Genossen wollen mit der Groko leben
Auch wenn so manches SPD-Mitglied in der Region mit dem Regierungsbündnis haderte – nach der Abstimmung will man nach vorne blicken. Und da gibt es einiges zu tun
Eine Ulmerin gehörte am Sonntag bei Journalisten aus ganz Deutschland zu den gefragtesten Gesprächspartnern: Hilde Mattheis ist nach Juso-Chef Kevin Kühnert die Galionsfigur der No-Groko-Bewegung. Die 63-jährige Vorsitzende des innerparteilichen Forums Demokratische Linke hätte sich das Ergebnis der SPD-Mitglieder-Befragung freilich anders vorgestellt. Katerstimmung herrschte auch in so manchem Ortsverein, wie etwa in Illertissen. „Das ist natürlich nicht in meinem Sinne“, sagte Vorsitzender Kasim Kocakaplan, ein überzeugter Koalitionsgegner. In dem 51 Mitglieder starken Verein hatte er so manchen Mitstreiter: Das zeigte sich im Dezember, als die Genossen einen Brief an den damaligen Parteichef Martin Schulz schickten. Ihre Botschaft: lieber in die Opposition. Nun haben die Mitglieder bundesweit anders entschieden. Enttäuscht oder gar verärgert sei er deshalb nicht, sagt Kocakaplan. „Es ist ein demokratischer Entschluss und den werden wir akzeptieren.“
Genauso sieht das Mattheis – doch man stehe vor Herausforderungen: Eine dringend notwendige inhaltliche und personelle Erneuerung der SPD werde als Juniorpart- der Union „noch schwieriger“. Die Frage, ob die designierte Parteivorsitzende Andrea Nahles aus ihrer Sicht dafür die richtige sei, will die Ulmerin nicht beantworten. „Sie wird nun beweisen müssen, dass sie für Erneuerung steht.“
Ganz anders ist die Gemütslage bei zwei bekannten Sozialdemokraten aus dem Kreis Neu-Ulm. Der Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Karl-Heinz Brunner sowie Antje Esser, die Vorsitzende der SPD-Kreistagsfraktion, geben sich beide „sehr erleichtert“über das Votum der Partei. Esser kann die Argumentation der Gegner einer Großen Koalition „überhaupt nicht nachvollziehen“. Die Sozialdemokratie würde, so Esser, ein jämmerliches Bild abgeben, wenn sie Regierungsverantwortung ablehnen würde. „Wir können uns doch nicht erst zur Wahl stellen und dann sagen, wir sind ausgebrannt, wir können leider nicht regieren.“
Und das Argument, dass eine Große Koalition der Demokratie schade, sei auch nicht mehr zutreffend, so Esser. Mit den Grünen, der FDP, der Linken und der AfD gebe es eine Vielzahl an Parteien, die Oppositionsarbeit machen. Wenn die SPD es jetzt nicht schaffe, über Regierungsarbeit Vertrauen zurückzugewinnen, „braucht die Partei sowieso niemand“.
Kreischef Brunner ist froh, dass sich mit über 66 Prozent eine deutliche Mehrheit für die Koalition ausgesprochen hat. „Das dient der Befriedung der Partei.“Brunner, der zuletzt die Werbetrommel für das Bündnis mit der Union gerührt hatte, glaubt, dass die Stimmung im Kreis etwa der im Bund – also ProGroko – entspreche.
Die Vorsitzende des Juso-Kreisverbands, Seija Knorr, glaubte nach eigenen Angaben zuletzt nicht mehr an den Erfolg der No-Groko-Bewegung. Die Stimmung in den Ortsner vereinen außerhalb der Jungsozialisten sei ziemlich eindeutig gewesen. An einen Austritt aus der Partei denkt die erklärte Gegnerin der Großen Koalition und Bezirkstagkandidatin deswegen aber nicht. „Die werden mich so schnell nicht wieder los.“Sie sei in die Partei eingetreten, um zu gestalten und das werde sie weiter tun. Die SPD müsse mehr Politik für abhängig beschäftigte Menschen am Ende der Nahrungskette machen.
Das will auch Kocakaplan in Illertissen tun: Bei dem anstehenden Wahlkampf zur Landtagswahl will er seine Partei und deren Ziele mit zahlreichen Infoständen in der Vöhlinstadt nach Kräften unterstützen. Jetzt gelte es, die Inhalte der SPD den Bürgern „rüberzubringen“. Es müsse klar werden, was die Partei will, aber auch, wie sie sich dadurch von den politischen Mitbewerbern abgrenze. Kocakaplan hofft, dass es gelingt, in der nun wohl anstehenden Großen Koalition, die „Handschrift der SPD“herauszustellen.
Ein Ziel, das die Genossen auch in Illertissen verfolgen: Dort starteten sie eine Initiative für mehr sozialen Wohnraum. Ihre Forderung nach einem festen Prozentsatz fand im Stadtrat zwar keine Mehrheit. „Aber wir haben es geschafft, das Thema zu positionieren“, sagt Kocakaplan.