Wenn der Wildzaun zur Todesfalle wird
Engmaschige Barrieren stehen häufig länger im Wald, als sie eigentlich sollten. Auch im Unterallgäu. Dort hat ein Jäger Erschreckendes erlebt. Er kritisiert die Qualen eines Rehs und will auf ein Problem aufmerksam machen
Vor wenigen Tagen musste Manfred Heckl das Leben eines Rehs beenden. Normalerweise ist das für einen erfahrenen Jäger wie ihn keine außergewöhnliche Aufgabe, doch dieses Mal ist ihm der Fall nahegegangen. Nicht nur, weil das Tier zwei Junge im Bauch trug und es letztendlich drei Lebewesen waren, die keine Zukunft mehr vor sich hatten. Sondern auch, weil der Erlösung durch den Schuss aus seiner Waffe eine qualvolle Leidenszeit des Tieres vorausgegangen war, die in Heckls Augen nicht nötig gewesen wäre.
Alles beginnt damit, dass ein Landwirt zufällig ein Reh entdeckt hatte. Das Tier hatte sich in einem Zaun im Wald bei Pfaffenhausen verfangen und kam nicht mehr heraus. Er holte einen zweiten Bauern dazu und das entsprechende Werkzeug, um den Drahtzaun zu zerschneiden, und gemeinsam befreiten die beiden das verletzte Tier, schildert Heckl. Doch die Hilfe kam offenbar zu spät: Das Tier konnte nur noch auf den Vorderbeinen stehen, war wegen der Verletzungen durch den Drahtzaun hinten wie gelähmt und kam so „kriechend“nur noch wenige Meter weit, weshalb die Bauern ihn gerufen hätten, berichtet der Jäger. „Was bleibt einem dann übrig, als dass man’s erlöst?“, fragt Heckl. Er erwartet keine Antwort auf diese Frage.
Zäune wie denjenigen, in dem sich das Reh verfangen hatte, sieht man öfter in Wäldern. Forstkulturzaun lautet die offizielle Bezeichnung für diesen Schutz von jungen Bäumen im Wald. Ist dieser Schutz nicht mehr nötig, weil die Bäume groß genug sind, müssen die Zäune eigentlich wieder abgebaut werden, sagt Heckl – und das sei dort, wo sich das Reh verfangen hatte, der Fall gewesen. Die Bäume seien dort bereits acht bis zehn Meter hoch. Seine Meinung: „Der Zaun hätte weggehört.“
Zäune im Wald stehen in der Tat meist länger als es nötig wäre – das bestätigt Mindelheims Forstamtsleiter Rainer Nützel. Ob es im konkreten Fall bei Pfaffenhausen ebenso war, ließe sich aber aus der Ferne schlecht beurteilen, denn das sei von mehreren Faktoren abhängig, erklärt er. Grundsätzlich gibt es Regelungen für Zäune im Wald: Laut bayerischem Naturschutzgesetz sollte sich jeder frei im Wald bewegen dürfen. Ausnahmen gibt es zum Schutz von Forstkulturen. Die entscheidende Frage dabei: Wie lange brauchen die Bäume diesen Schutz?
Im Unterallgäu ist laut Nützel vor allem der Verbiss von Rehwild ein Thema. „Ab 1,30 Meter hat ein Reh schlechte Karten“, sagt er. Doch es kommt noch ein zweiter Faktor hinzu: Die Rehböcke reiben im Winter die Stelle, an der ihr neues Gehörn nachwächst, an junge Bäume – einerseits, um die Bastschicht am Kopf loszuwerden, andererseits, um ihr Gehörn durch die Farbe und den Geruch des Baumes „aufzupeppen“und damit für die Damenwelt attraktiver zu sein.
Besonders betroffen sind laut Nützel junge Bäume im mittleren Stammbereich, also bis etwa 1,20 Meter. Die Fichte sei eher weniger attraktiv, Lärche und Douglasie hingegen werden lange „verfegt“. Gerade die Douglasie mit ihrer silbriggrauen Farbe und ihrem zitronigen Geruch punktet bei den Tieren. Das Problem: Der Baum kann bereits sieben bis acht Meter hoch sein, aber immer noch einen Stammdurchmesser von zehn Zentimetern haben und damit anfällig für das „Fegen“sein. Die Baumhöhe allein sage also nichts darüber aus, ob ein Wildschutzzaun noch nötig sei oder nicht. Das sei auch der Grund, warum er über den konkreten Fall Pfaffenhausen nichts sagen könne, so Nützel.
Schwierig sei es oftmals auch, wenn die Bäume auf einer Fläche unterschiedlich alt seien – der Übergang zwischen einem noch nötigen und einem bereits unnötigen Zaun sei da fließend. Zudem spiele die Rehwilddichte in einem Gebiet eine Rolle. Grundsätzlich ist man beim Forstamt
Das Reh konnte nur noch auf den Vorderbeinen stehen
aber der Meinung, dass die wichtigsten Baumarten – etwa die Fichte – ohne Schutz auskommen sollten.
Der pragmatischste Weg, einen Zaun loszuwerden, der nicht mehr nötig sei, sei das Gespräch zwischen Jäger und Zaun- beziehungsweise Grundstücksbesitzer, findet Nützel. Doch er weiß auch, dass das nicht immer möglich ist. Theoretisch könnte man einen solchen Zaun auch an das Landratsamt als Untere Naturschutzbehörde melden, das dann wiederum das Forstamt um fachlichen Rat fragt und anschließend einen Bescheid versendet, wenn ein Zaun zu entfernen ist. Faktisch kommt das laut Nützel aber so gut wie gar nicht vor.
Jäger Manfred Heckl sagt, er habe vor, diesen Fall nun auch offiziell zu melden. Und selbst wenn er dieses eine Reh und seinen Nachwuchs nicht mehr retten konnte, so will er doch eines tun: Waldbesitzer darauf aufmerksam machen, dass sie kontrollieren sollen, ob ihre Zäune auch noch wirklich nötig sind. „Das passiert ja nicht nur an dieser Stelle, sondern auch anderswo.“
Ähnliches passiert auch anderswo