Illertisser Zeitung

„Ich bin demütig“

Roger Federer über sein Erfolgsgeh­eimnis, mit 36 Jahren die Nummer eins der Tenniswelt zu sein, über Olympia 2020 und was dem Deutschen Alexander Zverev fehlt

- Gibt es noch etwas? Wie haben Sie das geschafft? Was ist Ihr Erfolgsgeh­eimnis? Haben Sie noch sportliche Ziele? Interview: Christoph Schillingm­ann

Herr Federer, welchen Stellenwer­t hat es für Sie, die älteste Nummer eins aller Zeiten zu sein?

Das bedeutet mir viel. Aber noch mehr ist die Nummer eins zu sein ein Dank an die Mannschaft und die Coaches über all die Jahre. Sie haben mich nach vorne gepusht, sie haben mir geholfen, sie haben mich inspiriert und motiviert. So ist es für alle noch mal ein Moment, bei dem man ganz oben auf dem Treppchen ist. Das ist schon ganz speziell. Es ist ein Rekord.

Und das ist nicht der erste Rekord in diesem noch jungen Jahr. War der 20. Grand-Slam-Titel in Melbourne etwas Besonderes für Sie?

Im letzten Jahr in Australien musste ich so hart für den Titel kämpfen, da ist der Zusammenbr­uch vor Freude nach der Zeremonie gekommen, als ich meine Freunde und Familie gesehen habe. In diesem Jahr bin ich vergleichs­weise locker ins Finale gekommen, nachdem das Halbfinale nach eineinhalb Sätzen abgebroche­n wurde. Im Finale war ich im Gegensatz zum Vorjahr der Favorit. Als es dann vorbei war, hat sich der Druck entladen. Ich hatte es geschafft. Es war ein wunderbare­s Gefühl.

Wie lange hält so ein Glücksgefü­hl an?

Im vergangene­n Jahr sehr lange. Von Australien bis mehr oder weniger Wimbledon. Und dann wieder von Wimbledon bis Australien. Ich habe das Jahr als sehr kurz empfunden. Natürlich brauchte ich die Siege in Schanghai, Miami, Indian Wells, Halle und Basel, die mich diese Welle weiter haben reiten lassen.

Schielen Sie noch auf andere Bestmarken?

Entweder es passiert, oder es passiert nicht. Ich habe jetzt aber nicht irgendwelc­he Rekorde, die mich beschäftig­en.

Was reizt Sie, weiterhin auf diesem Niveau zu spielen?

Das kann man nicht auf einen Punkt bringen. Vielleicht es sich selbst zu beweisen, dass man nach 15 Jahren immer noch Titel holen kann. Die Freude, vor einem Publikum antreten zu dürfen. Wie oft das noch so sein wird, ist schon seit mehreren Jahren ungewiss. Denn ich gehe Jahr für Jahr. Der Spaß am Training. Die Siege gegen die Topspieler und die Vorbereitu­ng auf die ganz großen Turniere, die mir wichtig sind und mir immer wichtiger werden.

Dann schaue ich, ob ich mich in irgendwelc­hen Formen immer noch weiterentw­ickeln kann. Den Input, den ich über all die Jahre von meinen Coaches bekommen habe, versuche ich auszuprobi­eren und umzusetzen. Ich habe das Gefühl, dass ich heute anders spiele als vielleicht noch vor drei, vier Jahren. Nach der Verletzung 2016 sowieso. Das war wie eine Unterbrech­ung, eine Neuorienti­erung.

Sie waren in dem Jahr sehr lange verletzt. Hatten Sie Zweifel, das Topniveau wieder zu erreichen?

Ja, das ist aber total normal. Die Zweifel, ob ich noch mal zurückkomm­e, waren schon da und auch berechtigt. Aber die Angst, dass ich nie mehr Tennis spielen würde, war nicht da. Ich wusste, dass ich irgendwann wieder bei 100 Prozent sein würde.

Als ich die Entscheidu­ng getroffen habe, sechs Monate Pause zu machen, habe ich schon das Gefühl gehabt, dass das viel Zeit ist. Deswegen muss man geduldig sein, seinem Team und seinem Prozess vertrauen. Aber das ist schwierig, weil man auch nervös ist. Gleichzeit­ig musst du sehr positiv bleiben. Ich habe viel gelernt, auch von mir selber.

Ich habe die Lust, nicht den Drang, mich verbessern zu wollen, und sehe den Gleichstan­d als Rückschrit­t an. Ich bin demütig, ehrlich zu mir selbst und zu meinem Team. Und ich habe eine Kämpfernat­ur, die vielleicht nicht immer so zum Vorschein kommt. Sie hat mir aber in den Momenten geholfen, die nicht so einfach waren und in denen ich Schmerzen hatte.

Ja, auf jeden Fall. Man weiß ja, was möglich ist. Man ist aber auch realistisc­h, sowohl im negativen als auch im positiven Sinne.

Sind die Olympische­n Spiele 2020 in Tokio noch ein Thema?

Tokio ist gar nicht in meinem Kopf. Wenn es passiert und der Moment kommt, dann ist das super. Aber es ist kein Ziel, das ich mir vor Augen geführt habe, wie zum Beispiel die Spiele in Rio 2016 oder in London 2012. Nach meiner Verletzung will ich nicht zweieinhal­b Jahre vorausdenk­en. Aber, dass ich dann noch spiele, könnte schon sein. Es wäre noch mal cool.

Der Deutsche Alexander Zverev ist ein junger, talentiert­er Spieler. Der ganz große Durchbruch blieb ihm bei den Grand Slams aber bisher verwehrt. Was hemmt ihn noch?

Ich habe das Gefühl, dass er sich vielleicht ein bisschen zu hohe Ziele setzt, was allerdings auch gut und wichtig ist. Weil er die Turniere in Rom und Montréal gewonnen hat, denkt er vielleicht auch, dass er nun einen Grand Slam gewinnen sollte. Das ist ein logischer Prozess im Kopf. Aber wenn du schon an das Halbfinale oder Finale denkst, du aber noch in der zweiten Runde bei ein Satz beide und bei Breakpoint hinten bist, dann ist es schwer, normal zu spielen.

Haben Sie einen Rat für ihn?

Er sollte nicht in Panik verfallen oder sich zu sehr unter Druck setzen. Ich musste auch erst verstehen, dass ich mich Punkt für Punkt, Game für Game, Satz für Satz und Runde für Runde konzentrie­ren muss. Er wird das herausfind­en. Dafür ist er ein zu guter Spieler.

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Foto: Lukas Coch, dpa Die Lichtgesta­lt im Welt Tennis: Der Schweizer Roger Federer jagt von Rekord zu Rekord.

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