Illertisser Zeitung

Die Oscars und der Ruf nach der Quote

Frances McDormand, die beste Hauptdarst­ellerin 2018, fordert bei der Preisverle­ihung im Dolby Theatre, dass Frauen und Minderheit­en bei Filmprojek­ten mehr Gewicht erhalten sollen

- VON THOMAS SEIBERT York Times New Los Angeles Times. Komplizen Film

Frances McDormand stellt ihren Oscar vor sich auf den Boden und gibt ihm einen Klaps auf den Kopf. Als Siegerin in der Kategorie der besten Hauptdarst­ellerin hat die Schauspiel­erin aus „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“bei der Oscar-Verleihung gerade ihre Dankesrede abgeliefer­t. Nun ist Zeit für ein paar ernste Worte. McDormand lässt alle Oscar-Kandidatin­nen im Saal des Dolby Theatres in Hollywood aufstehen, um auf den Reichtum weiblichen Talents in der Filmindust­rie aufmerksam zu machen. Dann prägt die Preisträge­rin den Begriff des Abends, den viele Gäste und Zuschauer an den Fernsehger­äten erst einmal erfragen müssen: McDormand fordert „Inclusion Rider“, also feste Frauen- und Minderheit­enquoten bei Filmprojek­ten.

Das Hauptthema dieser 90. Verleihung sind insgesamt nicht Stars und Filme, seit im Herbst der Skandal um den Produzente­n Harvey Weinstein bekannt wurde, der Schauspiel­erinnen reihenweis­e zum Sex gezwungen oder vergewalti­gt haben soll. Moderator Jimmy Kimmel spricht das Thema gleich bei seiner Begrüßung an. Die OscarStatu­e sei die Verkörperu­ng des idealen Mannes, sagt der Fernsehkom­iker: Oscar behalte seine Hände bei sich, sage kein Wort, und vor allem habe er keinen Penis. Doch mit Witzchen ist es nicht getan.

In der Show treten Schauspiel­erinnen auf, die nach eigenen Angaben Opfer von Weinstein sind. Eine von ihnen, Annabella Sciorra, wurde von Weinstein auf eine schwarze Liste gesetzt und bekam keine Rollen mehr. Schön, euch alle zu sehen, sagt sie bedeutungs­schwanger zur Begrüßung. „Ist ja schon lange her.“

Die von Frances McDormand geforderte­n Quoten sollen dafür sorgen, dass sich Grundsätzl­iches ändert. Große Stars sollen in ihren Verträgen auf Quoten bestehen, um die Studios auf diese Weise zu mehr Offenheit gegenüber Frauen und ethnischen Minderheit­en zu zwingen. Die Idee stammt von der kalifornis­chen Medienwiss­enschaftle­rin Stacy Smith: In einem durchschni­ttlichen Film gebe es rund 30 Rollen, bei denen unabhängig von den Notwendigk­eiten der erzählten Geschichte die demografis­che Wirklichke­it abgebildet werden könne.

Dass überhaupt über Quoten geredet werden muss, zeigt, wie viel in Hollywood noch zu tun ist. Der Drehbuch-Oscar für Jordan Peele beispielsw­eise, der Mann hinter „Get Out“, ist die erste Auszeichnu­ng dieser Art für einen Afroamerik­aner. Dass solch eine Wahl bis zur 90. Verleihung gedauert hat, ist kein Ruhmesblat­t für die Filmindust­rie. Und mehrmals wird während der Show auf den Action-Film „Black Panther“angespielt, der mit seinen vorwiegend schwarzen Darsteller­n derzeit alle Rekorde bricht – aber erst für die Oscars im nächsten Jahr infrage kommt.

Davon mal abgesehen wird in diesen Tagen wieder viel über die Frage gesprochen, welche Bedeutung die Oscars überhaupt noch haben. Die Einschaltq­uoten für die GlitzerSho­w sinken seit Jahren; laut

sind nur vier der 20 erfolgreic­hsten Filme der vergangene­n 30 Jahre mit einem Oscar als bester Film ausgezeich­net worden. Für viele Kinofans seien die Oscars einfach nicht mehr interessan­t, schreibt der Kritiker Jeffrey Fleishman in der Die Unterhaltu­ngsbranche sei längst atomisiert, Netflix, Amazon und Youtube neue Zuschauerm­agnete.

Großes Interesse an einem Oscar gab es zu später Stunde immerhin noch auf dem Governors Ball: Ein 47-Jähriger schnappte sich die Trophäe von McDormand, als diese gerade im Gespräch war. Ein Facebookvi­deo von seinem Clou gelang dem Dieb noch, dann wurde er festgenomm­en und der Oscar zurückgege­ben. Zu ergänzen bleibt: der Auslands-Oscar für den besten nicht englischsp­rachigen Film für die chilenisch­e Produktion „Eine fantastisc­he Frau“(Originalti­tel: „Una mujer fantástica“) von Sebastián Lelio. Dabei gibt es eine deutsche Beteiligun­g: Die Berliner Produktion­sfirma fungiert als CoProduzen­t. Bei der Berlinale 2017 gewann der Film einen Silbernen Bären für das beste Drehbuch.

 ?? Foto: afp ?? Der mexikanisc­he Regisseur Guillermo del Toro (l.) erhält für „The Shape of Water“zwei Oscars – hier aus der Hand von Faye Dunaway und Warren Beatty.
Foto: afp Der mexikanisc­he Regisseur Guillermo del Toro (l.) erhält für „The Shape of Water“zwei Oscars – hier aus der Hand von Faye Dunaway und Warren Beatty.
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Foto: Getty Images Mit der besten Hauptdarst­ellerin Frances McDormand

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