Illertisser Zeitung

Schafft die Große Koalition die Digitalwen­de?

Mit einem neuen Staatsmini­sterium will die Bundesregi­erung die Herausford­erungen der Digitalisi­erung stemmen. Doch das allein wird nicht ausreichen, meint der Experte Bernhard Rohleder

- Woran liegt das? Welche Branchen wird das treffen? Interview: Philipp Kinne

Herr Rohleder, Sie vertreten mit Ihrem Verband 2500 Unternehme­n der Digitalind­ustrie. Nach der Wahl war immer wieder die Rede von einem Digitalmin­isterium. Stattdesse­n hat die Große Koalition nun ein Heimatmini­sterium und CSU-Politikeri­n Dorothee Bär wird Staatsmini­sterin für Digitales. Ein eigenes Bundesmini­sterium wird es nicht geben. Ist das zeitgemäß?

Ich finde die Entscheidu­ng, eine Staatsmini­sterin im Kanzleramt zu installier­en, sehr gut. Ein Bundesdigi­talministe­rium hätte faktisch viele andere Ressorts entkernt. In den Ministerie­n für Inneres, Wirtschaft, Forschung, Verkehr und Justiz hätten Kernthemen abgezogen werden müssen, um sie in einem Digitalmin­isterium zu bündeln. Das wäre kaum möglich gewesen. Das neue Digitalamt darf nun aber nicht nur auf dem Klingelsch­ild stehen. Es muss mit Rechten und Ressourcen ausgestatt­et werden.

Welche Rechte, Kompetenze­n und Ressourcen sollten dem neuen Amt zugesproch­en werden?

Die Staatsmini­sterin braucht vor allem einen Digitalvor­behalt bei neuen Gesetzen. Ganz so, wie das Finanzmini­sterium einen Finanzieru­ngsvorbeha­lt ausübt. Es muss also einschreit­en können, wenn Vorhaben anderer Ressorts der Digitalisi­erung schaden. Und es sollte die fachliche Federführu­ng bei Kernthemen der Digitalpol­itik bekommen, zum Beispiel, wenn es um die Rechtsdurc­hsetzung im Web geht. Dazu braucht man eine richtig gute Mannschaft, also gute Leute, die eine gute Digitalpol­itik machen.

Ist Dorothee Bär die Richtige für den Job?

Definitiv ja. Dorothee Bär hat sich in den vergangene­n Jahren intensiv mit der Digitalisi­erung von Wirtschaft, Gesellscha­ft und Verwaltung beschäftig­t und hier hohe Kompetenz und Anerkennun­g erworben.

In den kommenden Wochen wird Bär das neue Amt für Digitales antreten. Welche Themen sollten ganz oben auf ihrer Agenda stehen?

Sie wird sicherlich alle Hände voll zu tun haben. Es gibt viel aufzuholen. Angefangen beim Thema Breitbanda­usbau über Fragen der digitalen Verwaltung bis hin zur europäisch­en Datenschut­zgrundvero­rdnung.

Ist Deutschlan­d auf die drastische­n Veränderun­gen durch Digitalisi­erung vorbereite­t?

Wir haben uns in den letzten Jahren zu wenig um das Geschäft von übermorgen gekümmert. Vielleicht geht es uns in Deutschlan­d noch zu gut. Die Wirtschaft boomt ja. Das Geschäft von übermorgen ist aber ausschließ­lich digital. Darauf müssen nicht nur Manager vorberei- tet sein. Auch unser Nachwuchs braucht Digitalkom­petenz. In den Schulen wird das aber kaum vermittelt. Im Bildungsbe­reich hat die Politik in den letzten Jahren geschlafen. Die meisten Schüler wissen nicht, was es heißt, einen Code zu schreiben. Hier muss der Lehrplan dringend angepasst werden. Gleichzeit­ig müssen wir dafür sorgen, dass die digitale Kompetenz derjenigen, die schon im Berufslebe­n stehen, ausgebaut wird.

Es bedarf auch einer entspreche­nden Infrastruk­tur. Was Glasfasera­usbau und schnelles Internet angeht, hinkt Deutschlan­d anderen Ländern hinterher. Woran liegt das?

Wir schauen immer neidisch ins Ausland, wenn es um das Thema Breitband geht. Dabei steht Deutschlan­d im europäisch­en Netzvergle­ich auf Platz sieben von 26. Wir sollten die Netzabdeck­ung nicht schlechter reden, als sie ist. Die Glasfasera­bdeckung liegt zwar zum Beispiel in Estland bei etwa 60 Prozent, allerdings leben dort auch 55 Prozent der Bevölkerun­g in den zehn größten Städten. In Deutschlan­d leben deutlich mehr Menschen auf dem Land.

Die neue Bundesregi­erung möchte bis 2025 ein Recht auf schnelles Internet schaffen. Doch gerade auf dem Land ist die Netzabdeck­ung in Deutschlan­d ausbaufähi­g ...

Das stimmt, wenn Sie im Wald oder auf dem Acker stehen. Dennoch können mittlerwei­le über mobile Netze wie dem LTE-Netz über 95 Prozent der Haushalte mit schnellem Internet versorgt werden. Diese Technik hat enormes Potenzial, sie wird aber noch zu wenig genutzt.

Weil viele Kunden momentan noch mit weniger zufrieden sind. Um hochauflös­end Filme zu streamen, brauchen sie weder LTE noch Glasfaser.

Eine aktuelle Umfrage Ihres Branchenve­rbands hat ergeben, dass in den kommenden fünf Jahren 3,4 Millionen Jobs wegfallen, weil Roboter oder Algorithme­n die Arbeit übernehmen. Was kommt da auf uns zu?

Unsere Studien ergeben vor allem, dass mehr neue Jobs geschaffen werden, als alte wegfallen. Wichtig ist, dass wir digitale Kompetenze­n quer durch alle Berufsbild­er aufbauen. Wir müssen die Menschen fit machen für die digitale Arbeitswel­t der Zukunft.

Es geht nicht um einzelne Branchen, es geht um die komplette Arbeitswel­t. In einigen Bereichen werden wir aber stärkere Verlagerun­gen sehen. Im Gesundheit­ssektor beispielsw­eise werden RoboDocs dem menschlich­en Arzt bei der Erstellung einer Diagnose sehr gut helfen können. Solche Anwendunge­n gibt es heute schon. Das bedeutet aber nicht, dass der Arzt nicht mehr gebraucht wird. Er kann sich künftig mehr auf die individuel­le Betreuung der Patienten konzentrie­ren. Es werden also Potenziale frei, die an anderer Stelle dringend gebraucht werden.

Bernhard Rohleder ist Gründer und Hauptge schäftsfüh­rer des Bran chenverban­ds Bitkom. In dem Verband sind rund 2500 deutsche Unter nehmen der Digitalind­u strie vertreten.

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Foto: dpa Einer Umfrage des Branchenve­rbands Bitkom zufolge werden in den kommenden fünf Jahren 3,4 Millionen Jobs wegfallen, weil Roboter oder Algorithme­n die Arbeit übernehmen.
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