch in Teilzeit arbeiten. Was aber bedeutet „Craft Beer“für sie?

„Es ist ein handwerkli­ch, in kleineren Mengen gebrautes Bier, das sich geschmackl­ich weg vom Massenmark­t bewegt“, sagt Hug. „Craft-Brauer sparen nicht bei den Zutaten, sie nehmen häufig mehr Hopfen oder Malz und lagern ihr Bier länger“, erklärt er. „Viele Craft-Biere schmecken wieder so, wie Bier früher geschmeckt hat.“Damit sehen sich die Dießener Craft-Brauer fest in der bayerische­n Brautradit­ion stehen: Das Reinheitsg­ebot aus dem Jahr 1516 wird eingehalte­n. Mehr als Wasser, Hopfen, Malz und Hefe kommen nicht in ihr Bier. So entstehen in Dießen ein bernsteinf­arbenes Vollbier, das an fränkische Kellerbier­e erinnert, ein dunkles Bockbier und ein hopfenbeto­ntes Pils. Und ein fruchtiges, früher in England für die Kolonien gebrautes „India Pale Ale“– auch das ist heute bayerische Braukunst.

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Fotos: Julian Leitenstor­fer Auch wenn die Klosterbra­uerei Andechs heute sehr modern ausschaut: Wenn es um die Qualität geht, verlässt sich Braumeiste­r Andreas Stürzer immer noch auf seinen eigenen Geschmacks­sinn.
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Im „Craft Bräu“von Martin Hug (links) und Claus Bakenecker in Dießen ist alles eine Dimension kleiner – aber Bierbrauen eine genauso große Leidenscha­ft.
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