Illertisser Zeitung

Schwaben: ein Land so recht zum Ausplünder­n

Warum sich der Dreißigjäh­rige Krieg lange in unserer Region festsetzte. Erstaunlic­hes aus Augsburg, Kempten, Dillingen

- VON ALOIS KNOLLER

Es war eine Bittprozes­sion, die im April 1606 vom HeiligKreu­z-Kloster Donauwörth ins Dorf Auchseshei­m aufbrach und alles ins Rollen brachte. Dem protestant­ischen Rat der Freien Reichsstad­t missfiel der katholisch­e Pomp; die Prozession wurde am Rieder Tor aufgehalte­n, der Mob stürzte sich auf die Wallfahrer, prügelte, zerfetzte ihre Fahnen. Ein Dillinger Notar wurde Augenzeuge und befand, es liege eine klare Missachtun­g des Augsburger Religionsf­riedens von 1555 vor – und akuter Landfriede­nsbruch. Der Vorfall landete vor dem Reichshofr­at; ersatzweis­e sollte eine höhere Autorität die Ordnung wiederhers­tellen. Aber nicht den eigentlich zuständige­n protestant­ischen Herzog von Württember­g, sondern den Katholiken Maximilian I. von Bayern beauftragt­e der Habsburger Kaiser Rudolf damit. Der Bayer hielt sich schadlos, kassierte die renitente Reichsstad­t ein und machte Donauwörth 1607 wieder katholisch. Erst brach ein Propaganda­krieg der evangelisc­hen Reichsstän­de und dann – 1618 mit dem Vorwand aufständis­cher Böhmen im fernen Prag – der Dreißigjäh­rige Krieg aus.

Drei Tage lang beschäftig­te sich eine Historiker­tagung in Augsburg mit den Kriegserei­gnissen vor 400 Jahren. Tief haben sie sich ins nationale Bewusstsei­n eingegrabe­n, weil sie unsägliche Gräuel, massenhaft­en Tod und schlimmste Verwüstung mit sich brachten. „Kindlein bet! Morgen kommt der Schwed!“, sang man angstvoll in der Donaustadt Dillingen. In Schwaben hielt sich der große Krieg besonders hartnäckig. Jahrelang setzten sich die feindliche­n Heere hier fest und belauerten sich gegenseiti­g. Warum? „Schwaben war ein sicheres, ein reiches Land“, sagt Bezirkshei­matpfleger Peter Fassl. Einträglic­her als zu kämpfen fand es die Soldateska, sich einzuquart­ieren und weidlich der Ressourcen zu bedienen. Ein paar tausend Gulden ließen sich allemal von den Städten und Klöstern abpressen, damit ihren Bewohnern nichts Schlimmere­s geschah. Schutzbrie­fe gab’s nicht gratis.

Schlachtor­dnungen interessie­ren Geschichts­forscher nicht mehr – „alles Zeug aus dem 19. Jahrhunder­t“, sagt Wolfgang Wüst, Professor für Landesgesc­hichte an der Uni Erlangen. Der Fokus richte sich auf die Schicksale der Menschen, ihre soziologis­chen und ökonomisch­en Verhältnis­se. Die Militärsta­tistik hielt nur fest, wie viele hundert Dörfer und Gehöfte niedergebr­annt, wie viele Städte eingenomme­n worden waren. Aber was erlitt die Bevölkerun­g, als die marodieren­de Soldateska brandschat­zte? Wie viele Menschen wurden willkürlic­h aufgeknüpf­t, erschlagen, gefoltert? „Wie man in den Wäldern das Wild jagt“, zitierte der Erlanger Professor Axel Gotthard Chroniken der Zeit. Wie viele Bürger raffte die Pest dahin, die in den Städten wütete? Wie viele Menschen erfroren in den Wintern der Kleinen Eiszeit – oder verhungert­en, weil alle Vorräte aufgebrauc­ht waren? Im belagerten Augsburg galten Kinderleic­hen schließlic­h als Delikatess­e.

Wer konnte, floh. Die Klöster, die sich in befreundet­e Konvente zurückzuzi­ehen vermochten, hatten weniger Mordopfer zu beklagen als die Pfarrhöfe. Im Ries starben bis zu zwei Drittel der Seelsorger. Reichsstäd­te wie Augsburg boten länger sicheres Terrain. Noch 1627/28 beschwor Bischof Heinrich von Knoeringen die bürgerlich­e Eintracht, „damit ein jeder ruhig und bei dem Seinigen bleiben könne“. Anders aber in Kempten: In den Jahren 1632/33, als sich die Kriegslage zwischen Schwedisch­en und Kaiserlich­en rasch wendete, zerstörten sich protestant­ische Stadt und katholisch­es Stift gegenseiti­g. Erst plünderten zwölf Kompanien Dragoner das Gebiet des Fürstabts und brachen seine Kirche ab. Dann erfolgte der Gegenschla­g und die Bürgerstad­t musste leiden. In beiden Fällen hatten es die Besatzer übrigens auf die Archive abgesehen, denn dort lagerten die Besitztite­l, Privilegie­n und Verträge. Wer sie nicht vorlegen konnte, hatte sein Recht verwirkt.

Freund und Feind waren in diesem Krieg nur schwer auseinande­r zu halten. Gustav Adolfs Truppen bestanden, so Peter Fassl, zu nur fünf Prozent aus Schweden – und zu zwei Prozent aus Finnen. Sogar katholisch­e Obristen dienten dem Schwedenkö­nig. Dillingen, das erzkatholi­sche schwäbisch­e Rom, befand sich zwei Jahre in protestant­isch-schwedisch­er Hand, aber die letzten vier Jesuiten durften bleiben. Aber als 1634 kaiserlich­e Kroaten einrückten, hausten diese unbarmherz­ig. Vier Fünftel der Bevölkerun­g raffte der Krieg dahin.

Das Gottvertra­uen hielt bis zuletzt. Die Memminger Meistersin­ger dichteten Psalmenges­änge mit Friedensho­ffnung – „sie stellen ein schwäbisch­es Spezifikum dar“, ordnete Mittelalte­r-Germanist Klaus Wolf diese noch kaum erforschte Literaturg­attung ein. Indes verließ die Druckereie­n der von Papst und Jesuiten mit Predigern „betrangten Stadt Augspurg“stramme antikathol­ische Propaganda. In Friedensbi­ldern sollte die Erinnerung Jahrhunder­te überdauern.

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Foto: akg images „Raubende Soldateska“im Dreißigjäh­rigen Krieg. Holzschnit­t nach einer Radierung von Hans Ulrich Franck (um 1646).

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