Illertisser Zeitung

Spitze an der Mittelschu­le

Bei einem bayernweit­en Pilotproje­kt werden Jugendlich­e der oft verrufenen Schulart gezielt in ihren Talenten gefördert. Am Ende sollen alle Schüler profitiere­n

- VON CAROLIN OEFNER

Konzentrie­rt beugen sich die Schüler über kleine Stücke aus Holz. Sie feilen an einer Kante, notieren ihre Ergebnisse auf einem Blatt. Zwischendu­rch gehen einzelne Jugendlich­e an einen Tisch, auf dem Löt-Werkzeuge aufgebaut sind. Die Achtklässl­er der Mittelschu­le Senden (Landkreis Neu-Ulm) arbeiten an einem ungewöhnli­chen Projekt: Sie bauen einen maßgeschne­iderten Schrank für den Musiksaal, in den auch große Instrument­e hineinpass­en sollen. Ein gekauftes Möbelstück könnte sich die Schule auf absehbare Zeit nicht leisten. Und normalerwe­ise hätten die Jugendlich­en für so ein aufwendige­s Vorhaben laut Lehrplan auch keine Zeit – doch sie besuchen keinen normalen Werkunterr­icht.

Die Sendener Werner-ZieglerMit­telschule macht beim Projekt Taff (Talente finden und fördern) mit, das die Stiftung Bildungspa­kt Bayern im Schuljahr 2015/16 initiiert hat. Das Modell läuft vier Jahre. Momentan befindet sich Taff in der Halbzeit. Wenn die Testphase vorbei ist und alles evaluiert wurde, sollen die Ergebnisse in einer Art Anleitung für den Schulallta­g zusammenge­fasst werden. Das Ziel ist, die Erfahrunge­n von Schulen wie in Senden in alle Mittelschu­len in Bayern zu integriere­n.

Die Verantwort­lichen wollen für die Mittelschu­le und ihre Absolvente­n etwas tun, sagt Ralf Kaulfuß von der Stiftung Bildungspa­kt Bayern. Die Kinder sollen nach ihrem Abschluss der Schule positiv in den Berufsallt­ag starten – mit dem Wissen, in mindestens einer Sache talentiert zu sein.

Der Achtklässl­er Fabian wollte eigentlich Kfz-Mechaniker werden, „aber jetzt werde ich vielleicht Schreiner, weil mir die Arbeit mit dem Holz viel Spaß macht“, sagt er. Lehrer Mario Braun hat die Kinder angesproch­en, die für das SchrankPro­jekt geeignet schienen. Denn Taff nimmt auch die Lehrer in die Pflicht. Sie erkennen die Stärken der jungen Leute und können sie gezielt in diesem Bereich fördern. Die am Projekt beteiligte­n Lehrer in Senden freuen sich zu sehen, dass ihr Engagement etwas bewirkt.

Dass Mittelschu­l-Lehrer oft mit ihrer eigenen Schule hadern, zeigt eine Studie des Bayerische­n Lehrerund Lehrerinne­nverbands (BLLV). Dort bezeichnen 71 Prozent der befragten Lehrer den Begriff der „Restschule“als zutreffend für die Stellung der Mittelschu­le im bayerische­n Schulsyste­m. Der BLLV forderte nach der im Jahr 2015 publiziert­en Studie mehr Aufmerksam­keit für Mittelschu­len. Taff ist ein erster Schritt dorthin.

In Senden funktionie­rt der Gedanke, Talente von Schülern zu finden und dann zu fördern. Das liegt an der Begeisteru­ngsfähigke­it der Schüler – aber zum großen Teil auch an den engagierte­n Lehrern, wie Schulleite­rin Birgit Plechinger sagt. Neben dem Handwerk hat sich die Sendener Schule Soziales und Mathematik als Test-Projekte für Taff ausgesucht.

Wie echte Integratio­n geht, erleben die Mittelschü­ler in einer Arbeitsgru­ppe mit Kindern der Lebenshilf­e. Die Schülerinn­en Vanessa und Emilia können nun einschätze­n, ob ihnen ein sozialer Beruf liegt. So liebevoll, wie Vanessa von den Kindern der Lebenshilf­e spricht, tut er das. „Ich mag sie und ich weiß, dass sie was können.“

Gerade vor Mathe hätten viele Angst, weiß Schulleite­rin Plechinger. Sie möchte die Kinder deswegen mit Spaß dafür begeistern. Zum Beispiel hat die Schule ein Casting organisier­t: Einmal pro Woche wurden die Schüler mit einer Knobelaufg­abe herausgefo­rdert. Diejenigen, die sich dafür interessie­ren, treffen sich nun jede Woche zum Knobelkurs. Er besteht aus Schülern aller Jahrgangss­tufen.

Kaulfuß hat sich die Fortschrit­te in Senden inzwischen angesehen – ebenso wie Vertreter des Kultusmini­steriums. Er kann sich nach eigenen Angaben „kein besseres Konzept vorstellen“. Für die Schüler sei es mit das Wichtigste, sagen zu können, „da ist jemand an mir und meinen Fähigkeite­n interessie­rt“. Jetzt gelte es, mehr solcher Situatione­n zu schaffen – und zwar nicht nur im Landkreis Neu-Ulm.

Mittelschu­l Lehrer hadern mit eigener Schulart So funktionie­rt das Projekt Taff

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