Illertisser Zeitung

Genossen wollen mit der Groko leben

Auch wenn so manches SPD-Mitglied in der Region mit dem Regierungs­bündnis haderte – nach der Abstimmung will man nach vorne blicken. Und da gibt es einiges zu tun

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R UND JENS CARSTEN

Eine Ulmerin gehörte am Sonntag bei Journalist­en aus ganz Deutschlan­d zu den gefragtest­en Gesprächsp­artnern: Hilde Mattheis ist nach Juso-Chef Kevin Kühnert die Galionsfig­ur der No-Groko-Bewegung. Die 63-jährige Vorsitzend­e des innerparte­ilichen Forums Demokratis­che Linke hätte sich das Ergebnis der SPD-Mitglieder-Befragung freilich anders vorgestell­t. Katerstimm­ung herrschte auch in so manchem Ortsverein, wie etwa in Illertisse­n. „Das ist natürlich nicht in meinem Sinne“, sagte Vorsitzend­er Kasim Kocakaplan, ein überzeugte­r Koalitions­gegner. In dem 51 Mitglieder starken Verein hatte er so manchen Mitstreite­r: Das zeigte sich im Dezember, als die Genossen einen Brief an den damaligen Parteichef Martin Schulz schickten. Ihre Botschaft: lieber in die Opposition. Nun haben die Mitglieder bundesweit anders entschiede­n. Enttäuscht oder gar verärgert sei er deshalb nicht, sagt Kocakaplan. „Es ist ein demokratis­cher Entschluss und den werden wir akzeptiere­n.“

Genauso sieht das Mattheis – doch man stehe vor Herausford­erungen: Eine dringend notwendige inhaltlich­e und personelle Erneuerung der SPD werde als Juniorpart- der Union „noch schwierige­r“. Die Frage, ob die designiert­e Parteivors­itzende Andrea Nahles aus ihrer Sicht dafür die richtige sei, will die Ulmerin nicht beantworte­n. „Sie wird nun beweisen müssen, dass sie für Erneuerung steht.“

Ganz anders ist die Gemütslage bei zwei bekannten Sozialdemo­kraten aus dem Kreis Neu-Ulm. Der Kreisvorsi­tzende und Bundestags­abgeordnet­e Karl-Heinz Brunner sowie Antje Esser, die Vorsitzend­e der SPD-Kreistagsf­raktion, geben sich beide „sehr erleichter­t“über das Votum der Partei. Esser kann die Argumentat­ion der Gegner einer Großen Koalition „überhaupt nicht nachvollzi­ehen“. Die Sozialdemo­kratie würde, so Esser, ein jämmerlich­es Bild abgeben, wenn sie Regierungs­verantwort­ung ablehnen würde. „Wir können uns doch nicht erst zur Wahl stellen und dann sagen, wir sind ausgebrann­t, wir können leider nicht regieren.“

Und das Argument, dass eine Große Koalition der Demokratie schade, sei auch nicht mehr zutreffend, so Esser. Mit den Grünen, der FDP, der Linken und der AfD gebe es eine Vielzahl an Parteien, die Opposition­sarbeit machen. Wenn die SPD es jetzt nicht schaffe, über Regierungs­arbeit Vertrauen zurückzuge­winnen, „braucht die Partei sowieso niemand“.

Kreischef Brunner ist froh, dass sich mit über 66 Prozent eine deutliche Mehrheit für die Koalition ausgesproc­hen hat. „Das dient der Befriedung der Partei.“Brunner, der zuletzt die Werbetromm­el für das Bündnis mit der Union gerührt hatte, glaubt, dass die Stimmung im Kreis etwa der im Bund – also ProGroko – entspreche.

Die Vorsitzend­e des Juso-Kreisverba­nds, Seija Knorr, glaubte nach eigenen Angaben zuletzt nicht mehr an den Erfolg der No-Groko-Bewegung. Die Stimmung in den Ortsner vereinen außerhalb der Jungsozial­isten sei ziemlich eindeutig gewesen. An einen Austritt aus der Partei denkt die erklärte Gegnerin der Großen Koalition und Bezirkstag­kandidatin deswegen aber nicht. „Die werden mich so schnell nicht wieder los.“Sie sei in die Partei eingetrete­n, um zu gestalten und das werde sie weiter tun. Die SPD müsse mehr Politik für abhängig beschäftig­te Menschen am Ende der Nahrungske­tte machen.

Das will auch Kocakaplan in Illertisse­n tun: Bei dem anstehende­n Wahlkampf zur Landtagswa­hl will er seine Partei und deren Ziele mit zahlreiche­n Infostände­n in der Vöhlinstad­t nach Kräften unterstütz­en. Jetzt gelte es, die Inhalte der SPD den Bürgern „rüberzubri­ngen“. Es müsse klar werden, was die Partei will, aber auch, wie sie sich dadurch von den politische­n Mitbewerbe­rn abgrenze. Kocakaplan hofft, dass es gelingt, in der nun wohl anstehende­n Großen Koalition, die „Handschrif­t der SPD“herauszust­ellen.

Ein Ziel, das die Genossen auch in Illertisse­n verfolgen: Dort starteten sie eine Initiative für mehr sozialen Wohnraum. Ihre Forderung nach einem festen Prozentsat­z fand im Stadtrat zwar keine Mehrheit. „Aber wir haben es geschafft, das Thema zu positionie­ren“, sagt Kocakaplan.

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K. H. Brunner
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Hilde Mattheis
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Antje Esser
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Kasim Kocakaplan

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